Regionews-Kaleidoskop: Alles nur Psychologie

redaktion  

19.3.2012 

01:15 

Über den zwiespältig diskutierten Bestseller von Markus Hengstschläger: „Die Durchschnittsfalle“.

LINZ. Wie kann man nach amerikanischen Rezepten mit bescheidenen Aufwand  einen Sachbuch - Bestseller schreiben? Allgemeine Überlegungen und spezielle, betreffend  M. Hengstschlägers „Die Durchschnittsfalle“. Alles garniert mit einigen „glossigen“  Nadelstichen.

 

 

Beginnen wir mit einer kleinen, wahren Begebenheit:

Ein Angestellter lobte seine ihm unterstellte Mitarbeiterin für ihre Arbeit, worauf ihm diese antwortete: „Sparen Sie sich das, weil ich kenn mich aus: Alles nur Psychologie!“

 

Plumpe Manipulation oder ungerechtes Misstrauen, das ist hier die Frage, die sich ohne Kenntnis der Personen nicht beantworten lässt. Im Falle der besagten, nicht mehr ganz jungen Dame von wenig attraktivem Äußeren war es offenbar in ihrer Jugend nicht gelungen, ihr trotz Intelligenz jenes Selbstbewusstsein mitzugeben, welches aus sich heraus wirkt und anderseits auch ohne ein positive Grundstimmung schaffendes Äußeres auskommt, um Akzeptanz auf Augenhöhe zu schaffen.

 

Damit sind wir also mitten im Problem der Manipulation von Menschen. Darunter ist zu verstehen, wenn jemandes Gefühle so beeinflusst werden, dass er freiwillig etwas ihm eigentlich fern liegendes oder sogar Nachteiliges macht, das er eigentlich gar nicht machen wollte.

 

Höflichkeit und Empathie fallen also nicht darunter,  z.B. wenn ein Vorgesetzter  einem Untergebenen anstatt des Befehls, eine  Arbeit in einer bestimmten Art auszuführen, diesen durch Fragen dazu bringt, selbst auf diese Idee zu kommen. Dieser  führt die Arbeit  nun mit größerer Freude aus und das Motiv war  nicht Manipulation, sondern die Achtung vor den Gefühlen des Mitmenschen.

 

Die richtigen Manipulationen haben die Amerikaner zur Perfektion entwickelt. Ob die „spin-doctors“ politisch zu Wahlzwecken oder um einen Konsumenten zum Kaufakt zu bringen, stets geht es darum, unbedingt  ein kurzfristiges Ziel zu erreichen.

 

Zu den Mitteln, die dazugehören, hier eine kleine Auswahl:

- Verständlich klingende Schwerpunkte setzen.

- Leicht zu merkende Schlagworte  ständig wiederholen.

- Nicht mehr als 3 solcher Botschaften formulieren.

- Als Zielgruppe eine möglichst große Masse ansprechen.

- Mehr auf Emotionen als auf Sachverhalte zielen.

- Ängste schüren, für die man dann Lösungen verspricht.

- Gegner oder Konkurrenten verächtlich machen, Gerüchte  lancieren, sie                 herabsetzen, lächerlich machen.

- Kritik um der Kritik willen, auch wenn unrealistisch.

- Fakten und Zahlen nur in der vorgefassten Richtung selektiv zur Kenntnis             nehmen.

- Gesellschaftlich anerkannte Ziele als in Gefahr durch Dummheit erfinden, um sich    so als Verteidiger der Vernunft das Vertrauen zu erwerben und eine Identifikation    schaffen.

- Unangenehme Einwendungen nicht zur Kenntnis nehmen und gekonnt daneben    reden, stets die eigene Botschaft wiederholen.

- Auf Einwendungen stets schnell und hart reagieren oder:

- Unangenehme Angriffe mit darüber stehender Größe ignorieren. Das  erspart u.      U. peinliche Schwächen im Detail.

- Niemals den Wortlaut von Beschuldigungen des Gegners nochmals in den Mund     nehmen, das würde diese verstärken.

- Volkstümlich sein, auch derb, -  emotional, nicht rational-. („Her mit dem               Zaster“…!)

- Die Tabu – Falle stellen: Angriffe auf die eigene Sache als Verteidigung                   gesellschaftlich oder rechtlich geächteter Tatbestände behaupten.

- Leute von Ansehen in die eigene Sache involvieren, sei es auch mit Hinterlist und   manchmal merken diese dann zu spät, für die fremde Sache zum Narren               gemacht worden zu sein.

 

Nach ähnlichen Regeln leiten sich Möglichkeiten ab, ein gut verkäufliches Sachbuch zu schreiben:

Ist in fachlicher Hinsicht nicht viel zu bieten, muss man das Fachthema verpacken und mit einer im breiten Publikum wirkenden Welle der Emotion verquicken, die dann als Vehikel wirksam wird. Schwierig kann die Verquickung von Fachproblem und populär wirksamen Thema sein. Man kann dazu aber einen von der Masse nicht durchschaubaren Zusammenhang konstruieren, der dann zur drohenden Gefahr der Zukunft hochgepuscht wird und für den man allein die Lösung wüsste. Ist der gewählte Slogan  emotional gut wirksam, dient das schwache Fachliche nur als Füller und kann sich weitgehend auf Bekanntes stützen, ohne dem Laien aufzufallen.   Mit einem Paukenschlag  aller Werbemittel zum Start müsste die Sache dann laufen.

 

Nun von der Theorie zu Praxis mit  Markus Hengstschlägers:

 „ Die Durchschnittsfalle,“  Verlag Ecowin, 2012,  185 Seiten.

 

Als tragende Welle dient ein Thema, für welches die Öffentlichkeit bereits hoch sensibilisiert ist: Schulpolitik – Schulreform! Aufgerührt durch Debatten über PISA – Test und Ganztagsschule, gemeinsame Schule aller  Pflichtschüler,                          Zentralmatura, zu viel Schulbürokratie usw. hat jetzt jeder Erwartungen.

 

Nun weiß der Autor für die Probleme eine Ursache und identifiziert das Feindbild wie folgt:

 

  • Leistungdenken nach Durchschnitt ist sinnlos und gefährlich (S.16). Daran darf      man sich nicht orientieren. Wichtig wären alleine Spitzenleistungen.
  • Stärken der Schüler fördern anstatt Schwächen bekämpfen, sonst landet alles        am Durchschnitt. Dies wäre heute das falsche Ziel der Schule. Wer das nicht          verstehen will, dem droht auf Seite 14 gleich dreimal der Dummheitsfluch. (Des      Kaisers neue Kleider lassen grüßen!).
  • Genetische Vielfalt  ist undifferenziert zu fördern. Da man die Zukunft und ihre         Anforderungen nicht kennt, weiß man auch nicht, welche genetischen                   Eigenschaften dann wertvoll wären. Abweichungen von der Norm dürfen nicht       nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft bewertet werden. (Seite 40, 41) .               „Anders ist besser“ (Seite 156). Individualität jeder Art ist zu fördern. Jeder ist      Elite. Einwände dagegen werden mit der Nazikeule (Rassismus) bedroht.
  •  

     

    Dessen ungeachtet gibt es zu diesen vehement vertretenen Grundsätzen immer wieder eingestreut kleine  abweichende Alibi-Bemerkungen, zum Beispiel:

    Solides Grundwissen ist für alle nötig (Seite 161).

    Wissenschaft ist heute Teamarbeit.(S 140)

    Erfolg ist multifaktoriell, also nicht einseitig.(S. 141)

    Ohne breite Basis des Wissens geht es nicht.(Seite 163)

    Auch das gepriesene und angestrebte höchste Niveau wäre letztlich nicht schlüssig:  „Wenn alle auf diesem Niveau angelangt wären, wäre dieses Niveau per Definition übrigens wieder der Durchschnitt.“(Seite 65).

     

    Bevor wir auf obige Hauptthemen näher eingehen, ein Blick auf den lehrhaften, genetisch – pädagogischen Teil. Er ist meist ein oberflächlicher Überblick über unstrittige Begriffe und Inhalte, zum Teil ein wenig altmodisch. 

     

    So  wird z. B. der in der einschlägigen Fachliteratur längst verlassene Begriff der „Meme“ wiederbelebt. Darunter verstand vor 36 Jahren der Wissenschaftler Richard Dawkins  Ideen oder Meinungen, die bei einem bestimmten Stand kultureller Entwicklung gewissermaßen in der Luft lagen. Wenn sie dann jemand erstmals formulierte, verbreiteten sie sich  blitzartig. Von Rupert Shelldrake wurden dann die „Meme“ noch zu „morphischen Feldern“ verdichtet, in die sich nach seiner Vorstellung ein suchender Geist induktiv einklinken konnte. Damit erklärte er die Gleichzeitigkeit mancher Erfindungen. Aber das gilt alles heute nur mehr als historische Reminiszenz.

     

    Im Buch Seite 81 und 94 werden jedoch die „Meme“ wiederbelebt und dazu als originäre Leistung des Buchautors der Begriff „Epigem“ ( aus Gen und Mem) erfunden für epigenetisch vererbbare Eigenschaften.( Zur Erläuterung: Epigene schalten die Gene der DNA.). 

     

    Nach dem Stand der Wissenschaft  sind jedoch so erworbene Eigenschaften nicht vererbbar, da aus Außeneinflüssen entstandene Veränderungen der Epigenetik nach Befruchtung auf Null geschaltet werden. ( Siehe z.B bei Peter Spork: „Der zweite Code“ Seite 211 und andere.)

     

    Da dies dem Buchautor ja nicht unbekannt sein kann, erweitert er den fachlich eindeutigen Begriff Vererbung einfach auch auf kulturelle Überlieferung. (Seite 93).

     

    Er  sagt aber selbst auf Seite 132: „Wer nicht kreativ etwas Neues schafft, hat in der Wissenschaft nichts geschafft“!

     

    Nach diesem Grundsatz obiges zu beurteilen, bleibt dem Leser ad libitum überlassen.

     

    Da kommt einem dann plötzlich der Einfall, woher ein egozentrischer Spitzenleister in Sachen Ehrgeiz die Phobie vor dem Durchschnittsgerede bei Leistung haben könnte.

     

    Nun weiter zum Kampf des Buches gegen den Durchschnitt.

     

    Dazu wieder vorweg von uns ein Beispiel:

    100 Mitglieder eines Schützenvereins schaffen bei einem  Ziel von 12 Ringe (d. i. Treffer ins Zentrum) einen Durchschnitt von 7 Ringen. Neue Mitglieder sollten wenigstens diesen Schnitt schaffen.

     

    Käme nun einer und sagte, Schuld an der schwachen Leistung ist die Vereinsleitung, weil sie die Schützen nicht ins Schwarze schießen lässt, sondern auf die 7, dann würde diese bösartig Unterstellung   zumindest nicht ernst genommen.

     

    Nichts anderes gilt für die Notenskala in unseren Schulen. Die angepeilte Spitze ist mit der 1 fixiert, Durchschnitt und Schichtung sind nichts weiter als informative  Rechengrößen, die sich aus der Streuung der Leistungserfüllung ergeben.

    Ein  Kampf Don Quijotes gegen einen selbst geschaffenen Feind ist dann    wohl  gezielt berechnete Diffamierung.

     

    Nun zu den übrigen eingangs genannten Punkten:

    Der Buchautor hält es also für falsch, an den Schwächen der Schüler zu arbeiten, die diese dann dort  die meiste Zeit   investieren müssten und er behauptet, dass ihre Leistungen  dann auch in den  guten Fächern auf Durchschnitt sinken.

    Zunächst müssen wir hier einmal von diesen Pauschalurteilen wegkommen. Es ist  unbedingt  eine Trennung der Betrachtung in die Schule bis zur Lehre oder Matura und anderseits ab der  Hochschule zu  machen.

     

      Bildung bis zum Ende der Schulpflicht und Matura:

    Jeder spätere Beruf bedeutet eine Spezialisierung. Da man aber weder den späteren Berufseinstieg noch die sich wandelnden Anforderungen kennt, auch  ein späterer Berufswechsel zunehmend häufig vorkommt, muss Bildung hier auf einer breiten Grundlage erfolgen. Programmatisch behauptet das Buch jedenfalls genau das Gegenteil.

     

    b. Hochschulen: Die Zeiten des Mittelalters, wo man noch glaubte, den Studenten die Universitas Rerum - die Gesamtheit des damaligen Wissens - vermitteln zu können, ist dies wegen der Menge des Stoffes heute unmöglich, eine Spezialisierung klar nötig.  So können große Ideen und Projekte nur mehr in Teamarbeit von Spezialisten bearbeitet werden. Soll dabei etwas herauskommen, ist es unbedingt erforderlich, dass jeder vom Wissen des anderen wenigstens die Grundlagen kennt, da man ansonsten die längste Zeit aneinander vorbei redet. Damit ist die Aussage unter a. nochmals erhärtet: Die Hochschule braucht von der Mittelschule breite Bildung.

     

    Soll nun Bildungspolitik an den Hochschulen dann einzelne Talente auf Kosten der übrigen fördern?

     

    Beantworten Sie sich als Beispiel folgende Frage selbst: Dient es bei beschränkten Mitteln der Volksgesundheit mehr, für wenige Ärzte eine  hoch spezialisierten Ausbildung auf Kosten des Niveaus der übrigen zu ermöglichen? Die Frage ist unfair,  da sie sich selbst beantwortet und gleich müsste  man hinzufügen: Aber die Mittel dafür sollten auch dafür da sein, so wie eine zusätzliche Förderung der Begabten in den niederen Schulen wünschenswert wäre. Hoffen darf man doch!

     

    Die Befürchtung, Begabte verlören bei primärer Beachtung ihrer Schwächen auch noch ihre Talente, ist an den Haaren herbeigezogen. Hat man Talent, macht dessen Anwendung Freude, weil der Erfolg sich selbst belohnt. Aber auch für Talentierte gilt  nach einem volkstümlichen Spruch: Genie besteht zu 10 % aus Inspiration (Talent, Eingebung) und zu 90 % aus Transpiration (Schwitzen für üben, üben).  Zu viel Lob einer einseitigen Begabung, wenn der Wissensdrang noch nicht gefestigt ist,  kann aber zum Manko im nötigen Basiswissen führen, das man dann später vermisst.

     

    Nun zum Punkt 3, der Ruf nach undifferenzierter Sammlung möglichst extremer Individualisten auf Reserve für eine ungewisse Zukunft.. Dieser Punkt wurde wohl bewusst  provokant gewählt als Falle, um Widerspruch zu wecken, den man  dann möglichst als Tabuverletzung und gegen political correctness aburteilen kann.

    Ein Genetikprofessor weiß nämlich ganz genau, dass die Evolution und das Prinzip „Leben“  unbenötigte Gene nicht auf Vorrat hält. Es gilt vielmehr: Use it -  or lose it.


    Beispiele: Der Grottenolm im ständigen Dunkel hat seine Sehfähigkeit verloren, nicht benützte Muskeln schwinden und überhaupt sind alle Wohlstandskrankheiten die Folgen  mangelhafter Benützung ursprünglich lebensnotwendiger Fähigkeiten usw.

     

    Anstatt Energie zehrender Reservehaltung kann aber die Epigenetik unter Stress auf der Klaviatur der Gene eine passende neue Melodie erfinden.

     

    Wird nach diesen Kommentaren das österreichische Bildungswesen freigesprochen?

     

    Aber keineswegs! Die Gründe für Unzulänglichkeiten sind nur kaum in den behaupteten Dingen zu suchen. Es gibt sicher zu viel praxisferne Bürokratie, zu  unklare Kompetenzen wie z. B die Länderrechte auf Personalhoheiten, zu wenig Hilfe für die Lehrer an der Front als die Sündenböcke. Die von den Bürokratiepädagogen ersonnenen Lehrpläne strotzen vor philosophischen Schwärmereien über Ziele, anstatt die Wege dahin konkret anzugeben. Gleichnis: Ich stelle am Navi als Ziel das Kunsthistorische Museum ein, aber  anstelle einer Wegweisung erhalte ich eine himmlische Beschreibung der Kunstwerke.

     

    Die Arbeitsplätze der Lehrer sind erbärmlich und auch im Falle wild gewordener Eltern lässt man sie ohne Schutz. Auch zu den Angriffen von Modernisten des Internetzeitalters, die gleich jedes Detaillernen und sogar  Hausaufgaben abschaffen wollen, schweigt die Behörde verlegen. Man wartet ab, bis man erst an einer ganzen verlorenen Generation sieht, dass ohne strukturiertes Lernen und Üben in den Köpfen nur Chaos bleibt, das aber dann kein schöpferisches ist.

     

    Jetzt wäre nur noch das Interview des Buchautors mit Bildungsministerin Schmied im NEWS Nr.6 / 2012. zu erwähnen.

     

    Jede/jeder  Politiker/in ergreift gerne die Gelegenheit, öffentlich in Erscheinung zu  treten. Zwiespältig kann das ausgehen, wenn er /sie nur als Werbemittel für einen andern Zweck benützt werden soll. Meist wird vom Verlagscoach ein schon fertig geschriebener Interviewtext beim Fototermin mitgebracht und  schnell approbiert.

    Auszug gefällig? (Ich reklamier für Frau Schmied, promoviert in Sachen Wirtschaft, jedenfalls die Unschuldsvermutung!):

     

    Hengstschläger: „Ich möchte dazu  (Anm.: gemeint war zur Erfolgsdefinition) den Begriff Elite wieder einführen. Mein Elitebegriff heißt: Jedes Individuum ist elitär. Je individueller, desto elitärer. Elite ist bei mir ein basisdemokratischer Begriff.“

    Schmied: „ Herrlich! So definiert kann ich mit Elite leben.“

     

    Ob  die reformfreudige  Ministerin   hier missbraucht wurde? Da wären meine Leser jetzt schon besser vorbereitet!

    Zu den Bloggs von Erich Leitner





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