Sprache auf der Anklagebank

13.02.2012 - (idw) Universitt Rostock

Warum Juristen, Angeklagte und Zeugen sich oft nicht verstehen ein Pldoyer
Sie sprechen die gleiche Sprache und verstehen sich trotzdem nicht. Auf der einen Seite Richter, Staatsanwlte und Verteidiger, auf der anderen Seite Angeklagte und Zeugen. Letztere haben hufig massive Probleme, dem Juristen-Deutsch in den Verhandlungen zu folgen. Zu dieser Erkenntnis kommt Oberarzt Dr. Ulrich Hammer vom Rostocker Institut fr Rechtsmedizin der Universitt Rostock. Er ist seit Jahren als Sachverstndiger bei Gericht gefragt, vertritt Obduktionsbefunde oder Gutachten bei Straftaten, wenn es beispielsweise um die Schuldfhigkeit unter Einwirkung von Drogen oder Alkohol geht. In den Landgerichtsbezirken von Rostock und Schwerin sitzt Hammer jhrlich etwa 50 Mal bei Gericht. Er wei also, wovon er spricht.

Hammer beklagt, dass es in den Verhandlungen oft zu Kommunikationsbarrieren kommt, die mit der rumlichen Distanz von etwa vier Metern zwischen Richter und Angeklagten nichts zu tun haben. Durch kanzleisprachliche Ausdrcke, also einer sehr eigenen, gehobenen, von der tglichen Gewohnheit entfernten Fachsprache wird aneinander vorbeigeredet, beobachtet Hammer immer wieder. Viele Menschen haben in ihrem Leben andere Schwerpunkte gesetzt, verfgen nicht ber Kritik- und Diskussionserfahrung, sind es nicht gewohnt, punktgenau gefragt zu werden und vor einem Publikum zu antworten. Dem muss das Gericht besser gerecht werden, fordert der Rostocker Rechtsmediziner. Aus seiner Erfahrung wei er, dass Verfahren vor Gericht fr die Beteiligten oft eine hochemotionale Angelegenheit sind, was ebenfalls nicht ausreichend Beachtung findet. Zudem haben Angeklagte oder Zeugen in manchen Fllen Gesundheits-, Alkohol- oder Drogenprobleme. Auch diese Umstnde mssen vom Gericht strker bercksichtigt werden, fordert Hammer. Stattdessen wird oft ein Fragedruck aufgebaut, der bei Betroffenen eine Ausnahmesituation auslst, fr die sie nicht trainiert sind. Darunter leiden letztlich alle Beteiligten und oft auch die Verfahren selbst.

Der Rostocker Rechtsmediziner sieht die Ursachen dafr unter anderem in einer unzureichenden Ausbildung der Juristen. Es muss fr diesen Beruf Psychologie, Rhetorik, Gesprchsfhrung, Vernehmungslehre und Kommunikationsfhigkeit schon whrend des Studiums vermittelt werden, sagt Hammer. Experten fordern das brigens bereits seit vielen Jahrzehnten.

Mit seiner Forderung luft der Rostocker Rechtsmediziner beim Prsidenten des Landgerichtes Stralsund, Dr. Kai Jaspersen, offene Tren ein. Zwischen Juristen und dem Normalbrger gibt es ein Kommunikationsproblem, rumt der Landgerichtsprsident unumwunden ein. Jaspersen sieht das Problem in der Struktur des syllogistischen juristischen Denkens, bei dem Juristen vom Allgemeinen auf das Besondere schlieen, begrndet. Es gibt etwas zu tun fr den Berufsstand, geht der Prsident des Landgerichtes mit sich selbst und seiner Berufsgruppe ins Gericht. Recht ist etwas Virtuelles, es lebt von der Kommunikation. Dem muss man groe Aufmerksamkeit schenken, fordert der erfahrene Jurist. Dieses Phnomen betrifft auch rzte, die sich beim Patienten verstndlich machen und so Vertrauen schaffen mssen. Sprache, Psychologie und Recht, wie knnen diese drei Sulen Eingang in das Jurastudium finden?

Das Problem ist erkannt, sagt der Dekan der Juristischen Fakultt der Universitt Rostock, Prof. Dr. Jrg Benedict. Seit dem Wintersemester 2010/11 wird in Rostock der achtsemestrige Bachelor-Studiengang Wirtschaft, Gesellschaft, Recht Good Governance angeboten. Mit diesem Studiengang gehen wir neue Wege, so Benedict. Recht ist immer auch eine Frage der Kommunikation. Der Brger muss verstehen knnen, worin das Rechtsproblem besteht und was es fr die Beteiligten bedeutet. Der Dekan ist berzeugt: Wir bilden jetzt in Rostock einen neuen Typus von Juristen aus, die mit diesen Sachverhalten besser umgehen knnen. Das hlt der Rostocker Sprach- und Kommunikationswissenschaftler, Prof. Dr. Wolfgang Sucharowski, fr dringend geboten. Es muss analysiert werden, warum im Gerichtssaal kaum jemand den Anderen richtig verstehen kann. Der Professor sieht den einzigen Ausweg in einer genderten Juristenausbildung, wie sie in Rostock jetzt erfolgreich praktiziert wird. Jura-Studenten mssen rechtzeitig mit ihrer Arbeitswelt vertraut gemacht werden, meint der Wissenschaftler. Dazu gehrt fr ihn auf jeden Fall, dass whrend des Jurastudiums auch Kommunikationswissenschaft und Psychologie gelehrt werden.

Kontakt:
Universitt Rostock
Medizinische Fakultt
Institut fr Rechtsmedizin
Oberarzt Dr. Ulrich Hammer
Fon: +49 (0)381 494 9906
eMail: ulrich.hammer@med.uni-rostock.de

Juristische Fakultt
Prof. Dr. Jrg Benedict
Fon: +49 (0)381 498 8110
eMail: joerg.benedictr@uni-rostock.de

Presse+Kommunikation
Dr. Ulrich Vetter
Fon: +49 (0)381 498 1013
eMail: ulrich.vetter@uni-rostock.de

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