Solistin Midori und das DSO – Zerbrechlich da, wo andere bloß protzen

Midori ist nicht nur eine exzellente Geigerin, sie hat auch einen Magister in Psychologie. Vielleicht lässt sie sich deshalb vom großen Orchesterklang nicht einschüchtern und spielt selbstbewusst die zarten Töne.

Die größte Angst des Solisten ist die, nicht gehört zu werden. Füllt mein Klang auch wirklich den ganzen Raum? Ist das Orchester lauter als ich? Der Solist antwortet auf diese Zweifel gewöhnlich mit „solistischem Ton“, indem er also noch eine Schippe drauflegt, kräftiger, intensiver spielt – und dabei in Kauf nimmt, dass dabei die feinen Töne verloren gehen können. Richtig aufregend ist es deshalb, wenn jemand auftritt, der diese Angst überwunden hat. Die Geigerin Midori scheint zu dieser Gruppe zu gehören. Vielleicht ist das eine Folge ihrer existenziellen Sinnkrise nach den Wunderkindjahren. Vielleicht ist das auch ein Ergebnis ihres Studiums. Midori hat einen Magister in Psychologie.

Keine Furcht vor dem Orchester

Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester spielte sie am Sonnabend in der Philharmonie Bartóks zweites Violinkonzert. Das ist ein Stück, bei dem sich die Geige durchaus im Kampf mit einem kräftig instrumentierten Orchester aufreiben kann, bei dem auch immer wieder ungarischer Zigeunergeigen-Ton zum großen Auftrumpfen lockt. Midori kennt solche Gelüste offenbar nicht. Und weil sie sich auch nicht von der Furcht vor dem übermächtigen Orchesterklang oder dem gelangweilten Weghören des Publikums leiten lässt, spielt sie so unaufdringlich und zart, dass man nicht anders kann als – zuhören.

Das Violinkonzert, wegen seiner weiten, volltönenden Melodiebögen gerne als ein „romantisches“ Werk Bartóks bezeichnet, wird dabei in ganz anderer Weise romantisch: Als man hier eine empfindsame Seele sprechen hört, die ihren Zustand nicht einfach zur Schau stellt, ihn vielmehr ständig reflektiert. Manchem mag Midoris Vibrato vielleicht zu eng oder fest klingen, aus dieser Sparsamkeit und Gefasstheit ergibt sich jedoch auch ihr aufregend sprechendes Spiel. In den langen Kantilenen des ersten Satzes verzichtet sie immer wieder auf Vibrato, spielt gerade Töne, die sie dann auch noch an die Grenzen des Hörbaren führt, und verweist damit vor allem auf die Zerbrechlichkeit in Bartóks Musik. Dass es die in diesem gerne mit sattem Ton vorgetragen Stück erst noch zu entdecken gilt, ist die wunderbare Überraschung des Abends.

Es wird erfreulich viel gewagt

Gewagt wird auch im zweiten Teil des Konzertes erfreulich viel: Der Dirigent Christoph Eschenbach nimmt Bruckners 7. Sinfonie so langsam, wie sie hier schon länger nicht zu hören war. In Erinnerung sind die Schnelldurchläufe in der vergangenen Saison mit Barenboim und der Staatskapelle und Simon Rattle und den Philharmonikern. Beide Male wurde das Stück auf äußere dramatische Abläufe hin abgehört, klang der gar nicht mehr langsame Satz nach einer Tonsatzübung.

Bei Eschenbach und dem DSO wird er zum breit ausgespielten Zentrum des Werkes, in dem er eine innere Dramatik aufdeckt: Spannung entsteht weniger im Fortgang der einzelnen Abschnitte als an den Übergängen zum Folgenden. Und er entdeckt die heiteren Seiten dieser Sinfonie: aufgehellte Episoden, das Trio im Scherzo etwa, das bei ihm nicht nach wehmütiger Erinnerung klingt, sondern nach eben empfundener Sorglosigkeit. Diese außerordentlichen Momente lassen darüber hinwegsehen, dass Eschenbach sich und die Musiker gelegentlich mit dem langsamen Tempo überfordert. Dann wackelt’s und schwankt’s, als würden zwei Pferde in entgegengesetzter Richtung am Wagen ziehen

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