"Schlechtes MP3": Eine Frage der Psychologie?

Ein Kopfhörer auf einem Ohr.

dpa

Vor über 20 Jahren hat der Elektrotechniker Karlheinz Brandenburg das Dateiformat MP3 erfunden. Die Audiodateien sind heute weltweit verbreitet, dennoch wird ihre Qualität oft kritisiert. Brandenburg kontert: Soundqualität habe in vielen Fällen etwas mit Erwartungen zu tun und sei somit mehr eine Frage der Psychologie als des Gehörs.

Technologiegespräche Alpbach
22.06.2014

Kritik übt der Leiter des Fraunhofer Instituts für Digitale Medientechnologie an der modernen Architektur: Die Vorliebe für glatte Flächen führe zu einer Weiterleitung des Schalls, die unser Gehirn überfordert, meint er im Interview mit science.ORF.at.

science.ORF.at: Sie waren an der Erfindung einer bahnbrechenden Sache beteiligt, der Entwicklung des MP3s. Rückblickend betrachtet: Was hat Ihnen das als Forscher gebracht?

Karlheinz Brandenburg: Das ist natürlich der Traum eines jeden Forschers - an etwas intensiv mitzuarbeiten, was dann von Milliarden Menschen genutzt wird. Das Thema hat mich dann aus verschiedenen Blickwinkeln nicht mehr losgelassen. Es gab einerseits weitere Arbeiten an der Audio-Codierung, nicht nur was das Format MP3 betrifft, sondern auch AAC. Also die Verfahren, die beispielsweise Apple für den iTunes-Musicstore nützt.

Zudem habe ich seit knapp 15 Jahren eine Professur an der Technischen Universität Ilmenau und bin Leiter des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT, das sich auch mit diesen Themen beschäftigt. Ich kam von der Grundlagenforschung in die Anwendung und nun schließt sich der Kreis gewissermaßen wieder. Denn jetzt machen wir auch wieder Grundlagenforschung. Und zwar in der Hinsicht, wie Gehör und Gehirn funktionieren oder wie wir Klang im Raum wahrnehmen.

Karlheinz Brandenburg; MP3-Erfinder; Fraunhofer Institut IDMT

Fraunhofer IDMT

Zur Person:

Karlheinz Brandenburg ist Leiter des Fraunhofer Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT in Illmenau und war maßgeblich an der Entwicklung des Audiodatei-Formatas MP3 beteiligt. Zudem leitet er das Fachgebiet Elektronische Medientechnik an der Technischen Universität Illmenau. Er ist außerdem Mitglied verschiedener internationaler Standardisierungsgremien und Träger zahlreiche Forschungspreise und Auszeichnungen.

Technologiegespräche Alpbach:

Von 21. bis 23. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Forschung und Innovation: At the crossroads“. Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Karlheinz Brandenburg wird am Arbeitskreis „Akustik-Innovationen: Trend in Industrie und Alltag" teilnehmen.

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Wie ist die Erfindung damals entstanden? Und welches Umfeld braucht es dafür - sowohl wissenschaftlich als auch sozial?

Begonnen hat es in Erlangen mit einer Idee meines späteren Doktorvaters Professor Seitzer. Der meinte schon in den 70er Jahren, dass es möglich sein müsste, in Zukunft über Telefonleitungen bessere Qualität, also auch Musik, zu übertragen. Als er das damals zum Patent anmelden wollte, hat der Patentprüfer - nach damaligem Stand der Technik berechtigterweise - gemeint, dass das unmöglich sei. So hat Professor Seitzer nach einem Doktoranden gesucht, der sich das näher anschaut. Ich stand zur Verfügung, nahm mich des Themas an - und war viel erfolgreicher, als ich selbst anfangs gedacht hatte. Das war der Erlanger Anfang der Geschichte.

Und darüber hinaus?

Gleichzeitig ist an verschiedenen Stellen der Welt auch die Idee entstanden, dass so etwas möglich sein müsste. Und aus einer einzelnen Doktorarbeit wird noch kein internationaler Standard. Ohne die Unterstützung des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen und entsprechende öffentliche Förderungen hätten wir nicht die notwendigen Ressourcen gehabt, ordentlich an dem Thema zu arbeiten. So hatten wir auch die Chance, mit anderen Gruppen auf der Welt zusammen zu arbeiten.

Ein wesentliches Leitmotiv war für uns immer, nicht nur intern als Team zu arbeiten, sondern uns auch externe Verbündete zu suchen. Selbst wenn es einmal Rückschläge gab, haben wir immer geschaut, dass wir auch Ideen von anderen miteinbeziehen und darauf achten, dass diese Leute auch etwas davon haben, wenn sie sich einbringen. Wir haben immer versucht auch nach außen die "Good Guys" zu sein.

Ärgern Sie sich manchmal, dass Sie nicht gleich ein ganzes Produkt zum Patent anmelden konnten, etwa einen MP3-Player? Dann würden Sie Milliarden einnehmen - das macht jetzt Apple.

An dieser Stelle gibt es ja die ganze Wertschöpfungskette. Wir haben von Anfang an Wert darauf gelegt, dass zu neuen Erfindungen auch Patente angemeldet werden. Der Patentpool zu MP3 und AAC lebt heute noch. Die Fraunhofer Gesellschaft erzielt daraus jedes Jahr Einnahmen im hohen zweistelligen Millionenbereich - das heißt es gibt keinen Grund sich zu ärgern. Nach deutschen Maßstäben war es finanziell ein großer Erfolg. Die Leute bei Apple waren zum richtigen Zeitpunkt die Besten, das muss man neidlos anerkennen.

Besitzen Sie selbst einen iPod?

Nachdem ich ein bisschen gebraucht habe, habe ich angefangen, solche Geräte zu sammeln. Deshalb habe ich mittlerweile ein kleines Museum an MP3-Playern zu Hause, einschließlich mehrerer iPod-Modelle. Inzwischen habe ich auch einen Gutteil meiner CDs und der Musik, die ich über verschiedene Portale gekauft habe, auf die Player gespielt.

Und was hören Sie?

Wenn ich selber Musik höre, dann ist das eine relativ bunte Mischung. Man muss eher fragen, was ich nicht mag. Das wäre etwa Hard-Rock. Ich höre lieber die langsamen Sachen. Aber das geht von aktueller Popmusik über die Beatles bis hin zur klassischen Musik - ausgenommen Opern, die fand ich noch nie so toll. Aber es geht meistens wild zwischen den Genres hin und her.

Hören Sie selbst den Unterschied zwischen einem MP3 und einem WAV-File?

Das kommt auf die Bitrate und das Musikstück an. Meine Ohren sind auch schon ein bisschen älter, ich bin inzwischen nicht mehr der ganz kritische Hörer. Andererseits kenne ich natürlich die Schwachstellen von MP3, es gibt Bereiche wo die Unterschiede hörbar sind.

Wenn etwa per Internetradio mit zu geringen Bitraten gesendet wird, dann zieht es mir - wie man so schön sagt - die Zehennägel hoch. Das ist deutlich zu hören. Als ich noch jünger war, konnte ich bei 192 Kilobit pro Sekunde sehr zuverlässig die Unterschiede hören. Da ist AAC übrigens deutlich besser.

Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass Jugendliche heutzutage lieber MP3s hören, als andere Formate.

Diese Untersuchungen sind heißt umstritten, weil da methodisch oft unsauber gearbeitet wurde. Fakt ist, dass die Tonqualität, die den Menschen heute ermöglicht wird, mit MP3 bei höheren Bitraten oder AAC deutlich besser ist, als alles, was in meiner Jugendzeit möglich war.

Dieser Effekt, dass Leute über schlechte Tonqualität klagen und meinen, dass alles schlechter geworden sei, hängt viel mehr mit Psychologie zusammen. Auch daran wird inzwischen intensiv geforscht. Der persönliche Klangeindruck hat sehr viel mit Erwartungen zu tun. Wenn Leute für 2.000 Euro ein Kabel kaufen, weil ein Freund behauptet, dass damit die Musik besser klingt - dann wird sie subjektiv viel besser klingen. Man darf nur keinen Blindtest machen.

Was wird Ihrer Meinung nach, die nächste bahnbrechende Innovation im Bereich der Audiodaten bzw. der Akustik sein?

Eine Entwicklung, die jetzt schon seit einiger Zeit läuft und in bestimmten Bereichen schon in der Standardisierung ist, kann man unter dem Stichwort 3D-Audio zusammenfassen. Es geht darum, mit vielen Lautsprechern einen Rundum-Klang zu erzeugen, sodass ich das Gefühl habe, akustisch mitten in einer Szene zu sein. Da wird sich noch Einiges tun. Generell wird uns die Frage des Klangs im Raum noch sehr viel beschäftigen.

Darunter fällt etwa der gerichtete Klang, der gerichtete Schall oder auch das Noise-Cancelling - also die Verminderung von unerwünschtem Schall. Ein anderer Bereich, an dem weltweit - und auch bei uns am Fraunhofer IDMT - intensiv geforscht wird, ist der Bereich der automatischen semantischen Analyse von Multimedia-Daten. Da kann es beispielsweise um die simple Frage gehen: Wie finde ich unter den Millionen an Musikstücken genau das, was mir gefällt - ohne dass ich mühevoll alle Lieder anhören muss.

Es gibt ja auch diese Apps, die Musikstücke erkennen. Wie funktionieren die?

Das sind relativ einfache Verfahren. Wir haben unter dem Schlagwort "Audio-ID" schon vor zehn Jahren so eine Technik entwickelt. Das ist eine Art "Finger-Printing"-Verfahren bei dem aus einem Musikstück bestimmte Eigenschaften mit einer relativ geringen Datenmenge transkribiert werden. Diese speichern beispielsweise den Verlauf der Lautstärken und andere globale Daten, die ich in der Musik habe.

Mit dem Mikrofon im Handy wird ein Teil des Musikstücks aufgenommen, ein Finger-Print wird erzeugt und mit vielen anderen verglichen. Das funktioniert wissenschaftlich so zuverlässig, dass ich das Grundproblem als ein Gelöstes betrachte und niemandem zuraten würde, da noch mehr Aufwand in die Forschung zu stecken.

Der Arbeitskreis, an dem Sie in Alpbach teilnehmen werden, dreht sich um "Akustik Innovationen, Trends in Industrie und Alltag". Heute sind wir täglich einer Vielzahl an akustischen Reizen ausgesetzt. Inwiefern macht das auch für Sie interdisziplinäre Arbeit notwendig?

Das ist bei uns ganz eindeutig ein Thema. In der Frage, wie Gehör und Gehirn funktionieren, können uns die Neurowissenschaften einiges erklären. Dann gibt es auch den Bereich der Psychoakustik, der ganz wichtig ist. Wie ich vorher bereits erwähnt habe: Warum glaubt jemand, dass man mit einem sehr teuren Kabel besseren Klang haben kann? Das sind Mechanismen, die man nicht mit der Mechanik des Gehörs erklären kann und die man schon gar nicht in den Signalen selbst findet. Das hat wirklich mehr mit Psychologie zu tun.

Der Alltags-Lärmpegel in Städten ist heutzutage sehr hoch - welche Auswirkungen hat das auf das Zusammenleben von Menschen und auch auf den Einzelnen?

Der Lärmschutz ist ein Dauerthema und sollte auch nicht vernachlässigt werden. Wobei das Themen sind, die wir am Fraunhofer-Institut in Ilmenau eher aus der Entfernung verfolgen. Ein Beispiel, dass sich jetzt nicht auf den Straßenlärm bezieht aber gut zu Ihrer Frage passt, ist die Akustik von Gebäuden. Es ist leider so, dass moderne Architektur immer mehr mit glatten Flächen arbeitet, die dann - wie wir Akustiker sagen -"schallhart" sind. Der Schall wird reflektiert und kommt aus verschiedenen Richtungen an die Ohren.

Dadurch wird unser Gehirn, beim Versuch Sprache zu verstehen, überbeansprucht. Es gibt zum Beispiel auch Normen dafür, wie Schulzimmer aufgebaut sein sollen. Untersuchungen zeigen, dass diese Normen häufig verletzt werden. Das heißt, dass Kinder Lernschwierigkeiten haben, weil einem Architekten bestimmte Gestaltungselemente besser gefallen und er gar nicht daran gedacht hat, dass das Lernen dadurch beeinträchtigt wird.

Insgesamt geht es im Bereich der Akustik stark um Gewohnheiten. Kürzlich gab es auch große Aufregung darum, dass die Formel 1-Autos zu leise wären.

Da gibt es ja die berühmten Untersuchungen, dass leise Staubsauger irgendwie schlecht verkäuflich waren, weil die Leute geglaubt haben, diese würden schlechter saugen. Es ist also in jedem Bereich eine Sache der persönlichen Gewohnheit. So gesehen habe ich kein Problem mit leisen Formel 1-Autos. Denn mich persönlich ärgert es, wenn ich einen lauten Motor höre.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

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