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Saudische Todesküsse

Das geliebte Kamel soll Überträger des hochgefährlichen Mers-Virus sein. Saudiarabiens Regierung wollte es lange Zeit nicht wahrhaben – und ist nun mit aufgebrachten Bürgern konfrontiert.

Die schönsten Zuchttiere bringen ihren Besitzern auf dem saudischen Kamelmarkt ein Vermögen ein.br /Foto: Martin Sasse (Laif)

Die schönsten Zuchttiere bringen ihren Besitzern auf dem saudischen Kamelmarkt ein Vermögen ein.
Foto: Martin Sasse (Laif)

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Es gibt Herrenrunden, die ihre Begeisterung für das andere Geschlecht verhaltener äussern. Diese überbietet sich in Schwärmereien. «Gott, wir lieben sie», erklärt einer. «Wir umarmen sie», übertrumpft ihn ein anderer. «Wir würden uns für sie hingeben», der Dritte.

Nicht wegen des Geldes oder des Ruhms liegen sie den Angebeteten zu Füssen. «Für uns zählt nur die Schönheit», beteuern die Männer. Ausladend soll die Unterlippe sein, flach der Rücken vor dem Höcker. So wie bei Wahida, der schwarzen Stute. Für den Züchter Oraji al-Dosari ist sie unvergleichlich: «Ich habe nicht geheiratet, weil ich sie für die Hochzeit verkaufen müsste. Da bleibe ich lieber allein. Bei Wahida.»

Die fünf Männer haben sich auf einem Acker am Stadtrand von Riad zusammengesetzt. Zur Runde gehören ein Offizier, ein Lehrer, ein Mitarbeiter des Innenministeriums, der Bodyguard eines saudischen Prinzen und Oraji. Er trägt eine schwarze Brille und die schwarze Schnur über dem weiss-roten Kopftuch verwegen schräg. Sie alle sind Dosari, Angehörige jenes Stammes, dessen Liebe zum einhöckerigen Dromedar legendär ist.

Das Kamel im Epizentrum

Abends nach der Arbeit, wenn die Glut des Tages weicht, fahren sie in klimatisierten SUVs hierher, zu Datteln und Tee auf abgewetzten Teppichen. Das saudische Freizeitangebot ist selbst für Männer überschaubar. Manche treffen sich auf eine Wasserpfeife, andere entspannen bei Computerspielen. Die Dosari chillen zwischen Kamelen mit ihren Fohlen, ihrem Brüllen, ihren Glupschaugen.

Sie tun dies schon lange und noch immer, obwohl nichts mehr ist, wie es einmal war. Saudiarabien ist das Epizentrum des Mers-Corona-Virus, 282 Menschen sind hier an dem neuen Erreger gestorben, von 311 weltweit. Auch in Jordanien, Oman und Kuwait, in den USA und Europa sind schon Menschen daran erkrankt. Mers ist die Abkürzung für Middle Eastern Respiratory Syndrom, Nahöstliches Atemwegssyndrom. Übertragen wird es – darauf deuten alle Studien hin – durch das Kamel.

«Aaach, alles Blödsinn», ereifert sich Oraji. Das Gesundheitsministerium hat die Menschen gewarnt: Sie sollen Masken tragen, das Kamelfleisch kochen und die Kamelmilch auch, gerade sie steht unter Verdacht. Oraji aber setzt sich demonstrativ über die Warnungen hinweg. Er küsst Wahida auf das weiche Maul, dann schüttelt er Kamelmilch, frisch gemolken, mit etwas Eis schaumig. «Die reinigt den Magen», behauptet er, «jeden Tag ein Liter, und du wirst wie neu!» Übermütig kippt die Runde ihr Lieblingsgetränk. Dann sticheln sie gegen die Regierung. Handschuhe tragen, Milch kochen, desinfizieren! Sonst noch was?

In jedem anderen Land wären dies kindische Ausbrüche von Autoaggression. In Saudiarabien aber schulden die Menschen ihrem König laut Verfassung «Unterwerfung und Gehorsam in leichten und in schweren Zeiten». Illoyalität wird mit Haft und Peitsche geahndet. Hier kommen Kamelküsse fast einem Aufstand gleich.

Statussymbol und Geldanlage

«Wo wäre unser Land denn ohne Kamele?», fragt einer in der Dosari-Runde. Abdul Asis, genannt Ibn Saud, der Gründer des märchenhaft reichen Familienunternehmens namens Saudiarabien, ritt Anfang des 20. Jahrhunderts aus Kuwait nach Riad, auf einem Dromedar, um sein Stammesland zurückzuerobern. Ein Schönheitswettbewerb für Kamele trägt heute seinen Namen. Kein Mensch, kein Pferd, kein Falke hält aus, was ein Kamel aushält. Sie kommen tagelang ohne Nahrung und Wasser aus, passen ihre Körpertemperatur der Hitze an. Selbst der Koran erwähnt das Kamel. Es ist Statussymbol und Geldanlage, manche Hengste bringen Millionen. Das Fern­sehen überträgt die Rennen, bei denen manchmal Roboterjockeys auf die Tiere geschnallt werden wie Lego-Männchen. Für Saudis ist ein Angriff auf das Dromedar, als wollte man den Deutschen Dackel und Auto gleichzeitig wegnehmen.

Vor wenigen Generationen noch war Saudiarabien ein vergessener Wüstenstrich. Dann wurde Erdöl entdeckt und die vormoderne Gesellschaft ins Übermorgen katapultiert mit Glitzertürmen, iPad und Pizza Hut. Es hat die Liebe zum Kamel nur gesteigert, genauer gesagt, die Liebe zum arabischen Kamel, dem einhöckerigen Dromedar. «Es verbindet uns mit der Vergangenheit», sagt Oraji. Die Dosari fahren mit ihren Familien am Wochenende zu den Kamelen in die Wüste, selbst wenn man Eier auf dem Autodach braten kann. «Wenn wir eines Tages kein Öl mehr haben, kehren wir zurück zu den Kamelen. Wir brauchen nichts anderes», schwören sie. Und das Virus? «Unsere Gross­väter sind im Kampf für ihre Kamele gestorben. Sterben wir eben an Corona.»

Es begann vor zwei Jahren. Ein 60-jähriger Geschäftsmann und Kamelbesitzer hustete und fieberte plötzlich schwer. Er wurde ins Suleiman-Fakih-Spital in Jidda eingeliefert. Dort fand ihn der ägyptische Virologe Ali Mohammed Saki. Der Geschäftsmann war der «Patient null» – und Dr. Saki «der Einzige», wie er selbst sagt, «der die Geburt eines neuen Virus erkannte».

«Sie haben mich bestraft»

Der Geschäftsmann hatte Atembeschwerden, die Nieren versagten. Elf Tage nach der Einlieferung starb er. Woran? Dieser Frage ging der Virologe in ­seinem Diagnoselabor nach. Er schickte Hustensekrete des Patienten an das Gesundheitsministerium in Riad. «Sie testeten auf H1N1, auf Schweinegrippe», sagt er. Negativ. Saki versuchte Hanta-Virus, Influenza A und B, Parainfluenza. Cytomegalo, ein Herpes-Virus. Entero. Adeno. Masern. Mumps. Nichts. Dann prüfte er auf Corona.

Der Erreger von Sars, dem Schweren Akuten Respiratorischen Syndrom, dem 2003 fast 800 Menschen zum Opfer fielen – die meisten in Fernost –, ist ein Corona-Virus. Aber das hier war anders. Saki schickte Proben ans Erasmus Medical Center in Rotterdam. Die Antwort: ein unbekanntes Virus. Saki alarmierte Promed, die Datenbank der Internationalen Gesellschaft für Infektionskrankheiten. Gerne würde er bei der Erforschung des neuen Corona-Virus mit anderen zusammenarbeiten, schrieb er. Dann veröffentlichte er mit niederländischen Kollegen einen Artikel im «New England Journal of Medicine». Es war das Ende seiner 19-jährigen Karriere in Jidda.

Ein staubiger Wind weht durch eine zerbrochene Fensterscheibe in die Ain-Shams-Universität in Kairo. Zweimal in der Woche unterrichtet Dr. Saki hier an der Fakultät für Mikrobiologie, er hat nicht einmal ein Büro. «Sie haben mich bestraft», sagt er, «einige im saudischen Gesundheitsministerium wollten den Ruhm über die Entdeckung für sich allein.» Als er vor zwei Jahren in den Ferien in Ägypten war, rief ihn der Spitaldirektor aus Jidda an: Er solle bitte kündigen und nicht zurückkehren.

Es gibt 25 Millionen Kamele

Für Forscher in anderen Ländern ist Saki ein Pionier. Auch saudische Ärzte geben zu, dass er sich nichts zuschulden kommen liess, dass sein Vorgehen internationalen Gepflogenheiten entsprach. Aber Saudiarabien funktioniert nicht wie andere Länder, und das macht die Geschichte des Mers-Virus so aufschlussreich. Potenziell stellt das neue Virus eine Gefahr weltweit dar. Das verlangt nach Offenheit und Kooperation über die Grenzen hinweg. Saudiarabien, diesem zugeknöpften Land, fällt das schwer.

Noch hat die Weltgesundheitsorganisation nicht den Notstand ausgerufen. Noch ist Mers keine Pandemie, keine weltweite Seuche. Zum Glück für die Menschheit ist Mers, anders als Sars, eher träge. Dafür ist das Virus gefährlicher. 40 Prozent der Infizierten sind gestorben. Kamele gelten als Überträger, aber es ist unklar, ob sich das Virus über Flüssigkeiten verbreitet – etwa beim Küssen – oder durch die Milch. Es gibt 25 Millionen Kamele auf der Welt. Sind alle betroffen? Eine weitere Quelle scheinen Fledermäuse zu sein. Gibt es noch andere?

Offenbar ist das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar, aber nicht besonders schnell. Was, wenn es mutiert? Lange gab es nur vereinzelte Neuerkrankungen, erst diesen Frühling schnellten die Zahlen hoch. Und sanken dann in Saudiarabien wieder: auf vier Neuerkrankungen am Tag. So schien es, bis die ganze Bilanz korrigiert werden musste. Die Regierung hatte mehr als 100 Todesfälle «übersehen». Nicht 190, sondern 282 Menschen im Land sind bislang am Virus gestorben.

Die saudischen Behörden bemühen sich endlich ernsthaft, die Krankheit einzudämmen. Der Gesundheitsminister, der noch im April behauptete, es gebe keinen Grund für eine Präventionskampagne, wurde entlassen. Vizegesundheitsminister Siad Memisch, der wahrscheinlich für Sakis Verstossung verantwortlich ist, musste dieser Tage ebenfalls gehen. Heute veröffentlicht das Gesundheitsministerium auf seiner Webseite nicht nur die aktuellen Infektionszahlen und Todesfälle, «Möge Gott ihnen gnädig sein», sondern auch Informationen über Symptome, Verbreitung und Vorsorge: Obst und Gemüse waschen, mit den Händen nicht in den Augen reiben, in den Ärmel husten oder in ein Taschentuch. Solche Sachen. Am Flughafen, im Fernsehen, im Radio klärt die Regierung auf. Sie schickt sogar SMS. Die Zeitungen debattieren, ob die Vollverschleierung der Frauen als Atemschutz gelten kann (nein), ob Imame gegen das Virus predigen (ja), ob Wasserpfeifen es verbreiten (vielleicht).

Der nächste Hadsch im Oktober

Zwei Jahre habe man Zeit gehabt, um Gegenmassnahmen zu entwickeln, aber sie nicht genutzt, nun habe man den Schlamassel, sagt eine Frau in Riad. Und eine Mutter in Jidda klagt: Sie habe ihre Tochter mit Fieber ins Spital gebracht, in der Klasse habe es einen Mers-Verdachtsfall gegeben, «aber meine Tochter sass zwischen anderen hustenden Kindern, als wäre nichts». Nur: Die Spitäler gelten als Brutstätten der Infektion. Die Hygiene sei schlecht, es gebe kein Wegwerfgeschirr, oft werde nicht einmal die Küche des­infiziert, moniert eine Unternehmerin. Hochansteckende Patienten müssten hinter Plastikfolien isoliert werden, bräuchten Unterdruckräume. Aber daran fehle es. «Das Virus zeigt, wie schlecht unser Gesundheitswesen ist. Wenn sich nichts ändert, wird das Mers-Corona noch Tausende von Menschen töten.»

Im King-Faisal-Spital in Riad, einem der grössten des Landes, räumt Abdullah al-Hokail ein, dass man das Ganze anfangs zu leicht genommen habe. Viele Menschen hätten sich über Behördenschlamperei beschwert. Aber nun sei er optimistisch, dass man die Ausbreitung bis zum Hadsch eindämmen könne.

Die Zeit drängt. Millionen Gläubige werden im Oktober nach Saudiarabien pilgern, schwitzend die Kaaba in Mekka umkreisen und Schulter an Schulter den Teufel steinigen. Die heiligsten Stätten für 1,5 Milliarden Muslime sind das Ziel der «grössten planmässigen Wanderung der Welt» («National Geographic»). Entsprechend verheerend wäre es, wenn sich das Virus unter den Pilgern ausbreitete. Es geht um Saudiarabiens Ruf als Vorbild der islamischen Welt. «Wir müssen beweisen, dass wir die Sache im Griff haben», sagt Dr. Hokail.

Scheich Mohsen al-Awaji kann es nicht mehr hören. Er hat andere Sorgen und findet, sein Land habe das auch. Früher war er Professor für Landwirtschaft. Heute residiert er hinter Mauern mit Überwachungskamera. Sechsmal war er im Gefängnis, einmal vier Jahre lang. Sein Blog hat Hunderttausende Follower, und beides, Haft und Anhängerschaft, begreift man, wenn man ihm zuhört. Der König sei alt und krank, und das sei auch das System, wettert Awaji. Niemand wisse, wo der Reichtum aus dem Ölgeschäft versickere. Wer danach frage, versündige sich gegen Gott, so eng sei die Verbindung zwischen dem konservativen Wahhabi-Islam und dem Hause Saud.

Und dennoch: Die Unzufriedenheit mit dem Königshaus breitet sich im Internet-Zeitalter so schnell aus wie eine Bakterienkultur. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 25.06.2014, 07:05 Uhr


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