Reine Kopfsache

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21. Juli 2012

BZ-INTERVIEW: Psychologe Michael Gutmann über die Bedeutung des Mentaltrainings im Leistungssport.


  1. Sprinter, der gern Faxen macht:Usain Bolt Foto: privat/afp


  2. Foto: privat/afp

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Usain Bolt, Sprintstar aus Jamaika, macht vor dem Start Faxen. US-Schwimmer Michael Phelps, mit 14 Goldmedaillen der erfolgreichste Olympionike, mag das gar nicht. Er trägt Monster-Kopfhörer, hört Musik nur wenn sie laut ist – und nimmt das Drumherum kaum wahr. Auch wenn Sportler sehr unterschiedlich mit dem Erfolgsdruck umgehen, ein Trend ist zu beobachten: Athleten arbeiten inzwischen oft mit Mentaltrainern zusammen. Mit dem Psychologen Dr. Michael Gutmann, der für den Deutschen Leichtathletik-Verband in London sein wird, unterhielt sich Georg Gulde.

BZ: "Über die Medaillen bei  Olympia entscheidet der    Kopf." Diesen Satz hört   man von Athleten und Trainern immer
wieder. Stimmt
er denn?
Gutmann: Ja und nein. Ja, weil es im entscheidenden Moment schon darauf ankommt, ruhig, locker und mental stark zu sein und auch zu bleiben. Nein, weil man das Leistungsvermögen für Medaillenplätze erst mal erreichen muss – und dazu gehören viele Voraussetzungen, zum Beispiel auch Verletzungsfreiheit.

BZ: Acht Psychologen begleiten die deutschen Sportler nach London. Rekord. Was sagen Sie zur Entwicklung und Bedeutung der psychologischen Komponente im Sport?

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Gutmann: Die psychologische Komponente hat im Sport immer schon eine große Rolle gespielt – man hatte sie nur den Athleten einfach selbst überlassen. Inzwischen hat man erkannt, dass eine systematische Arbeit daran Vorteile für den Wettkampf bringen kann. In vielen Sportarten sind daher Psychologen jetzt in die Ausbildung und Betreuung von Athleten und Trainern eingebunden und sind auch verstärkt bei sportlichen Großereignissen dabei.

BZ: Wie hat sich das Verhältnis des Athleten, auch der Nachwuchssportler an den Olympiastützpunkten, zum Thema Psychologie generell entwickelt?
Gutmann: Psychologen gehören in vielen Bereichen inzwischen zum normalen sportlichen Umfeld. Dadurch sind die Kontaktschwellen niedriger geworden und sie sind nicht mehr nur da, "wenn ich mal ein Problem habe". Dennoch ist eine nachhaltige Umsetzung psychologischer Erkenntnisse bei einigen Athleten und auch Trainern noch nicht da, wo sie sein könnte. Das ist unsere gemeinsame Herausforderung für die Zukunft.

BZ: Welchen Stellenwert hat die psychologische Betreuung in anderen Ländern beziehungsweise Kontinenten?
Gutmann: Ebenso wie sportfachliche Erkenntnisse setzen sich auch psychologische Erkenntnisse in anderen Ländern durch. Inwieweit Psychologen dann aber konkret in die Trainings- und Betreuungsarbeit einbezogen werden, ist sicher sehr unterschiedlich. Einen genauen Überblick darüber habe ich jedoch nicht.

BZ: Manchmal haben die Zuschauer den Eindruck, dass Sportler aus anderen Ländern, zum Beispiel aus den USA und Jamaika, mit einem solchen Selbstvertrauen in den Wettkampf gehen, wie man es von deutschen Sportlern nicht so oft sieht. Alles nur Show oder eine Sache des einzelnen Charakters – oder gar der nationalen Identität?
Gutmann: Ein wenig Show gehört sicher dazu – in allen Nationen. An eine nationale Identität glaube ich eher nicht, da sich unsere Beobachtungen anderer Nationen doch immer auf einzelne Charaktere stützen – und die haben wir auch, wenn ich zum Beispiel an die Medaillengewinner der Leichtathletik-EM in Helsinki denke!

BZ: Viele Athleten hängen sich das Datum von Olympischen Spielen in eins ihrer Zimmer, markieren es rot und sehen es vielleicht drei Jahre lang an der Pinnwand. Ist es denn sinnvoll, sich so sehr auf einen einzigen Wettkampf zu versteifen?
Gutmann: Die Vorbereitung auf Olympische Spiele verlangt den Athleten alles ab. Um das zu schaffen, ist es sehr wichtig, einen Traum zu haben und den auch sehr wach zu halten. Sollte der Traum dann in greifbare Nähe rücken, geht es darum, dies als Chance zu sehen und mit Mut und Zuversicht anzugehen und nicht als Bedrohung zu empfinden. Vielleicht können wir dabei ja helfen.

BZ: Gehen die Sportler oft mit dem Gedanken in den Wettbewerb, dass dieser Olympia-Wettkampf der wichtigste in ihrem Leben ist?
Gutmann: Die Teilnahme an Olympischen Spielen ist für die meisten Sportler ein großer Traum. Wenn der Wettkampf näher rückt, ist es jedoch entscheidend, ihn als ganz "normalen" Wettkampf anzusehen und sich genauso konzentriert zu verhalten wie bei jedem anderen wichtigen Wettkampf auch.

BZ: Die meisten Olympia-Teilnehmer haben, quer durch alle Sportarten, schon an Welt- und Europameisterschaften teilgenommen. Die Abläufe der Wettkämpfe ist ihnen also nicht neu. Wieso lassen sich dennoch viele Sportler bei Olympia aus der Ruhe bringen?
Gutmann: Weil die besonderen Umstände der Olympischen Spiele zum Beispiel mit dem großen Medieninteresse es schwer machen, den Fokus auf sich selbst zu halten und weil die eigenen Gedanken durch die Bedeutung der Spiele nicht immer klar genug auf die gerade aktuell erforderliche Handlung konzentriert werden können.

BZ: Wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Psychologe und Sportler vorstellen?
Gutmann: In der Regel geht es darum, dem Sportler Techniken zu vermitteln, mit denen er sich im Wettkampf selbst so steuern kann, dass optimale Leistungen möglich werden. Das Aneignen dieser Techniken ist als Lernprozess des Sportlers zu sehen, der vom Psychologen angeleitet und begleitet wird.

BZ: Wie stark ist der Ansatz noch vertreten, dass Sportler Psychologen erst dann in Anspruch nehmen, wenn sie ein Problem haben?
Gutmann: Das gehört leider immer noch zum Alltag, nimmt aber immer mehr ab. Vor allem im Nachwuchsbereich zeigt sich hier eine große Offenheit.

BZ: Ist die These richtig, dass Sportler umso offener mit psychologischer Betreuung umgehen, desto unbedeutender ihre Sportart in den Medien ist? Oder umgekehrt: Beim Fußball ist es teilweise immer noch verpönt, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, aber im Sportschießen zum Beispiel nicht. Warum ist es so, oder ist die These zu gewagt beziehungsweise schlicht falsch?

Entscheidend ist,

Olympia als "normalen"

Wettkampf anzusehen

Gutmann: Ich halte diese These für falsch. Psychologische Unterstützung ist sicher in den Sportarten unterschiedlich gut etabliert, sie wird jedoch inzwischen in den meisten professionell betriebenen Sportarten zunehmend in Anspruch genommen – übrigens auch im Fußball. Nur vollzieht sich dies häufig wenig medienwirksam und diskret im Hintergrund – was aber auch richtig ist.

BZ: Was müsste passieren, damit Sie aus London hundertprozentig zufrieden zurückkehren?
Gutmann: Wenn alle Athleten und Trainer zufrieden sind, dann bin ich es auch.

BZ: Hängt Ihr Zufriedenheitsgrad von Medaillenspiegeln ab?
Gutmann: Wer bei der Leichtathletik-EM vor wenigen Wochen in Helsinki das Jahrhundert-Stabhochsprungfinale um Gold zwischen dem siegreichen Franzosen Renaud Lavillenie und dem Deutschen Björn Otto beobachtet hat, der weiß, dass man auch als "Verlierer" mit Recht sehr stolz und zufrieden sein kann.


Der 1958 geborene Rheinländer war 1975 deutscher Jugend-Hallenmeister im Hochsprung. 1983 schloss er sein Psychologiestudium in Bielefeld ab, 1989 promovierte er. Seit 2010 ist Gutmann Leitender Psychologe des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Er ist seit 1980 verheiratet und hat zwei – inzwischen erwachsene – Kinder.

 

Autor: gg

Autor: gg

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