Social-Media Psychologie für jedermann: «Du kannst es schaffen …»

Gib niemals auf, glaube an dich und lass los, was dich verletzt. So einfach ist das im Leben, wenn man den Weisheiten aus dem Internet glauben darf.

Inspirierende Sprüche werden millionenfach auf Facebook, Pinterest und Twitter geteilt. Das Problem: In den meisten Fällen bewirken sie gar nichts oder schaden sogar. Die häufigsten Gründe dafür:

Der Ratschlag ist lebensfremd! Manche Sprüche klingen gut, sind aber trotzdem falsch. Beispiel: «Gib niemals auf!» In Wahrheit ist es oft sinnvoll, etwas aufzugeben, auch wenn man lange dafür gekämpft hat –etwa den vermeintlichen Traumjob, der sich als perspektivlos herausstellt.

Der Tipp ist zu oberflächlich! Viele Ratschläge ignorieren die Gründe für unser Verhalten. Beispiel: «Glaube an dich.» Das lässt sich nicht auf Befehl erreichen. Geringes Selbstvertrauen hat Ursachen, z. B. Herabsetzung durch Eltern. Zuerst muss man sie finden, notfalls per Therapie.

Die Motivation stimmt nicht! Häufig ignorieren die Internetsprüche auch unsere Motive. Beispiel: «Lass los, was dich verletzt.» In Wahrheit halten viele Menschen an schlechten Dingen fest (z. B. lieblosem Partner), weil sie ihr schlechtes Selbstbild bestätigen. Zuerst muss das verbessert werden, ehe sich das Verhalten verändert.

Das Zitat selbst ist erfunden! Viele angebliche Weisheiten berühmter Leute sind erfunden. Beispiel: Einstein soll gesagt haben, jeder sei ein Genie. Klingt tröstlich, hat der berühmte Physiker aber niemals behauptet. Der Spruch kursiert seit 100 Jahren durch Bücher, Herkunft unklar.

Durchhalten ist nicht immer die beste Taktik

Der Ratschlag verhindert Aktion! Oft sind die Empfehlungen eher Durchhalteparolen und verhindern damit manchmal, dass man aktiv wird. Beispiel: «Wenn es 1000 Mal nicht klappt, versuche es 1001 Mal.» Durchhalten ist aber nicht immer die beste Taktik, erfolglose Pläne muss man aktiv ändern.

Echte Grenzen werden ignoriert! Häufig wollen uns die Internetratschläge einreden, dass alles möglich sei – was nicht stimmt. Beispiel: «Du kannst alles schaffen, was du willst.» Wer Superstar, Topmanager oder erfolgreicher Sportler werden will, braucht besonderes Talent, extremen Fleiss, Wille zum Verzicht – aber das hat und will nicht jeder.

Die Vorbilder sind völlige Ausnahmen! Viele Sprüche nennen Beispiele wie Erfinderlegende Thomas Edison, Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling oder US-Präsidenten. Problem: Derartige Aufsteiger sind seltene Ausnahmen, die meisten Menschen bleiben in ihrer sozialen Schicht (Herkunft).

Trotzdem haben die Sinnsprüche aus dem Internet durchaus ihren Sinn:

  • Sie können uns motivieren, eine kurze Krise (z. B. im Job) durchzuhalten, indem sie uns auf ein grösseres, wichtigeres Bild (z. B. den Karriereplan über fünf Jahre) hinweisen.
     
  • Sie können uns inspirieren, unseren bisherigen Lebensplan und unsere Taktik zu überdenken und eventuell zu verändern. Dazu sinnvoll: mal die Biografie des Menschen lesen, von dem das Zitat stammt.
     
  • Sie können uns zeigen, dass unsere vermeintlichen Grenzen (z. B. kein Geld für eine eigene Firma, keine Zeit für eine Weiterbildung) vielleicht enger gesteckt sind, als wir bisher glaubten.

So sind Netz-Weisheiten zwar keine Lösung, aber ein guter Hinweis darauf.

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