Sportpsychologe Andreas Marlovits: ‘Es ist ja nur ein Spiel!’

Der Burgenländer Dr. Andreas Marlovits hat Psychologie, Sportwissenschaften und Theologie studiert und ist seit diesem Jahr Professor für Sportpsychologie an der Business Scholl Potsdam. Er lebt in Köln/Deutschland und arbeitet dort seit Jahren als Sportpsychologe in der Deutschen Fußballbundesliga (DFL). Nach dem Freitod von Robert Enke im November 2009 wurde er zur psychologischen Betreuung von Hannover96 unter Trainer Mirko Slomka hinzugezogen. Aktuell arbeitet er für den 1. FC Köln.

Dieser Artikel wurde uns vom VdF-Magazin "Spieler" zur Verfügung gestellt. Autor: Christian Kircher


Marlovits hat eine spezielle Technik der psychologischen Analyse von Spielen entwickelt, die den manchmal unerklärlichen Verlauf von Fußballspielen besser verstehen lässt und von Trainern immer stärker verwendet wird. In Österreich hielt der anerkannte Sportpsychologe diverse Vorträge bei Veranstaltungen der Bundesliga-Geschäftsstelle und war 2008 beim SV Kapfenberg engagiert. Seine Arbeit führt ihn nach wie vor regelmäßig in seine Heimat Österreich.

 

Wie definieren Sie persönlich den Terminus Burnout?

Bei Burnout handelt es sich um ein Belastungssyndrom, das dann auftritt, wenn man über längere Zeit auf höchster Ebene überdurchschnittliche Leistungen bringen muss, ohne sich dabei regenerieren zu können. Großer Ehrgeiz bzw. der Anspruch an die eigene Perfektion können dazu führen, dass vom Menschen selbst aus der Rhythmus zwischen Spannung und Entspannung nicht mehr gelebt wird. Man agiert ständig unter Hochdruck wodurch irgendwann das System ausgebrannt ist. Gefühle von Ausgelaugtsein bis hin zur Antriebslosigkeit und mangelnder Leistungsfähigkeit nehmen immer stärker zu. All das passiert in einem Übergang, der letztendlich in eine Depression münden kann.

 

Welchen Beitrag leistet dabei unsere „moderne" Gesellschaft?

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der vom Menschen extrem viel verlangt wird. Eine Rolle zu leben ist ja nicht genug, es müssen immer mehrere zugleich sein. Vor allem durch neue Medienformen und der damit verbundenen ständigen Erreichbarkeit nimmt man dem Menschen die Möglichkeit abzuschalten und sich zu entspannen, sich einfach zurückziehen zu können. Stattdessen ist man 24 Stunden online. Verstärkt wird dies durch einen großen Mobilitätsdruck und einen ebenso großen Leistungsdruck. Dadurch ist dieses Phänomen in den letzten Jahren in unserer Kultur immer stärker hervorgetreten.

 

Sind Profi-Fußballer besonders Burnout-gefährdet?

Fakt ist, dass Fußballer zweifellos unter sehr großem Druck stehen, weil sie ihre Arbeit stets im Licht der Öffentlichkeit tun und damit ständig bewertet werden. Der von Sebastian Deisler angeführte Vergleich mit der Glühbirne (Anm.: siehe Story S xx) passt da leider sehr gut dazu. Generell sind aber all jene Menschen von Burnout betroffen, die einem starken Leistungsdruck ausgesetzt sind. Das können Fußballer genauso sein wie Manager großer Unternehmen aber auch der einfache Arbeiter.

 

Gibt es Mittel und Wege für Spieler, einem derartigen Fall vorzubeugen?

Ein wichtiges Hilfsmittel ist jenes, sich selbst Freiräume vom Fußball zu schaffen, abzuschalten und sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Viele Spieler heiraten sehr früh, gründen eine Familie und bilden so einen Bereich, der ganz für sie da ist. Der oft verwendeten Phrase „es ist ja nur Spiel" kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Sehr wesentlich sehe ich hier aber auch die Klubs und ihr Management in der Verantwortung. So wie man einst erkannt hat, dass der Ausbau der medizinischen Betreuung durch Ärzte und Physiotherapeuten sportlich und wirtschaftlich notwendig und sinnvoll ist, sollte auch im psychologischen Bereich nachjustiert werden. Das Thema Burnout ist ja nur ein kleiner Teilaspekt der Arbeit von Psychologen.

 

Sie waren nach dem Tod von Robert Enke bei Hannover 96 hautnah am Team dran. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Die Verantwortlichen in Hannover haben mich nach diesem für den ganzen Klub äußerst traumatischen Erlebnis, dass sich freilich auch in den Ergebnissen niedergeschlagen hat, ins Betreuerteam geholt. Vorgefunden habe ich damals eine völlig verunsicherte Mannschaft, die äußerst dankbar das Angebot einer Hilfestellung angenommen hat. Obwohl uns die Liga schon abgeschrieben hatte, konnten wir alle zusammen die Saison sportlich noch retten und den Klassenerhalt sichern. Aus der Bewältigung der schweren Krise ging die Mannschaft mental gestärkt hervor.

 

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Köln-Coach Stale Solbakken?

Sehr gut. Er ist ein sehr sympathischer Norweger, mit dem man wunderbar über Fußball diskutieren und viel Spaß bei der Arbeit haben kann. Weil seine Frau ebenfalls Psychologin ist, hat er zu diesem Themenbereich einen sehr positiven und offenen Zugang, was die Arbeit zusätzlich positiv beeinflusst. Ich bin wie in Hannover regelmäßig beim Training mit dabei und stehe den Spielern und dem Team ums Team für Einzelgespräche und Coachings zur Verfügung. Hauptziele sind die Spielerpersönlichkeit ständig weiter zu entwickeln und Konflikte innerhalb des Teams so schnell und effektiv wie möglich zu klären. Konflikte sind Erfolgskiller. Stolbakken sieht mich dabei nicht als Konkurrenten, sondern als einen von mehreren Spezialisten in seinem Team, die für den sportlichen Erfolg des Klubs arbeiten.

 

Hat Austria-Trainer Schinkels im Zuge seines Burnouts die richtigen Schritte gesetzt? Was halten Sie von seinem „therapeutischen Tropfen"?

Da ich ihn und seine Situation nicht persönlich kenne, kann ich dazu nicht viel sagen. Die Verwendung von Drogen ist ja für viele Menschen ein probates Mittel, um situativ die Schwere des persönlichen Leidens etwas zu mildern. Langfristig machen sie leider abhängig und taugen daher als Therapeutikum nicht wirklich. Insofern ist es sicherlich der nachhaltigere und gesündere Weg, sich medizinisch bzw. psychologisch unterstützen zu lassen.

 

Wie wichtig ist der offene bzw. öffentliche Umgang mit dem Thema Burnout von prominenten Persönlichkeiten wie Rangnick, Deisler oder Schinkels?

Menschen, die so stark in der Öffentlichkeit stehen wie es nun mal Spitzenfußballer oder Profitrainer sind, müssen heutzutage ja etwas zu einem plötzlichen Rücktritt sagen. Auch wenn sich nach dem Tod von Robert Enke an der Härte des Fußballgeschäfts nicht viel geändert hat, eines hat seine Entscheidung aus meiner Sicht allerdings bewirkt, dass nämlich die Hemmschwelle, sich öffentlich zu einem persönlichen psychischen Problem zu äußern, geringer geworden ist. Vielleicht hat seine Entscheidung zum Tod anderen bereits das Leben gerettet.

 

Ist so ein Outing für Fußballer und Trainer durch die meist gute finanzielle Ausgangsbasis einfacher?

Natürlich erleichtert ein finanzielles Polster den Ausstieg. Für die Betroffenen ist aber das Eingeständnis, nicht mehr zu können, sehr viel schwerwiegender. Für wirkliche Fußballprofis spielt Geld nicht jene entscheidende Rolle, wie man landläufig meint. Viele sind in diesem Geschäft einfach vom Fußball besessen. Damit leben sie, darüber kommen sie zu Ruhm, Ehre und daran leiden sie letztendlich auch.

 

Linktipp: Burn out: Profi-Fußballer im Brennpunkt

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