SIW 24/2014: „Faul, dumm, gierig und schwach“ – wallstreet

Wenn wir einen Moment innehalten, dann wundern wir uns selbst über solche Marotten. Im Getriebe und Stress des Alltags aber haben wir dieses Wissen meist nicht und schon gar nicht abrufbar. Im Ergebnis verhielten sich die Menschen deshalb nicht nur irrational, sondern sogar geradezu vorhersagbar irrational. Das zeigt sich in den Reaktionen auf Krisen – egal ob Finanzcrash, Schweinegrippe oder Terroranschlag –, die immer ähnlich ablaufen: Bessere Technologie, mehr Bürokratie und strengere Gesetze. Aber reicht das, um die nächste Krise zu verhindern? Ist es überhaupt der richtige Ansatz?

Fehlende Risikokompetenz

Das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ habe einmal geschrieben, dass Menschen „faul, dumm, gierig und schwach“ seien. Wer sich nun zurücklehnt und denkt, das beträfe vor allem „die anderen“, den holt Gigerenzer schnell in die Realität zurück: „Das sind wir!“ Für Börsianer mag diese Charakterisierung sogar noch besser zutreffen als für den Bevölkerungsdurchschnitt – vor allem was den Gier-Faktor bei der Jagd nach Rendite betrifft. Der Mensch als willenloser Sklave seiner Wünsche?!

Absurde Selbstwahrnehmung

Auch die statistischen Fehleinschätzungen von Menschen sind beachtlich: Ein Fünftel der Amerikaner glaubte beispielsweise zu den 1% Höchstverdienenden des Landes zu gehören. Ein weiteres Fünftel ging davon aus, dass es bald dazugehören werde. Ähnlich absurde Selbsteinschätzungen sind auch von Autofahrern bekannt, bei denen sich regelmäßig weit mehr als die Hälfte für überdurchschnittliche Kraftfahrzeuglenker hält. Auch vor Anlegern macht die Selbstüberschätzung keinen halt. Irgendetwas scheint also mit uns falsch zu sein. Den Namen „homo sapiens“ verdienten wir laut Gigerenzer daher eigentlich nicht – eher schon den Titel „homo Simpsons“.

Aufklärung als Ziel

Ist für Menschen der Umgang mit Risiken und Wahrscheinlichkeiten also grundsätzlich hoffnungslos? Dann bräuchte das Volk Experten, die ihm erklärten, was das Richtige sei – eine Form von Paternalismus. Gigerenzer hält das jedoch nicht nur für eine falsche Annahme, sondern auch für eine grundfalsche Schlussfolgerung. Sein Ziel lautet Aufklärung. Denn er geht fest davon aus, dass jeder den Umgang mit Risiko und Ungewissheit erlernen könne. Schließlich handle es sich dabei um „einfache Prinzipien“, sofern man sich denn traut, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen – ein Kernproblem. Auch nach unserer Beobachtung ermutigt die Gesellschaft immer weniger zur Übernahme von (Eigen-)Verantwortung. Während nach unten dem „All Inclusive“-Nanny-Staat gehuldigt wird, regiert an der Spitze die Verantwortungslosigkeit nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ – sicher kein tragfähiges Zukunftsmodell.

Gefährliche Denkfaulheit

Gigerenzer hält die Einstellung „Warum soll ich nachdenken, es gibt doch Experten“ für höchst gefährlich. Viele Ärzte oder Bankberater verstünden nämlich die Risiken nicht einmal selbst, könnten sie nicht richtig kommunizieren oder hätten schlimmstenfalls andere Interessen als ihre Kunden bzw. Klienten. Zudem habe sich auf Seiten der Berater und Experten eine Tendenz zu defensiven und damit suboptimalen Entscheidungen herausgebildet. Mit solchen „defensiven“ Entscheidungen wollten sich die Experten – was durchaus nachvollziehbar und verständlich sei – besser vor möglichen Klagen schützen. Gigerenzers Fazit: Am Selberdenken führt kein Weg vorbei. Um informierte Entscheidungen treffen zu können, bedarf es aber der Aufklärung. In einer unserer nächsten Printausgaben des Smart Investor werden wir uns daher intensiv den Themen Risiko, Risikowahrnehmung und Entscheidungen unter Unsicherheit, Ungewissheit und Risiko widmen.

 

 

10.000 Punkte – mal drüber, mal drunter

Wie in der Ausgabe SIW 23/2014 vermutet, bleibt die Marke von 10.000 Punkten im DAX-Performanceindex weiter umkämpft. Sie ist nämlich nicht nur einfach ein neues Allzeithoch, sondern war auch (Etappen?-)Ziel einer großen Kursbewegung – Psychologie eben. Nach dem Erreichen der „magischen“ Grenze fehlt es den Marktteilnehmern an Orientierung. Zudem war der Marsch auf die 10.000 kräftezehrend und die nächste Marke, an der sich Fantasie entzünden könnte, liegt erst einmal in weiter Ferne. Auch sind die Nachrichten von der Konjunkturfront durchwachsen. Die heutige Gewinnwarnung der Lufthansa (vgl. Chart – Aufwärtstrend trotz Kurssturz noch intakt!) ist da ebenso ein Schlaglicht wie die Stornierung eines Auftrags der Fluglinie Emirates über 70 Maschinen des Typs Airbus A350. Auch die Airbus Group (früher EADS) verlor heute überproportional. Schwupps, entfernte sich der DAX wieder etwas deutlicher von der 10.000er Marke nach unten.

Dabei hatte sich EZB-Chef Mario Draghi vergangenen Donnerstag solche Mühe gegeben, die Malaise des Euroraums etwas aufzuhübschen. Der Leitzins wurde von rekordtiefen 0,25% auf rekordtiefere 0,15% gesenkt . Rekordtiefere? In der schönen neuen Welt des EZB- und Banken-Sozialismus sind eben auch Worte steigerbar, die es bislang nicht waren. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Der eigentliche Hammer fiel jedoch mit der Erhebung eines Strafzinses von -0,1% für die Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB. Die wichtige Botschaft dieses Maßnahmenbündels ist blanke Verzweiflung. Eine Notenbank, die andere Optionen hätte, als sich auf völlig unbekanntes Terrain vorzuwagen, würde erst diese Optionen ausschöpfen. Die Lage ist also ernst. Draghi-Fanboys in den Hauptstromredaktionen schwadronieren über die durch das ultrabillige Geld befeuerte Entwicklung dann so: Keineswegs würden Sparer enteignet, sondern lediglich ermutigt, den Sparguthaben Lebewohl zu sagen, um zu Investoren am Aktienmarkt zu werden. Auch Mieter würden erkennen, welche Vorteile Wohnungseigentum hätte. Früher nannte man das einfach eine Blase. Die Lehren daraus scheint heute aber kaum noch jemand ziehen zu wollen. Vielleicht bedarf es einer kleinen Auffrischung für das kollektive Bewusstsein?! Auch das Argument, dass Aktiengesellschaften vermehrt eigene Aktien aufkaufen, ist zweischneidig. Denn es ist nicht gerade ein Zeichen für ein gesundes wirtschaftliches Umfeld, wenn die erfolgreichen Unternehmen in so gesättigten Märkten operieren, dass der Aktienrückkauf die attraktivste Investition ist. Die Aktionäre freut es dennoch.

Musterdepot Aktien Fonds
Die Transaktionen für unsere Musterdepots finden Sie auf unserer Website im Bereich „Highlights/Musterdepot“ auf www.smartinvestor.de. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die letzten Wochentransaktionen verschaffen.

Neue Rubrik „Grafik der Woche“

Vielleicht ist es dem einen oder anderen Besucher unserer Website smartinvestor.de schon aufgefallen. Immer donnerstags – also auch morgen – gibt es unter dem Menüpunkt „Hintergrund/Grafik der Woche“ eine Wirtschaftsgrafik mit Aha-Effekt. Hier kommentieren wir interessante wirtschaftliche Entwicklungen, die über das Tagesgeschehen hinaus aktuell sind. Klicken Sie hier!

Fazit
Letzte Woche warnten wir an dieser Stelle davor, dass nach dem Erreichen „magischer“ Kursmarken „häufig erst einmal die Luft raus“ ist. Heute brach der DAX wieder kraftvoll durch die 10.000er-Grenze nach unten. Das kann noch ein paarmal so hin- und hergehen, bevor eine neue Richtungsentscheidung getroffen wird. Risiko ist eben ein steter Begleiter der Anleger – besonders in luftigen Höhen.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

 

Hinweis auf mögliche Interessenkonflikte:
Ein mit “*“ gekennzeichnetes Wertpapier wird zum Zeitpunkt der Erscheinung dieser Publikation von mindestens einem Mitarbeiter der Redaktion gehalten.

Abonnements:
Ein kostenloses zweimonatiges Kennenlern-Abo des Magazins Smart Investor kann unter Smart Investor Abonnements angefordert werden.

Das Magazin:
Das aktuelle Inhaltsverzeichnis des Smart Investor Magazins ist unter Smart Investor Ausgabe 6/2014 einzusehen.
http://www.smartinvestor.de/produkt/smart-investor-62014

E-Mail-Versand:
Sollten Sie den eMail-Versand abbestellen wollen, so benutzen Sie bitte den Abmelde-Link unter dem Newsletter bzw. schicken uns eine eMail mit dem Betreff “Abbestellen des SIW” an weekly@smartinvestor.de.

Die Charts wurden erstellt mit TradeSignal von www.tradesignal.de und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

Impressum
Smart Investor Media GmbH

Hofmannstr. 7a
81379 München
Tel.: 089/2000 339 – 0
Fax: 089/2000 339 – 39
HRB: 149 664 Amtsgericht München
USt.ID.Nr.: DE207669469
Vertretungsberechtigter Geschäftsführer: Ralf Flierl
info@smartinvestor.de

Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV:
Ralf Flierl

Open all references in tabs: [1 - 6]

Leave a Reply