Rot für «krank» und Blau für «tot» – Tages

Drei Farben stehen zur Auswahl, wenn das Telefon klingelt: Dunkelrot steht für «Verdacht», Rot für «krank» und Blau für «tot». Es sind alltägliche Begriffe geworden für die gut zwanzig Leute, die im Ebola-Callcenter in Freetown an den Apparaten sitzen. Es ist kurz vor Mittag, und schon sind über 600 Anrufe eingegangen – aus ganz Sierra Leone melden sich besorgte Menschen mit Verdachtsfällen.

Deborah Sesay ist Teil der Morgenschicht im 24-Stunden-Betrieb, der so etwas ist wie das Herzstück des Kampfes gegen Ebola in Sierra Leone. Im Callcenter, das von der nationalen Ebola-Einsatzzentrale EOC betrieben wird, werden nicht nur Meldungen aufgenommen, sie werden auch direkt verarbeitet und an die zuständigen Stellen weitergeleitet. So etwa der Fall des Mannes, der vor fünf Minuten angerufen
hat. Seine Frau sei nach einem Marktbesuch zusammengebrochen, sie könne nicht mehr sprechen und sei wie gelähmt. Noch während des Anrufs hat Deborah Sesay das Formular am Bildschirm vor sich ausgefüllt und eine Farbe gewählt. Diesmal ist es Dunkelrot: Verdacht auf Ebola. Dann wählt sie wieder eine Nummer. Vor Ort soll ein Team abklären, ob sich die Frau tatsächlich mit Ebola infiziert hat.

Die Seuche wandert

Von den bislang 2246 bestätigten Ebola-Fällen in Sierra Leone (Stand 3. Oktober) stammen gut die Hälfte aus den Distrikten Kailahun und Kenema im Osten des Landes. Dort ist die Infrastruktur zur Ebola-Bekämpfung mittlerweile am besten ausgebaut. In Kenema stand lange das einzige Behandlungszentrum für Ebola-Kranke. Das Rote Kreuz hat seine Kräfte in der Region konzentriert. Die Hilfsorganisation Médecins sans Frontières wiederum kämpft seit Beginn der Epidemie in Kailahun gegen Ebola.

Doch während Regierung und Hilfsorganisationen ihre Bemühungen langsam intensivieren, breitet sich das Ebola-Virus in neuen Gebieten aus. «Die Krise hat sich verschoben», sagt Reynold Senesi, der das Ebola-Callcenter in Freetown leitet. Während seine Leute zu Beginn vor allem Anrufe aus dem Osten registriert haben, kommen nun zunehmend Meldungen aus dem Westen und Norden des Landes. 18 sind es seit dem letzten Freitag aus Kailahun und Kenema, 395 alleine aus den beiden Distrikten Western Urban und Western Rural, welche die Hauptstadt Freetown umschliessen. «Natürlich spielt bei den Zahlen auch die höhere Wohndichte und die bessere Bekanntheit des Callcenters eine Rolle», sagt Senesi. «Aber die Tendenz ist unverkennbar.»

Acht Spitalmitarbeiter sind gestorben

Als Reaktion auf die Ausweitung des Virus hat die Regierung in Freetown weitere Distrikte unter Quarantäne gestellt. Doch damit ist das Problem nicht gelöst: Sowohl im Westen als auch im Norden ist die Infrastruktur zur Ebola-Bekämpfung deutlich schlechter als in Kailahun oder Kenema. Es fehlt an ausgebildetem Personal sowie Plätzen in Isolierstationen. In Makeni, der Hauptstadt des Nordens, wenden sich Ebola-Patienten an die drei regulären Spitäler, weil spezialisierte Institutionen noch immer fehlen.

Erst in diesen Tagen soll dort das erste Ebola-Behandlungszentrum entstehen – viel zu spät, wie Berichte aus der Stadt zeigen. Eines der privaten Spitäler musste einen Monat lang schliessen, weil acht Mitarbeitende an Ebola gestorben waren. Im überforderten öffentlichen Krankenhaus sollen laut Augenzeugen kranke Menschen auf den Fluren gestorben sein.

Wie schlimm die Situation wirklich ist, lässt sich nur abschätzen. Nach den offiziellen Statistiken sollen in Sierra Leone bislang 623 Menschen an Ebola gestorben sein. Doch daran, dass diese Zahl der Wirklichkeit entspricht, glaubt hier kaum mehr jemand. Vertreter von NGO oder der Weltgesundheitsorganisation WHO halten die offiziellen Angaben für deutlich zu tief. Selbst Sidie Yahya Tunis, der als Sprecher des Gesundheitsministeriums von Sierra Leone nicht dafür bekannt ist, Panik zu schüren, sagt im Gespräch: «Die Zahl der Fälle könnte zwei- bis dreimal so hoch sein wie bislang angenommen.» Zusammen mit dem US-amerikanischen Centre of Desease Control arbeite man an der Verbesserung der Statistik. Bis dahin müsse man sich mit den verfügbaren Daten begnügen. (Berner Zeitung)

(Erstellt: 07.10.2014, 11:24 Uhr)

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