Schizophrenie als Defekt der Seelen-Cloud? | Christiane Kostarellos, M.A.

Dieses Interview mit dem Wissenschaftsphilosophen Manfred Berner führten Susanne Frisch und Christiane Kostarellos von Psychologie aktuell und dem Psychologie Blog exklusiv für die Huffington Post.

Schizophrenien, Psychosen und Wahnzustände sind sehr schlimme und belastende Erkrankungen. Wir haben mit dem Philosophen Manfred Berner über seine Sicht auf diese Phänomene gesprochen und höchst erstaunliche Antworten erhalten.

Susanne Frisch: Sie sind Philosoph und haben eine alternative Theorie zur Ursache von psychotischem Erleben entwickelt. Was genau haben sie herausgefunden?

Manfred Berner: Zunächst mal eine Richtigstellung. Ich habe eine Hypothese entwickelt, nichts herausgefunden! Das ist ein wichtiger Unterschied.

Susanne Frisch: Gut! Also, welche Hypothese haben sie aufgestellt?

Manfred Berner: Schauen Sie, wir haben es bei psychotischem Geschehen mit etwas sehr Sonderbarem zu tun. Innerhalb eines so genannten Wahngebäudes gibt es oft eine höchst erstaunliche Binnenlogik. Außerdem beschreiben Betroffene die Stimmen und Halluzinationen, die sie erleben als etwas sehr Reales. Ja sogar teilweise als etwas Wissendes und Intelligentes. Keine der anerkannten psychologischen Theorien kann die Schlüssigkeit und Intelligenz dieser Phänomene hinreichend erklären. Es ist auch theoretisch nicht logisch, dass ein Ungleichgewicht an Neurotransmittern im Gehirn eine eigene Intelligenz und quasi neues Wissen hervorbringt.

Susanne Frisch: Wollen Sie damit sagen, dass psychotische Halluzinationen immer intelligent und stringent sind?

Manfred Berner: Nicht immer, natürlich nicht, aber doch häufig. Allerdings wurzeln diese psychotischen Halluzinationen gleichzeitig nicht in unserer Realität wie wir sie kennen. Sie sind oft nah am Eigentlichen und doch fremd, ähnlich wie ein Traum - vertraut und fremd zugleich ist. Das ist gar nicht unähnlich den Erfahrungen, die Menschen auf LSD-Trips oder manch anderen Drogen machen: Sie haben oft eine ziemlich schlüssige Binnenlogik.

Susanne Frisch: Was ist eine Binnenlogik?

Manfred Berner: Sehr vereinfacht gesagt versteht man darunter eine Logik, die in sich schlüssig ist, jedoch mit unserer äußeren Realität und ihren Grundannahmen nicht kompatibel ist. Also etwas, das in sich logisch ist, aber eben nicht im Abgleich mit der äußeren Realität. Im Grunde wie Fantasy Filme, die in der Regel auch in sich logisch sind, aber nicht wahr und real im eigentlichen Sinne.

Susanne Frisch: Ok, aber was hat das mit psychotischem Erleben zu tun?

Manfred Berner: Sehr viel. Denn auch in psychotischem Erleben kann man eben oft eine solche schlüssige Binnenlogik und fantastische Realitätsbezüge erkennen. Nicht zuletzt deswegen fällt es den Erkrankten auch so schwer einzusehen, dass sie krank sind.

Susanne Frisch: Aber was ändert diese Erkenntnis? Der Realitätsverlust wird dadurch doch nicht besser!?

Manfred Berner: Das stimmt, aber es ergeben sich philosophische Implikationen daraus.

Susanne Frisch: Welche?

Manfred Berner: Nun, wenn man einerseits Psychotiker hat, die Dinge sehen und hören, die oft gar nicht mal so dumm oder wirr sind - und andererseits man die gleichen Erfahrungen bei Menschen hat, die bestimmte Drogen nehmen, dann stellen sich Fragen, die bisher nicht beantwortet werden konnten: Was oder wen sehen diese Menschen?

Susanne Frisch: Niemanden! Sie bilden sich das alles nur ein, unfreiwillig natürlich.

Manfred Berner: Sicher? Woher stammt dann die Binnenlogik, woher kommen die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen Erkrankten sowie Drogentrips, Psychotikern und dem was so genannte Schamanen berichten?

Susanne Frisch: Sie werden es uns sicher gleich verraten, aber ich fürchte Ihre Antwort wird esoterisch ausfallen.

Manfred Berner: Lassen wir doch mal diese Etiketten beiseite und erinnern uns einfach an einen der Urväter der Psychotherapie, an C.G. Jung. Dieser hat postuliert, dass es unterhalb des eigenen Unbewussten ein kollektives Unbewusstes gibt, mit dem unser individuelles Unbewusstes interagiert.

Susanne Frisch: Schwer vorstellbar!

Manfred Berner: Keineswegs. Gehen wir es ganz praktisch an: Ich sehe, Sie haben ein iPhone. Benutzen Sie die iCloud?

Susanne Frisch: Ja.

Manfred Berner:
Das ist das kollektive Unbewusste des C.G. Jung!

Susanne Frisch: Wie bitte? Sie meinen, wir alle uploaden unsere eigenen Erinnerungen und Gefühle in eine Art Cloud?

Manfred Berner: Das sage nicht ich, das sagte C.G. Jung, wenn auch nicht dermaßen vereinfacht. Aber im Groben: Ja. Das ist das kollektive Unbewusste.

Susanne Frisch: Lassen Sie mich raten, Sie meinen also, Psychosen haben mit dieser Cloud zu tun?

Manfred Berner: Ja. Ich kann mir ein Modell vorstellen, bei dem man davon ausgeht, dass Psychosen so etwas sind wie Software-Defekte sind, die Inhalte aus dem kollektiven Unbewussten - also aus der kollektiven seelischen Cloud - fehlerhaft abrufen oder nicht ausreichend filtern. Das würde bedeuten, aus der Jung'schen Seelen-Cloud gerät Content fälschlicherweise auf den Desktop des Bewusstseins - da haben Sie dann Ihre Halluzinationen.

Susanne Frisch: Mit Verlaub, das klingt völlig abgedreht. Ich halte mich dann doch lieber an die schuldmedizinischen Erkenntnisse. Was Sie herbeispekulieren ist doch reine Science-Fiction!

Manfred Berner: Mag sein. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es eine Hypothese ist, die mit den Theorien des C.G. Jung vereinbar ist.

Susanne Frisch: Und wie hilft das in der Therapie?

Manfred Berner: Gar nicht. Aber es hilft zu verstehen, was da vor sich gehen könnte, wo die oftmals sehr intelligent wirkenden Halluzinationen ihren Ursprung haben könnten. Psychotische Halluzinationen wären nach diesem Modell quasi die Folge eines fehlerhaften Zugreifens oder Durchbrechens von Inhalten der Cloud auf den Desktop des Bewusstseins.

Susanne Frisch: Verrückt, aber faszinierend! Danke für dieses Gespräch.

Buchtipp (schulmedizinisch):
Psychiatrie für Laien. (ISBN: 978-3734783289)

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