Stalker sehen sich selbst als das eigentliche Opfer

Von Wolfgang Degen

„Vergessen Sie das Appellieren an Einsicht, Empathie oder Mitgefühl“, sagt Jens Hoffmann. „Stalken wird aufseiten der Täter begleitet von einer sehr starken Realitätsverzerrung. Sie glauben, dass sie das eigentliche Opfer sind.“ Der Kriminalpsychologe leitet das Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt, mit dem Phänomen der Nachstellung ist er seit Jahren befasst.

„Stalkern gegenüber sollte man nie die Auswirkungen ihres Nachstellens auf die Opfer erwähnen“, empfiehlt der Kriminalpsychologe. Aus deren Sicht sei das zum einen eine Bestätigung, dass ihr Verhalten Erfolg hatte. Zum anderen löse die Konfrontation mit den Folgen nur Abwehrmechanismen aus. Vordergründig gehe es Stalkern darum, dass sie eine Beziehung wollen, wahrgenommen werden wollen. Eine Rolle spiele auch das Motiv der Rache. Das Tiefergründige ihres Verhaltens sei durch Studien belegt. „In der Biografie von Stalkern finden wir Trennungserlebnisse der Eltern oder fehlende stabile Bindungserfahrung, weil der Umgang der Eltern mit ihrem Kind eher kühl und distanziert war.“ Es habe an der Nestwärme gefehlt. Die Folge sei eine große Verunsicherung, ein Problem mit Trennung und Loslassen. Dieses Muster werde später aktiviert. Stalker seien Gefangene ihres Verhaltensmusters. „Deshalb ist bei ihnen auch die Wiederholungsgefahr so groß.“

Dass Stalker kein Mitgefühl mit ihren Opfern haben, besage keineswegs, dass sie grundsätzlich nicht zu Mitgefühl fähig sind. „Der Typ des mitleidlosen Monsters ist selten, der Anteil der Psychopathen unter den Stalkern wird auf etwa zehn Prozent geschätzt“, sagt Hoffmann. Er rät Opfern, auf Nachstellung nicht zu reagieren. „Ins Leere laufen lassen kann eine gute Strategie sein.“ Bei fortdauernder Nachstellung sei es wichtig, eine professionelle Beratung zu kontaktieren. Grundsätzlich gelte: Konsequenzen, die dem Täter angedroht werden, müssten umgesetzt werden. „Es gilt, klare Grenzen zu ziehen.“

Seit 2007 ist Nachstellung ein eigener Straftatbestand. Einerseits, und das nennt Hoffmann den Erfolg, werde damit klargestellt, dass Nachstellen strafbar ist. Andererseits beklagen Juristen einen Schwachpunkt des Gesetzes: Die „Lebensgestaltung“ des Opfers muss durch die Nachstellung „schwerwiegend beeinträchtigt“ sein. Viele Anzeigen würden zurückgewiesen, weil diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Für die Betroffenen sei das demoralisierend, für die Täter ein falsches Signal.

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