Samuel Pfeifer im Interview (II)

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Samuel Pfeifer im Interview (II)

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Wie kaum ein zweiter hat Samuel Pfeifer, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen, die Verbindung von Glaube und Psychotherapie geprägt. Kürzlich referierte er dazu an einer Tagung der VBG-Fachgruppe Psychologie und Glaube. Aus diesem Anlass stellten wir ihm die folgenden Fragen (Fortsetzung).
Livenet: Samuel Pfeifer, welche Therapieformen dominieren heute? Insbesondere im christlichen Bereich?
Dr. Samuel Pfeifer: Der christliche Bereich wird von verschiedenen Schulen geprägt. In der Schweiz haben wir zum Beispiel das Bildungszenrum für christliche Beratung und Begleitung (bcb), wo in integrativer Weise Gesprächstherapie und Verhaltenstherapie angewandt werden. Die ICL ist eine weitere bekannte und wichtige Ausbildung, welche sich stärker auf die Individualpsychologie von Alfred Adler abstützt. Sie stellt sich auch der Frage nach dem Sinn gemäss der Logotherapie von Viktor Frankl. Welches Verhalten soll erreicht werden? Hier lassen sich christliche Ansätze mit der Schematherapie verbinden.

Wie wendet ein guter Seelsorger die verschiedenen Schulen an?
Er muss in der Lage sein, die unterschiedlichen Bedürfnisse des Ratsuchenden zu erkennen. Ich erinnere dabei wieder an 1. Thessalonicherbrief, Kapitel 5, Vers 14. Wer «in Unordnung lebt», muss umdenken und sein Verhalten ändern. Daran führt kein Weg vorbei. Da genügt es nicht, nur in die Kindheit zu gehen und nach den Fehlern der Eltern zu suchen. Dafür gibt es Training sozialer Kompetenzen. Bei Suchtstörungen gibt es Entzugstherapien. Man muss einen Lebensstil ohne Suchtmittel trainieren. Die Anwendungsgebiete sind breit.

Sodann gibt es die «Kleinmütigen», Menschen mit Depressionen, Selbstunsicherheit und Ängsten, die an sich selbst und an der Welt leiden. Sie brauchen Zuspruch, Verständnis und einen behutsamen Weg, ja auch Trost. Der Berater muss Verständnis zeigen, dass sie unter traumatischen Erlebnissen leiden, auch für endogene Prozesse von Depressionen. Oder das Empty-Nest-Syndrom von Müttern, deren Kinder das Haus verlassen haben. Mit ihnen muss zum Beispiel der Rollenwechsel angegangen werden, wie dies in der interpersonellen Psychotherapie geschieht. Sie brauchen Trost, eine neue Strukturierung des Lebens und Hilfe, damit sie mit den Veränderungen umgehen können.

Gibt es Menschen, die eine lebenslange Begleitung brauchen?
Ja, und das ist die dritte Gruppe. Es gibt Menschen, die immer mit einer gewissen Schwachheit leben müssen, sei es eine chronische Psychose, eine chronische Depression oder einfach eine grundlegende Übersensibilität im Leben. Alle diese Menschen kann man nicht ständig auffordern, sich zu verändern, sondern muss ihnen auch den biblischen Wert der Schwachheit deutlich machen und sie tragen und begleiten in ihrer Schwachheit.

Können das auch ehrenamtliche Seelsorger/innen tun?

Ja, ich nenne es «seelsorgerlich gesinnte Menschen» im christlichen Umfeld. Ich rate dabei allen, sich auch Fachwissen anzueignen, um besser zu wissen, was sie tun. In den letzten Jahren hat sich dieser Bereich der Seelsorge stark professionalisiert. Es ist eine eigentliche Laienbewegung mit professionellen Kompetenzen entstanden.

Spüren Sie dadurch auch eine Entlastung der professionellen Psychiatrie und Psychotherapie?
Ich spüre, dass ich für die Nachsorge in den Gemeinden mit wesentlich mehr Leuten rechnen kann, die auch in der Lage sind, einen Menschen weiter zu begleiten. Mehr Menschen sind bereit und in der Lage, psychisch leidende Menschen zu unterstützen. Das kann oft in Zusammenarbeit mit dem Arzt geschehen, was ich als sehr positiv erlebe.

Wird unsere Gesellschaft psychisch kränker? Steigen die Bedürfnisse nach Therapien?
Zur ersten Frage: Es gibt aus psychiatrischer Sicht Hinweise, dass leichtere depressive Störungen und depressive Störungen überhaupt deutlich häufiger auftreten und auch deutlich häufiger zu Arbeitsausfällen führen. Statistiker deutscher Krankenversicherer sprechen von einer Zunahme von 150 Prozent innerhalb von 20 Jahren. Das bedeutet, dass wir heute 2,5 mal so viele Krankheitstage wegen Depression und Burnout zählen wie vor 20 Jahren. Das sind eindrückliche Zahlen. Sie werden vor allem im Zusammenhang mit dem Burnout-Begriff genannt. Das hat mit der modernen Leistungsgesellschaft zu tun. Wir müssen aber anmerken, dass in dieser Zeit auch die Familienbeziehungen deutlich instabiler geworden sind und somit weniger Halt bieten. Ausserdem darf man heute eher einmal sagen: «Es geht mir nicht gut, ich kann nicht mehr!» Das war vor 20 Jahren nicht so leicht.

Müsste sich in der Arbeitswelt etwas grundsätzlich ändern?
Das Problem wird zuweilen einseitig der Arbeit angelastet. Es gibt aber mindestens vier Faktoren für ein Burnout. Nebst der Arbeit sind es Persönlichkeitsfaktoren: Welche Ansprüche stelle ich an mich und andere? Oder das Privatleben: Wie geht es mir in Familien- und Freundschaftsbeziehungen? Wie reagiere ich auf Stress? Entscheidend ist zudem die körperliche Gesundheit. Wenn sie einbricht, kommt es oft zu Depressionen.

Zum Thema:
«Ich verglich immer wieder die Erkenntnisse mit dem biblischen Text»

Webseite:
Dr. Samuel Pfeifer

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