Stammzellen: Grosse Erwartungen und fragwürdige Anbieter

Mit der Stammzelltherapie weckt die Wissenschaft grosse Erwartungen. Vielleicht kann sie damit einst Parkinson, Diabetes oder Blindheit heilen. Weltweit sind unzählige Forschungsprojekte mit vielversprechenden Ansätzen im Gang. Auch sind bereits zahlreiche Behandlungen im Angebot. Aber erst wenige werden als sicher und zudem wirksam eingestuft. In der Schweiz gehen die Behörden deshalb seit Anfang Jahr hart gegen Institutionen vor, denen Zulassung oder Bewilligung für Zelltherapien fehlt. Letzte Woche kam es deswegen zu sechs Hausdurchsuchungen.

Erst wenige Therapien

Stammzelltherapien haben zum Ziel, Krankheiten mithilfe von Stammzellen zu heilen, welche die beschädigten oder abgestorbenen Zellen ersetzen. Laut dem Basler Molekularbiologen Adrian Heuss ist derzeit noch vieles Zukunftsmusik. Bekannt und bewährt ist aber etwa die Behandlung von Leukämiepatienten mit Blutstammzellen eines Spenders.

Heuss verweist weiter auf Hautersatzprodukte für Patienten mit schweren Verbrennungen. Dieses Jahr hat die europäische Kommission ausserdem eine Stammzellbehandlung für Patienten mit schweren Sehstörungen genehmigt. Die Patienten werden mit körpereigenen Stammzellen behandelt, welche die beschädigte Hornhautoberfläche wiederherstellen.

Forschung und Gefahren

2011 wurde am Universitätsspital Zürich ein Zentrum für regenerative Medizin eröffnet, zu welcher Stammzelltherapien gehören. 2010 wurde das mit 10 Millionen Franken alimentierte Nationale Forschungsprogramm (NFP 63) «Stammzellen und regenerative Medizin» gestartet, es steht kurz vor dem Abschluss.

Bei diesem ist Adrian Heuss für den Wissenstransfer zuständig. Die Forscher haben nicht den Auftrag, fixfertige Medikamente zu liefern, sondern Wissenslücken zu schliessen. Denn davon gebe es noch viele, sagt Heuss. So bestehe zum Beispiel die Gefahr, dass sich bei den Therapien die Stammzellen unkontrolliert vermehrten und Tumore entstünden.

Geforscht wird in zahlreichen Bereichen sowohl mit tierischen als auch mit menschlichem Material. Stammzellen können beim Menschen etwa aus dem Knochenmark oder dem Fettgewebe entnommen werden. Sie lassen sich auch aus der Nabelschnur gewinnen. Am umfassendsten einsetzbar sind Stammzellen von Embryonen.

Die Experten forschen zudem an zellfreien Therapien, bei denen keine lebenden Zellen transplantiert werden, sondern nur noch Substanzen, welche die Stammzellen im Patienten zur Teilung anregen sollen. «Damit könnte man das Problem der Abstossung umgehen, das sich bei Zelltransplantationen stellt», so Heuss.

Zu grosse Versprechen

Wenn im Internet Zelltherapien zur Heilung von Diabetes, Rückenmarksverletzungen oder Burn-out angepriesen werden, so ist das laut Heuss nicht seriös, zumindest dann nicht, wenn die Behandlung nicht in ein von einer Ethikkommission bewilligtes Forschungsprojekt eingebunden ist. «Wir raten von solchen Therapien dringend ab», sagt Heuss. Auch weil auf diese Weise therapierte Patienten später für offizielle klinische Studien nicht mehr zugelassen werden.

Gemeinsam mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) haben die NFP-Verantwortlichen ein Informationsblatt für Patienten verfasst und darin aufgelistet, wann Vorsicht geboten ist. Sie empfehlen darin, nur etablierte Therapien in Betracht zu ziehen oder solche, die im Rahmen von offiziell bewilligten Studien durchgeführt werden.

Attraktiv für die Kosmetik

Auf den Hoffnungsträger Zelltherapie setzt längst auch die Anti-Aging-Bewegung. Laut dem BAG haben gewisse Kliniken in der Schweiz ihren Patienten Zellen oder Zellteile von Schafsföten oder Schafsplazenta gespritzt, um einen Verjüngungsprozess auszulösen. Die Therapie sei vor allem von Touristen aus China, Russland und dem Nahen Osten gewünscht worden.

Auf den Zug aufgesprungen ist auch die Kosmetikindustrie. So kann man von gewissen Hautcremes lesen, welche die Zellerneuerung anregen und dadurch die Haut verjüngen sollen. «Ein grosser Teil davon ist Marketing», mutmasst Heuss.

Das eigene Zelldepot

Ein anderes Feld wiederum ist die Aufbewahrung von Stammzellen. In einigen Spitälern, etwa in der Frauenklinik des Berner Inselspitals, sind Spenden von Nabelschnurblut möglich, sie werden in eine öffentliche und anonyme Nabelschnurblutbank aufgenommen und stehen so Patienten zur Verfügung, die eine Stammzellspende benötigen, weil sie zum Beispiel an Leukämie erkrankt sind.

Private Nabelschnurbanken hingegen bewahren Stammzellen aus der Nabelschnur eines Neugeborenen gegen Bezahlung für einen möglichen späteren Gebrauch auf. Im Internet finden sich zudem Angebote zur Aufbewahrung von Stammzellen, die aus Fettgewebe gewonnen werden.

Wäre es angesichts des medizinischen Fortschritts sinnvoll, dass jedermann ein eigenes Stammzelldepot anlegt, um später bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können? Vielleicht lassen sich damit in vierzig Jahren tatsächlich Krankheiten heilen, sagt Heuss. Vielleicht aber auch nicht. «Zum jetzigen Zeitpunkt sind solche privaten Angebote ein Spiel mit der Hoffnung», so Heuss. (Berner Zeitung)

(Erstellt: 07.10.2015, 09:08 Uhr)

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