Smart Home: Kluge Stube

Extravagante Raumschnitte, futuristische Möbel, nachhaltige Materialien: Auf der Suche nach dem Haus der Zukunft begegnet man den Visionen kreativer Köpfe – doch unter einer gemütlichen Wohnung stellen sich die meisten etwas anderes vor. In einem gemütlichen Zuhause finden wir Sicherheit, Schutz und Geborgenheit. Wir leben zusammen mit Menschen, die uns nahestehen. Wir gestalten unseren Wohnraum und verwirklichen uns in ihm selbst.

Auf all das werden wir auch künftig nicht verzichten wollen, und dennoch muss sich das Haus der Zukunft dem Wandel der Zeit anpassen. Noch vor 50 Jahren wohnten die meisten Deutschen früher oder später in einem klassischen Familienhaushalt. Das hat sich gewandelt. Der Trend geht dahin, sich selbst zu verwirklichen. Viele entscheiden sich zum Beispiel bewusst, alleine zu wohnen. Flexibilität im Job und die globalisierte Welt verlangen uns zudem oft die Bereitschaft ab, schnell den Ort zu wechseln. Zu starke Bindungen an einen Ort sind da ein Hindernis.

Die Menschen zieht es außerdem mehr in die Städte. Sie wollen Job, Freizeitaktivitäten und Zuhause möglichst nah beieinander finden. Das heißt: Der urbane Raum verdichtet sich, Menschen werden verdrängt. Stadtteile, die gerade noch von ärmeren Bevölkerungsgruppen bewohnt wurden, werden von kleinen Familien, Studenten und alleinstehenden Berufstätigen bezogen. Zugleich altert die Gesellschaft. Mehr und mehr Menschen brauchen barrierefreie Wohnräume, in denen sie möglichst lange selbstständig leben können.

Technologien wie das Smart Home eröffnen viele Möglichkeiten. Sie bringen aber auch Schwierigkeiten mit sich. Intelligente Systeme können das Haus energieeffizienter machen. Einzelne Features lassen sich von unterwegs steuern. Das Haus überwacht die Bedürfnisse seiner Bewohner, unterstützt sie und kann ihr Leben komfortabler machen. Zugleich ist auch dieses System mit der Freigabe von Datenmengen verbunden, was Sicherheitsfragen aufwirft. Ebenso fürchten viele einen Kontrollverlust in hochtechnologisierten Häusern.

Wie werden wir morgen leben? Mit der Technik, mit schwindendem Platz, mit anderen Menschen? ZEIT Wissen hat einen Psychologen, eine Architektin und einen Ingenieur gebeten, uns ihre Vision vom klugen Haus der Zukunft zu schildern.

Das Haus als Schutz- und Lebensraum

Architekturpsychologe am Institut für Wohn- und Architekturpsychologie in Graz

Wenn all die Kriterien erfüllt werden, nach denen uns unser Lebensraum wohltut, dann ist das Haus der Zukunft gar kein Haus mehr im herkömmlichen Sinn. Es ist zwar immer noch ein Raum mit Wänden, Böden und Dächern. Aber die bauliche Struktur erfüllt nicht mehr nur die Funktion, genügend Platz zu bieten für den Hometrainer, die Musikanlage oder die teuer designte Küche. Sie ist auch nicht allein dazu da, Räume vor der Witterung zu schützen oder zu verhindern, dass Wärme verloren geht. Vielmehr reguliert die bauliche Hülle, wie sich der Mensch in seiner Wohnung fühlt.


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Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT WISSEN Nr. 6/15.

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Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT WISSEN Nr. 6/15.

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Dies setzt ein grundlegendes Umdenken voraus. Wir müssen uns davon verabschieden, die Umgebung isoliert als Raum zu betrachten, der keinen direkten Einfluss auf unsere psychische Verfassung hat. Der Schnitt der Wohnung beeinflusst die Beziehungen der dort lebenden Menschen. Zugleich prägt er das individuelle Verhalten jeder einzelnen Person. Einen Mustergrundriss, in dem sich garantiert jeder Mensch wohlfühlt, gibt es jedoch nicht. Wichtiger ist also, die generellen Anforderungen an einen Lebensraum zu betrachten. Diese bezeichne ich als menschliche Schutzbedürfnisse. Dazu zählen etwa der Schutz des Wohlbefindens, der psychischen und psychosomatischen Gesundheit oder der Privat- und Intimsphäre. Das mag logisch klingen, wird aber bei der Planung eines Wohnraums häufig nur ansatzweise berücksichtigt. Vielmehr steht dabei die physische Ebene im Mittelpunkt – die Wohnung dient hier vor allem als Schutzraum vor der Natur, vor dem Außen. Die Innenräume sollen vor äußeren Einflüssen abgeschirmt werden. Die Bewohner sollen sicher sein vor Wind, Kälte, Hitze, Lärm.

Ebenso wichtig ist es aber, dass unser Umfeld uns mit Sinneseindrücken versorgt – in hinreichendem Ausmaß und von guter Qualität. Die Farben, die uns umgeben, die Bilder an den Wänden, der Ausblick aus dem Fenster – all das ist Nahrung für unser Gehirn, unser Nervensystem. Sind wir sensorisch unterernährt, kann sich das darin zeigen, dass wir uns unwohl fühlen, gereizt sind. Oft fällt es uns schwer, die Ursache auszumachen.

Das Haus der Zukunft braucht also ein reichhaltiges Buffet an Sinneseindrücken. Die allein reichen aber noch nicht. Kontakt und Nähe zu anderen Menschen sind ebenfalls essenziell – vor allem für Personen, die den Großteil des Tages zu Hause verbringen, Rentner etwa. Je älter unsere Gesellschaft wird, desto wichtiger wird dieser Aspekt. Zugleich müssen wir uns Freiräume nehmen und Rückzugsorte aufsuchen können, wenn wir Ruhe brauchen.

Besonders für Teenager und Kinder ist es wichtig, die persönliche Entwicklung im Lebensraum auszudrücken. Dass ein Teenager regelmäßig sein Zimmer umräumt und neu dekoriert, ist ein Zeichen des Reifungsprozesses. Aber auch Erwachsene verspüren das Bedürfnis, sich neu zu erfinden und zu entfalten – wenn auch weniger schnelllebig. Der Lebensraum der Zukunft muss vielfältige Möglichkeiten bieten, um ihn neu zu gestalten oder neu zu nutzen.

Dabei darf jedoch nicht das Bedürfnis nach Kontrolle verloren gehen. Wir wollen unsere Lebensumstände selbst bestimmen können. Dies beginnt bei der Entscheidung darüber, wann ich wo mit wem in Kontakt treten oder wann ich lieber allein sein will – und es führt bis zur Regulation des Raumklimas. Deshalb halte ich Häuser, die komplett automatisch gesteuert werden, nicht für erstrebenswert. Wir geben darin zu viel Kontrolle ab und sind der Technik ausgeliefert. Das Gefühl von Kontrollverlust macht uns nicht glücklich, vielleicht macht es uns sogar Angst.

Aus wohnpsychologischer Sicht fördert das Haus der Zukunft also das emotionale, mentale und physische Wohlergehen. Es bietet den Menschen einen Ort der Erholung und Regeneration. Es fördert das Miteinander zwischen Menschen und beugt Konflikten vor. Es erlaubt, sich auf allen Ebenen frei zu entfalten.

Harald Deinsberger-Deinsweger

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