Starke Psychologin im Knastalltag?

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14. Dezember 2011 09:59 Uhr

Zischup-Interview

Gerlinde Mauder ist Anstaltspsychologin in der Justizvollzugsanstalt Freiburg. Turgay Yazar, ein dort Inhaftierter, hat sie interviewt.


  1. Foto: Ingo Schneider

Gerlinde Mauder ist Anstaltspsychologin in der Justizvollzugsanstalt Freiburg. Sie arbeitet dort seit mehr als 15 Jahren mit erwachsenen männlichen Inhaftierten und Sicherungsverwahrten. Turgay Yazar, ein dort Inhaftierter, sprach mit ihr darüber, wie sie das Ganze selbst verarbeitet, ob sich diese Tätigkeit in ihrem privaten Alltag auswirkt und welches Erfolgsrezept sie hat, für die Resozialisierung ihrer Klienten. Und worin unterscheidet sie sich eigentlich von den Gefängnispfarrern?

Zischup: Worin unterscheiden sich Religion und Psychologie im Justizvollzug?
Gerlinde Mauder: Im Unterschied zu meinen Kollegen im kirchlichen Dienst sind wir Psychologen deutlich mehr in Formales eingebunden, etwa indem wir über unsere Klienten schriftliche Stellungnahmen für das Gericht anfertigen müssen. Das tut der kirchliche Dienst nicht. Unser kirchlicher Dienst kann sich weitaus mehr als die Anstaltspsychologen auf eine quasi umfassende Schweigepflicht berufen.

Zischup: Was ist Ihr Anliegen gegenüber Ihren Gefangenen um diese zu entfalten und zu resozialisieren?

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Mauder: Mein dienstliches Anliegen muss es sein, meinen bestmöglichen Anteil daran zu tun, dass die Aufgaben des Justizvollzuges bestmöglich erfüllt werden können. Sie finden diese Aufgaben sehr allgemein beschrieben im § 2 des Justizvollzugsgesetzbuches. Natürlich mutet es merkwürdig an, wenn psychologische Arbeit mit einem Paragraphen erfasst werden soll. Diese Vorgaben sind ihrer Abstraktheit aber kein strenges Reglement sondern erlauben es, der eigenen Arbeit ein persönliches Gepräge zu geben.

Zischup: Was ist Ihr Konzept bei Ihrer Arbeit?
Mauder: Zu meinen Grundüberlegungen im Gespräch mit meinen Klienten gehört beispielsweise, dass ich sie über ihr bisheriges Dasein Bilanz ziehen lasse. In der Regel stellt der betreffende Straftäter fest, dass diese Bilanz überhaupt nicht glanzvoll ausfällt und er es keinesfalls anstrebt, auch den Rest des Lebens immer mal wieder oder gar ständig im Gefängnis zu verbringen. Der nächste Schritt ist nun, zu überlegen, wie ihm dies denn gelingen kann, dieses bessere Leben, und wie er sich bislang daran gehindert hat, es zu führen. Mit dieser verkürzt dargestellten Denkstrategie möchte ich meine Klienten mit zur Erkenntnis verhelfen, dass sie sehr wohl ein Leben in Freiheit haben können - allerdings müssen sie sich wahrhaftig für einen konsequent nichtkriminellen Lebensstil klar entscheiden und das Passende dazu tun.

Zischup: Haben Sie damit Erfolg?
Mauder: Wer will solchen Erfolg seriös und sicher feststellen? Immerhin haben wir Gradmesser, wie etwa kriminalprognostische Gutachten oder objektivierbare Erfolge im beobachtbaren Verhalten unserer Klienten. Sicher bin ich mir jedenfalls, dass die im Strafvollzug Arbeitenden nicht innerlich abhängig sein sollten von grandiosen Nichtrückfallzahlen.

Zischup: Gibt es aus Ihrer Sicht Gefangene, die nicht ins Gefängnis gehören?
Mauder: Ja! Jeder halbwegs kennerische Justizvollzugsmitarbeiter weiß um die enormen Schwierigkeiten, die Inhaftierte im Justizvollzug bereiten können, die beispielsweise deutliche psychische Störungen mit sich bringen, sodass wir diese lieber als Patienten in einer Klinik untergebracht sähen. Äußerst beklemmend auch die Vorstellung, unter meinen Klienten befände sich ein unschuldig Verurteilter - dieses Schreckgespenst lässt sich nach meiner Überzeugung niemals hundertprozentig ausschließen - schließlich ist das ganze Justizsystem nur so gut, wie die niemals perfekten Menschen, aus denen es sich zusammen-setzt. Und als dritte Gruppe: In der JVA Freiburg sind bekanntlich die Sicherungsverwahrten Baden-Württembergs untergebracht. Nach der neuesten Rechtsprechung dürfen diese nicht oder kaum mehr im Gefängnis untergebracht werden!

Zischup: Viele Gefangene kommen mit manchen Mitinhaftierten nicht klar, wegen deren Deliktart. Wie ist das bei Ihnen?
Mauder: Aus meiner Sicht unterscheiden sich Inhaftierte und Justizvollzugsmitarbeiter gar nicht so sehr, wie kritisch sie welche Straftaten sehen und ob und wie sie dieses manchmal bedrückende Wissen verarbeiten. Über meine "Haftjahre" hinweg habe ich mir wohl oder übel ein zum Teil dickeres Fell zugelegt, zumindest was die angeblich harmloseren Straftaten betrifft. Ich erinnere mich jedoch möglichst ausreichend oft daran, dass die von der Justiz oft reichlich leger behandelten "geringfügigeren" Straftaten für die direkt Betroffenen ein außerordentlich lästiges und langfristig belastendes Übel darstellen können. Simples Beispiel: Wohnungseinbruch.

Zischup: Hat es Auswirkungen auf Sie, wenn diese Straftäter anfangen, Ihnen von Ihren Straftaten zu erzählen?
Mauder: Ich weiß jedenfalls nun mehr von der Welt, als mir lieb ist! Aber: Ich habe mir diesen Job schließlich wohlwissend um das, was mir da bevorstehen könnte, selbst ausgesucht. Und nachträgliches Wehklagen über das Selbstverursachte höre ich von Inhaftierten genauso ungern, wie von mir selbst. Hilfreich ist für mich beim Ertragen dessen sicher, dass ich selbst fast noch keine wirklich negativen Erfahrungen im Verhalten von Inhaftierten in ihrem direkten Umgang mir gegenüber machen musste. Das heißt: Das aktuell mir gegenüber meist angenehm positive Verhalten eines Inhaftierten kann es mir ertragbarer machen, den Blick auf seine so unerträglich erscheinende frühere Straftat zu lenken und mich damit auseinander zu setzen.

Zischup: Wie verarbeiten Sie solche Straftaten?
Mauder: Zu meinen persönlich hilfreichen Kerngedanken gehört dabei, dass kein Mensch insgesamt schlecht ist in seiner Persönlichkeit sondern es ja nur Teilbereiche seines Verhaltens sind, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden können. Hinsichtlich dieser Teilbereiche erwarte ich von ihm, dass er sich klar verändert, soweit dies im Interesse möglicher erneuter Opfer nötig ist.

Zischup: Und privat, in Ihrer Freizeit?
Mauder: Was mir nachhängt ist etwa, wenn ein Opfer gefoltert wurde. Solche Extremfälle, die zwar höchst selten sind, nehme ich leider nach Abgabe meines Anstaltsschlüssels gedanklich unfreiwillig mit nach Hause. Wie in jedem andere Beruf auch bin ich gut beraten, wenn ich schauderhaftes Wissen eben nicht in einen allgemeinen Pessimismus münden lasse. In meiner privaten Umgebung finde ich es zuweilen tragisch-komisch, wenn ahnungslose Leute so sehr von den schönen Seiten im ach so romantischen Freiburg schwärmen. Ich erinnere mich in diesem Moment nun mal auch an den Mord X und den gewaltsamen Übergriff Y, stattgefunden in eben dieser Idylle. Für jeden Berufstätigen, ob Anstaltspsychologe oder Bergwerksarbeiter, gilt, dass er im Privatleben ein wohltuendes Gegengewicht zu beruflichem Ballast schaffen soll. Ich denke, ich habe das. Und wenn es nicht ausreichen sollte, läge es an mir selbst, dies zu verändern!

Zischup: Haben Sie sich damit angefreundet, dass Kriminalität alltäglich ist?
Mauder: Ich gestehe mir ein, dass es Grenzen der Veränderbarkeit gibt. Von mancher Seite findet sich bemerkenswerter Machbarkeitsoptimismus. Dem huldige ich nicht! Ich sehe mich aber einer Haltung verpflichtet, wonach die Hoffnung und die Versuche, zu Verbesserungen der Situation selbst des scheinbar aussichtslosesten Straftäters zu kommen, niemals grundsätzlich aufgegeben werden dürfen. Denn das bisschen mehr an Kultur seit dem Faustkeil scheint mir doch eine reichlich dünne Schicht. Das Unbehagliche, das sich unter dieser Schicht befindet - das muss jede Gesellschaft wohl auf Dauer in Schach halten.

Autor: Turgay Yazar, Bildungszentrum der JVA Freiburg

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