Samuel Pfeifer im Interview (I)

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Samuel Pfeifer im Interview (I)

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Wie kaum ein zweiter hat Samuel Pfeifer, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen, die Verbindung von Glaube und Psychotherapie geprägt. Kürzlich hat er an einer Tagung der VBG-Fachgruppe Psychologie und Glaube dazu referiert. Aus diesem Anlass stellten wir ihm die folgenden Fragen.
Livenet: Samuel Pfeifer, Sie stehen heute für ein intensives Zusammenwirken von Glaube und Psychotherapie. Wie ist es dazu gekommen?
Samuel Pfeifer: Das hat mit meiner familiären Prägung zu tun. Mein Vater war ein Seelsorger, der nicht nur theologisch orientierte Beratung anbot, sondern sich auch intensiv mit klinischer Psychotherapie auseinandersetzte. So besuchte er zusammen mit Krankenschwestern den Psychiatrie-Unterricht an der örtlichen Universitätsklinik. Das machte mir schon damals deutlich, dass es eine Verbindung zwischen Seelsorge und Psychotherapie gibt.

Damals war Psychologie für viele Christen etwas Gefährliches. Was hat sich seither geändert?

Es begann mit Jay Adams. Er stiess mich an, mich mit der Beziehung von Psychotherapie und Seelsorge auseinanderzusetzen. Paradoxerweise, denn ich empfand seinen biblisch-theologischen Ansatz als sehr begrenzt, arbeitete er doch ausschliesslich mit dem Begriff «noutheteo», der wörtlich das «Zurechtrücken des Sinnes» meint. Er sagte aber nichts zum Thema «Trost». Ebensowenig über das Tragen der Schwachen.

In meiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen merkte ich aber, dass sie mehr als nur «Zurechtweisung» brauchen. In der klinischen Psychiatrie gilt das biopsychosoziale Modell als Leitlinie dafür, die Entstehung von Problemen zu beschreiben. Im Rahmen eines Zusatzstudiums in den USA vertiefte ich mich in die Fragen der Verbindung zwischen biblischem Text und klinischen Fragestellungen. Anschliessend vertiefte ich die Erkenntnisse während meiner Arbeit in mehreren psychiatrischen Kliniken in der Schweiz.

Sie beschäftigten sich während dieser Zeit mit verschiedenen psychiatrischen Modellen?

Ja, und ich verglich immer wieder die Erkenntnisse mit dem biblischen Text. Insbesondere beschäftigte mich die seelsorgerliche Grundhaltung in der Psychiatrie. Ich setze mich mit Texten wie 1. Thessalonicher 5,14 auseinander, wo drei Gruppen erwähnt werden: Weist die Unordentlichen zurecht – also «noutheteo» – tröstet die Kleinmütigen – und traget die Schwachen.

Das führte zu meinem ersten Entwurf einer christlich orientierten Psychiatrie und zum Buch «Die Schwachen tragen», das seit 25 Jahren bis heute auf dem Markt ist. Inspiriert wurde ich damals bei der Beschäftigung mit Pastoraltheologie auch mit der Psychoanalyse, welche damals die vorherrschende Strömung war. Man merkte später, dass dieser Ansatz nur einem kleinen Kreis von reflexionsfähigen Menschen zugute kommt. Und der benötigt viel Zeit und ist nicht geeignet für Menschen, die ein akutes Problem haben, das eine schnelle Lösung erfordert. Es brauchte flexiblere Ansätze wie etwa die kognitive Verhaltenstherapie. Diese betont die parallele Veränderung des Verhaltens und des Denkens. Schon früh erkannte ich, dass diese eine gute Verbindung mit christlichen Inhalten ermöglicht.

Über die Jahre hinweg wurde die kognitive Verhaltenstherapie aber sehr rigide angewandt. Man sagte vereinfacht: «Du musst einfach dein Verhalten ändern, dann geht es dir besser!» Das aber erwies sich wiederum als untaugliche Abkürzung. Parallel dazu gewann die Betonung der Kindheitserlebnisse für die psychische Entwicklung an Boden.

Was veränderte sich dadurch?

In den letzten 5 – 10 Jahren entwickelte sich eine neue Schule, die aus der kognitiven Verhaltenstherapie hervorgeht und als «Schematherapie» bekannt wurde. Diese fragt nach den psychischen Bedürfnissen des Kindes. Wenn das Bedürfnis nach Wärme, Anerkennung, Zuwendung ... nicht erfüllt wird, sucht das Kind unterschiedliche Wege, um trotzdem gute Gefühle zu entwickeln oder sich vor dem Schmerz der Ablehnung zu schützen. Dies ergibt bestimmte Schemata, nach denen dieser Mensch «funktioniert». Wenn jemand mit einer psychischen Störung zu uns kommt, können wir im Gespräch solche Schemata genauer erfassen und beschreiben. Zum Beispiel das ängstliche Sich-Zurückziehen oder das Überkompensieren und fordernde Verhalten, obwohl der Fordernde sich eigentlich unterlegen fühlt. Wir beobachten hier eine psychodynamische Renaissance in der Verhaltenstherapie.

Fortsetzung morgen: Welche Therapieformen dominieren heute im christlichen Raum?

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