Studenten in Deutschland zunehmend überfordert

Angst vor der nächsten Prüfung, Heimweh oder Sorgen um die berufliche Zukunft: So manchem Studenten wachsen die Belastungen über den Kopf. Die straffen Zeitpläne und vielen Klausuren im Bachelor tun ihr Übriges.

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Prüfungsangst und Druck essen Seele auf - Hilfsangebote gegen Unistress haben regen Zulauf

Für stressgeplagte Studenten gibt es in fast allen Hochschulorten aber psychologische Beratungsstellen. Jeder Student, der Probleme mit dem Studium, der Familie oder den Freunden hat, kann sich dort professionelle Hilfe holen - kostenlos und auf Wunsch auch anonym.

26.000 Studenten haben Beratungsstellen aufgesucht

Die Nachfrage danach wächst kontinuierlich: So haben 2010 fast 26.000 Studenten Hilfe in den Beratungsstellen gesucht. „Das sind mehr als zehn Prozent mehr als 2009“, sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk in Berlin und verweist auf den Zahlenspiegel 2010/11 der Studentenwerke.

Bei den Beratungsstellen können sich Studenten telefonisch oder per Email melden, wie Grob erklärt. „Dann wird meist ein Termin vereinbart, wo geklärt wird, wann und wie oft man sich wieder sieht.“ So bekommt jeder die Hilfe, die er braucht. Und: Die Berater – meist Psychologen - unterliegen der Schweigepflicht. Was immer man mit ihnen bespricht, erfährt kein anderer.



REFLEKTIEREN: Im ersten Schritt müssen Aufschieber ihr Problem erkennen. Dazu sollten sie sich laut Hans-Werner Rückert die Fragen stellen: Warum schiebe ich auf? Was befürchte ich? Was wünsche ich mir? Außerdem sollten Studenten sich überlegen, ob ihnen ein Ziel wirklich wichtig ist. Unter Umständen kann es besser sein, eine Sache aufzugeben, statt sie jahrelang mit sich herumzuschleppen und sich damit zu quälen. Rückert empfiehlt, sich schriftlich mit diesen Punkten auseinanderzusetzen.

MOTIVIEREN: „Ein Mensch tut nur dann etwas, wenn es zu 70 Prozent mit positiven Gefühlen verbunden ist", erklärt Rückert. Der Gedanke „Ich muss lernen" bringt niemanden weiter. Studenten sollten sich vielmehr „Ich will lernen" sagen und sich vor Augen halten, was ihre Gründe dafür sind. Außerdem dürfen sie nicht zu viel von sich verlangen. „Man sollte nicht an jedem Tag 100 Prozent Leistung von sich erwarten", sagt der Studentencoach Martin Krengel aus Berlin, der sich mit dem Thema Zeitmanagement befasst. „Auch 20 Prozent Fortschritt sind besser als nichts."

PLANEN: Der Berg an Arbeit ist einfach zu groß? Dann muss man ihn in Etappen überwinden. Dazu sollten Studenten eine Aufgabe in kleine Schritte zerlegen, empfiehlt Rückert. Diese schreiben sie sich am besten auf. Oder sie malen sie auf große Bögen Packpapier und hängen diese an die Wand. So kann man immer wieder an den Plan herantreten und einen Schritt abhaken. Solche kleinen Erfolge helfen, den nächsten Schritt anzugehen.

VERBILDLICHEN: Es hilft beim Planen, sich die Arbeit genau vor dem inneren Auge vorzustellen, rät Prof. Rist. So könnten Studenten sich sagen: „Ich stehe morgen um neun Uhr auf, gehe ich in die Küche, schalte die Kaffeemaschine ein, trinke eine Tasse, setze ich mich an meinen Schreibtisch, nehme meine gelben Textmarker in die Hand, schlage die Seite 35 des Buches auf und lese bis zur Seite 50." Je konkreter man sich das vorstellt, desto eher setzt man es auch wirklich in die Tat um.

ABSCHIRMEN: Während der Lernzeit stellen Studenten ihr Handy am besten auf lautlos, rät Martin Krengel. Sinnvoll sei es auch den WLAN-Empfang des Laptops zum Surfen im Internet abzuschalten und sich in die hinterste Ecke der Bibliothek zu verkriechen. Denn: „Jede kleine Störung kann einen komplexen Gedankengang abreißen lassen."

BEGRENZEN: Oft nimmt man sich vor, acht oder neun Stunden zu arbeiten – schafft dann aber doch nur eine. Wem es so geht, der sollte seine Arbeitszeit von Anfang an auf diese eine Stunde begrenzen, empfiehlt Prof. Rist. Erst wenn er es schafft, diese Stunde effektiv zu nutzen, darf er die Arbeitszeit in den nächsten Tagen erhöhen – jedes Mal maximal um 20 Prozent. So entsteht das Gefühl, dass Arbeitszeit etwas Kostbares ist, das man nutzen möchte.

AUSTRICKSEN: Wer sich partout nicht zum Lernen aufraffen kann, sollte sich nur zehn Minuten Arbeitszeit vornehmen – mit der Option, danach aufhören zu dürfen. „Meistens arbeitet man dann doch länger, weil die erste Hemmschwelle überwunden ist", sagt Krengel.

Dass Studenten psychische Probleme haben können, ist nichts Neues. „Immerhin ist das eine Lebensphase, in der einiges in Bewegung ist und Krisen daher fast zwangsläufig auftreten“, erklärt Wilfried Schumann, Leiter der psychosozialen Beratungsstelle in Oldenburg. „Allerdings hat sich die Lage in den vergangenen Jahren spürbar verschärft.“

Die Gründe dafür? „Mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge sind Prüfungen und die Erbringung von Leistungen stark in den Vordergrund gerückt“, sagt Psychologe Schumann. Hinzu komme der Druck, möglichst schnell zu studieren. „Viele Studierende fragen sich schon früh, ob ihre Leistungen aus dem Bachelor gut genug für einen Master sind.“

Zu hohe Anforderungen an sich selbst

Hinzu komme, dass viele Studenten sehr ehrgeizig seien. „Sie setzen sich selbst stark unter Druck“, berichtet Schumann. Das bestätigt Fachmann Grob: „Viele haben das Leistungsdenken der Gesellschaft sehr verinnerlicht und gestehen sich keinen Misserfolg oder gar ein Scheitern ein.“

Die Folgen können unterschiedlich sein. „Viele Studierende kommen mit Lern-, Leistungs- und Prüfungsproblemen zu uns“, berichtet Sabine Köster, Leiterin der psychotherapeutischen Beratungsstelle vom Studentenwerk Karlsruhe.



Mädchen in einem Tunnel

Leben mit der Angst

Dort hat sich die Anzahl der Ratsuchenden in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. „Einige haben Prüfungsangst, andere haben Motivations- oder Konzentrationsprobleme.“ Andere lernten zwar sehr viel, bekämen aber nur schlechte Noten.

„Bei all diesen Problemen kann man natürlich kein Patentrezept geben, sondern muss schauen, was jeweils die Ursache ist“, sagt Köster. „Wer zum Beispiel Misserfolge in Prüfungen hat, könnte sich beim Lernen verausgabt haben, weil er nie Pausen machte. Oder aber die Konzentration bei der Prüfungsvorbereitung hat darunter gelitten, dass es in anderen Lebensbereichen gerade viel Stress gibt.“

Spezielle Lerntechniken helfen

Dann könnten die Berater helfen, einen Weg zu finden, mit der Situation besser klarzukommen. „Vielleicht hat derjenige auch nicht gelernt, effektiv zu lernen. Dann besprechen wir Lerntechniken, helfen bei der Erstellung eines Wochenplans oder geben Tipps, wie man ein Skript durcharbeiten kann.“

Viele Studenten versuchen aber, die Probleme mit sich selbst auszumachen - nach dem Motto „Das kriege ich schon hin!“. Die Experten raten jedoch, sich möglichst früh Hilfe zu holen. „Je länger man wartet, desto mehr könnten sich die Probleme auch auf andere Bereiche auswirken“, sagt Köster.

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      So könne es passieren, dass aus einem Durchhänger eine längere Krise werde, man sich zunehmend selbst infrage stelle und Freundschaften zu leiden beginnen. „Wer früher in die Beratung kommt, braucht vielleicht nur ein oder zwei Gespräche, damit es deutlich bessergeht.“

      Außerdem sollte man die Ansprüche an sich selbst hinterfragen. „Viele Studierende quälen sich mit ihren Leistungsidealen und übersehen, was sie schon können“, berichtet Experte Schumann. Wer sich überfordert fühle, habe oft sehr hochgesteckte Ziele.

      „Reguliert man die Ziele, sinkt auch der Druck.“ Zudem gehöre es zum Leben, Misserfolge zu haben. Das schade auch keinem Lebenslauf - das dürfe man nicht überbewerten. „Stattdessen sollte man sich mehr vertrauen und die eigenen Erfolge sehen und sich darüber freuen.“

      Für seine Probleme nicht schämen

      Für seine Probleme sollte sich niemand schämen. „Die Studienzeit ist etwas sehr Anspruchsvolles, und deswegen geht es vielen anderen Studierenden ähnlich, auch wenn sie nicht alle offen darüber sprechen“, erzählt die Psychologin Sabine Köster.

      Außerdem gebe es die Möglichkeit, sich anonym für einen Beratungstermin anzumelden. Und noch etwas betont sie: „Wir sind keine Psychiatrien, sondern Beratungsstellen für ganz normale Studenten, die einfach mal Hilfe brauchen!“

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