Schlecht gebrÃ?llt, Löw – saarbruecker

Das Schöne am Fußball ist, dass jeder mitreden kann. Deshalb gibt es allein in Deutschland mindestens 40 Millionen Bundestrainer und Psychologen, die genau wissen, was da am Dienstagabend im Berliner Olympiastadion passiert ist. Als ein glanzvolles Team mit kraftstrotzenden Ballzauberern von einem Augenblick zum anderen die Fassung verlor und sich scheinbar hilflos seinem Schicksal ergab.

Erst einmal muss man Jogis Jungs aber danken: für eine Fußballstunde der Extraklasse, für traumhafte Kombinationen und sportliche Dominanz. Zudem für reichlich Diskussionsstoff an Stammtischen und in Betriebskantinen, für tolle Bilder, knackige Schlagzeilen und vielleicht sogar ein bisschen Nationalstolz. Bis zum 4:0 haben die deutschen Spieler jedenfalls alles richtig gemacht, weshalb sie einen gewissen Anspruch erheben können, nach diesem Einbruch in der letzten halben Stunde eines historischen Matches nicht auch noch von den Medien vermöbelt zu werden.

Andererseits hat das Team ein ganzes Land in kollektive Verwirrung gestürzt, steht der deutsche Sportsfreund nach diesem unglaublichen 4:4 gegen zweitklassige Schweden vor den Trümmern seiner Illusion, die Nationalmannschaft sei eigentlich reif für jeden Titel und kicke so brasilianisch, dass man sich selbst an der Copacabana warm anziehen müsse. Schon bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine war der Fan-Traum vom Sommermärchen geplatzt nach den überdehnten Erwartungen, die jene Jungs ja erst geweckt hatten. Was also ist los mit der Psyche von Jungmillionären in kurzen Hosen, die immer dann schwächeln, wenn es ernst wird?

Womöglich ist es die Psychologie des Erfolgs, die den Spielern zu schaffen macht. Der Fachausdruck heißt Ambiguitätstoleranz. Sie dient als Erklärungsmuster dafür, dass der Mensch Unsicherheiten und Widersprüche ("Wir waren klar besser, wieso überrennen die uns jetzt?") aushalten und richtig darauf reagieren kann. Löws Offensivkünstler wollten einfach weiterspielen wie bisher, statt den schwedischen Mentalitätswandel mit deutschen Tugenden, italienischer Verzögerungstaktik und spanischen Ballstafetten zu parieren. Doch nicht nur "Führungsspieler" wie Lahm und Schweinsteiger versagten in diesem kritischen Moment ab der 60. Minute, auch der verantwortliche Coach am Seitenrand blieb still - und wechselte dann auch noch taktisch falsch aus. Schlecht gebrüllt, Löw.

Immerhin lässt sich dem denkwürdigen Unentschieden etwas abgewinnen, nämlich die Erkenntnis, dass Schönspielen allein nicht ausreicht. Spitzenniveau braucht auch einen Schuss Souveränität. Denn Erfolg, das weiß seit Dienstag jedes Kind, spielt sich auch im Kopf ab.

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