Sind Kinder berufstätiger Mütter besser in der Schule?

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04. Januar 2016 15:10 Uhr

Psychologie

Diese Studie sorgt für Aufsehen: Kinder berufstätiger Mütter seien später besser in der Schule, hat die Psychologieprofessorin Una Röhr-Sendlmeier herausgefunden. Wieso? Ein Interview.


  1. Familie und Beruf – das ist anstrengend, macht aber oft zufrieden, sagt die Forschung. Foto: Kzenon (Fotolia.com)


  2. Una Röhr-Sendlmeier Foto: Tobias Kuhl

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BZ: Frau Röhr-Sendlmeier, Sie haben vor kurzem in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung die Überblicksstudie "Wieviel Mutter braucht das Kind?" veröffentlicht. Wie lautet Ihre Antwort?
Röhr-Sendlmeier: Das Kind braucht sichere Bezugspersonen. Das sind – vor allem in den ersten Lebensmonaten – naturgemäß die Mutter und das nähere Umfeld. Allerdings ist der Glaube, der hierzulande immer noch weitverbreitet ist, dass die primäre Bezugsperson bis mindestens zur Einschulung ausschließlich die Mutter sein muss, wissenschaftlich nicht haltbar. Das Kind braucht mindestens eine Person, die sehr sensibel auf seine Bedürfnisse eingeht, die seine ersten Äußerungen deuten und seine Bedürfnisse richtig erkennen kann. Über das Stillen hinaus ist es dabei gar nicht so entscheidend, ob das nun die Mutter oder eine andere, liebevolle, einfühlsame Person ist.
BZ: In Deutschland gehen heute immer mehr Mütter arbeiten, die Kinderbetreuung wurde ausgebaut. Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, ab welchem Alter Kitas den Kindern guttun?

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Röhr-Sendlmeier: Ja, ein Kind baut im ersten Lebensjahr sehr wichtige Muster für sein Vertrauen gegenüber seiner sozialen Umgebung auf. Wenn es erfährt, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen wird, entwickelt es feste Bindungen zu seinen Bezugspersonen, etwa zu Mutter, Vater und Oma. Mehrere Bezugspersonen geben vielfältige Anregungen. Allerdings sollten es immer die gleichen Personen sein, ein ständiger Wechsel führt zu Unsicherheit und Ängsten beim Kind. Da wir aus der Forschung wissen, dass Kitakinder häufig einen höheren Stresslevel haben, empfehlen wir im ersten Lebensjahr eine Betreuung in der Familie, die gegebenenfalls durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater ergänzt werden kann. Allerdings müssen einige Bedingungen erfüllt sein, damit eine außerfamiliäre Betreuung dem Kind nicht schadet.

BZ: Welche Bedingungen sind das?
Röhr-Sendlmeier: Erstens: Die Betreuungsperson muss liebevoll und zuverlässig sein und darf nicht öfter wechseln. Zweitens: Die Gewöhnung an die neue Betreuungsperson muss langsam und zu Beginn in Anwesenheit einer festen Bezugsperson stattfinden. Drittens: Die Qualität der Betreuung muss hoch sein, das heißt, dass eine Erzieherin nicht mehr als zwei bis drei Unterdreijährige betreuen sollte, sodass sie angemessen auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen und es anregen kann. Das ist, wie wir wissen, nur in sehr wenigen deutschen Kitas der Fall. Außerdem sollte die außerfamiliäre Betreuung für kleine Kinder nicht mehr als 30 Wochenstunden betragen. Dann sind die Kontakte zu anderen Kindern sehr positiv für die sozial-emotionale Entwicklung.

BZ: Nehmen wir an, die Betreuung des Kindes ist gut, die Eltern arbeiten. Sie behaupten, Kinder berufstätiger Mütter seien später erfolgreicher in der Schule. Wieso?
Röhr-Sendlmeier: Wir können wissenschaftlich belegen, dass im Schnitt Kinder von Müttern, die berufstätig und engagiert sind, bessere Schulnoten haben. Das liegt daran, dass sie ihnen vermitteln, dass Rollenvielfalt etwas sehr Interessantes ist, dass eine außerfamiliäre Aufgabe zudem sehr belohnend sein kann und den Horizont erweitert. Mütter, die im Großen und Ganzen zufrieden mit ihrer komplexen Lebenssituation sind, sind Vorbilder für ihre Kinder. Sie zeigen ihnen, dass man sich selber organisieren muss und Ziele verfolgen kann. Sie leben ihren Kindern genau das vor, was von ihnen in der Schule verlangt wird. Kinder von berufstätigen Müttern erfahren ein günstigeres Umfeld.

BZ: Aber fehlt nicht gerade berufstätigen Eltern oft die Zeit, sich um die Kontrolle der Hausaufgaben zu kümmern?
Röhr-Sendlmeier: Sich intensiv um die Hausaufgaben kümmern, sollten Eltern ohnehin nicht tun, sie sind nämlich in der Regel nicht besonders gut darin. Je älter die Kinder werden, desto weniger günstig ist es, wenn sich die Eltern in die Hausaufgaben einmischen. Schließlich haben ja die Kinder mitgekriegt, was in der Schule läuft, Eltern haben dagegen oft noch ihre eigenen Erinnerungen im Kopf. Hinzu kommt, dass Kinder das ab einem bestimmten Alter gar nicht mehr wollen.

BZ: Sie behaupten, berufstätige Mütter seien ausgeglichener, weil sie von sozialen Kontakten im Beruf und Einkommensvorteilen für die Familie profitieren. Das klingt plausibel. Aber sind diese Mütter nicht auch viel gestresster, weil sie sich ständig zwischen Familie und Beruf zerreißen?
Röhr-Sendlmeier: Das kommt darauf an. Diese Konflikte sind tatsächlich entscheidend – viel entscheidender übrigens als der Arbeitsumfang beider Partner. Besonders viele Konflikte empfinden Mütter und Väter, die eine ganz bestimmte Vorstellung davon haben, was sie speziell als Mutter oder Vater zu leisten haben. Ein Mann, der ein traditionelles Rollenbild lebt, spürt häufig weniger Konflikte, wenn er viel arbeitet und die Kinder selten sieht – für die Kindererziehung ist ja in erster Linie die Frau zuständig. Bei den Müttern ist noch stärker entscheidend, ob sie eine partnerschaftliche oder eine traditionelle Rollenaufteilung leben. Eine Mutter in einer egalitären Partnerschaft hat weniger das Gefühl, dass sie etwas falsch macht, wenn sie zum Beispiel mehr arbeitet. Sie weiß, dass sie Unterstützung hat. Eine Mutter, die aber sagt, Kinder und Haushalt sind meine Aufgaben, hat viel schneller Schuldgefühle, wenn sie einmal eine Aufgabe nicht perfekt erledigen kann. Am wenigsten Konflikte tauchen bei Paaren auf, die ihre Arbeitszeiten flexibel gestalten können. Die dann nach Hause können, wenn die Kinder sie brauchen und die fehlenden zwei Stunden abends oder am Wochenende nacharbeiten können.
BZ: Mütter haben also immer noch oft Schuldgefühle. Die sind sicher nicht gut für die Kinder, oder?
Röhr-Sendlmeier: Richtig. Ein Beispiel: Die Mutter holt das Kind von der Kita ab und sieht, dass der Papa am Morgen Schuhe angezogen hat, die ein bisschen dreckig sind. Sie sagt: ‚Oh, die Schuhe sind ja ganz dreckig. Und das nur, weil die Mama schnell zur Arbeit musste und sich wieder nicht richtig kümmern konnte.‘ Beim Kind bleibt dann hängen: Das mit der Arbeit der Mama, das ist etwas Schreckliches, der Beruf ist ganz schön blöd. Unsere Studien haben gezeigt, dass die Lebenszufriedenheit solcher Kinder stark sinkt. Wenn die Eltern dem Kind allerdings vermitteln: Die Mama und der Papa gehen ins Büro und die Kleinen eben in die Kita oder in die Schule, und später sind alle wieder zusammen, fühlt sich das Kind in der Regel damit wohl.

BZ: Kinder finden die Berufstätigkeit ihrer Eltern dann also gut?
Röhr-Sendlmeier: Ja, das zeigen verschiedene Untersuchungen. Laut dieser Studien sagen die Kinder: Meine Eltern sind besser gelaunt als ohne Arbeit, sie haben mehr zu erzählen, und wir haben mehr Geld.

BZ: Trotzdem ist das Rabenmütter-Phänomen in Deutschland laut Ihrer Studien immer noch verbreitet.
Röhr-Sendlmeier: Ja. In Deutschland gibt es eine lange Tradition der Vorstellung, dass die Mutter eng zum Kind gehört – ganz im Gegensatz zu anderen Ländern. Seit den 68er-Jahren haben sich dann zwei gegenläufige Strömungen herauskristallisiert, die beide eine Vereinbarung von Familie und Beruf unmöglich erscheinen lassen: Die feministische, die sagte,,Frauen, bindet euch kein Kind ans Bein, sonst seid ihr nicht konkurrenzfähig und könnt euch nicht selber verwirklichen.’ Und die traditionelle Strömung, die weiter der Meinung war, dass ,die Frau nach Hause zu den Kindern gehört’. Im privaten Bereich hören das Frauen heutzutage immer noch. Öffentlich wird es allerdings nicht mehr oft gesagt. Die niedrige Geburtenrate, die fehlenden Fachkräfte haben Zweifel aufkommen lassen, ob ein einseitiges Modell tatsächlich Sinn macht. Und die meisten Frauen wollen weder auf Kinder noch auf ihren Beruf verzichten.

BZ: Mütter, die sich bewusst gegen eine Berufstätigkeit entscheiden, beklagen aber heute oft das Gegenteil: Nicht mehr berufstätige Mütter würden verunglimpft, sondern zunehmend die nicht-berufstätigen. Können Sie dieser Vermutung zustimmen?
Röhr-Sendlmeier: Was wir derzeit in Deutschland beobachten, ist, dass jede Mutter das Modell einer anderen Mutter als Angriff auf ihr eigenes sieht. Eine Mutter, die voll berufstätig ist und ein Kindermädchen angestellt hat, sieht es als Affront, wenn die Teilzeitmutter sagt, ich nehme mir auch viel Zeit für meine Kinder. Die Teilzeitmutter sieht es als Angriff, wenn ihr gesagt wird: ,Was ist denn mit deiner Rente?’ Und die Vollzeitmutter denkt, die anderen hielten sie für dumm, weil sie bewusst bei den Kindern bleibt. Da herrscht viel Misstrauen und wenig Toleranz. Laut unserer Studien ist das verwunderlich. Sie zeigen nämlich, dass nicht das Modell entscheidend ist, sondern die Lebenszufriedenheit. Ist diese hoch, tut das der Familie gut. Egal, ob die Mutter arbeitet oder nicht. Allerdings zeigen verschiedene Studien, dass nur sechs bis zehn Prozent der Mütter zufrieden damit sind, ganz zu Hause zu bleiben.

BZ: Ein Fazit Ihrer Studie lautet: Das egalitäre Modell – Mutter und Vater arbeiten, teilen sich Kindererziehung und Haushalt – tut den Kindern gut. Welche Forderung ergibt sich daraus für Politik und Wirtschaft?
Röhr-Sendlmeier: Flexiblere Arbeitsmodelle müssen besser möglich gemacht werden. Arbeitgeber müssen ihren Arbeitnehmern mehr vertrauen. Ich habe persönlich damit sehr gute Erfahrungen gemacht – fast alle meiner Mitarbeiter haben Kinder und arbeiten flexibel. Mütter und Väter sollten so viel arbeiten, wie ihnen gut tut. Die Kinderbetreuung muss ausgebaut werden, vor allem muss an den Qualitätsstandards gearbeitet werden. Erzieher müssen eine bessere pädagogische und auch akademische Ausbildung erhalten. Das ist in anderen Ländern längst Standard. Und Väter, die sich auch in der frühkindlichen Erziehung einbringen, müssen gesellschaftlich besser akzeptiert werden.

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Autor: Ines Alender

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