Raus aus der Wachstums- und Konsumspirale: Der Nachhaltigkeitsforscher und …



Raus aus der Wachstums- und Konsumspirale: Der Nachhaltigkeitsforscher und Psychologe Marcel Hunecke plädiert für mehr Achtsamkeit


Prof. Marcel Hunecke lehrt Psychologie und Umweltpsychologie an der Fachhochschule Dortmund und an der Ruhr-Universität Bochum (Foto von: privat)

GEO.de: Sie haben ein Buch geschrieben über die "Psychologie der Nachhaltigkeit". Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Marcel Hunecke: Es gibt zwei Bereiche der Psychologie, die zum Thema Nachhaltigkeit etwas zu sagen haben: Da ist einerseits die Umweltpsychologie, die sich seit rund 90 Jahren mit der Wirkung von Umwelten auf Menschen und seit dem Aufkommen ökologischer Probleme auch mit den Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt beschäftigt. Aber die bisherigen Ansätze der Umweltpsychologie reichen mir nicht. Denn mit einem solchen Ansatz kommt man an die Motivationen, die Emotionen von Menschen, nicht nah genug heran. Und genau da liegt ja das Problem: Bei vielen Menschen gibt es eine Kluft zwischen Einstellung und Verhalten. Sie wissen zwar, was nachhaltig ist und was nicht - aber bei der Umsetzung brauchen sie Unterstützung. Und hier kommt der andere Bereich ins Spiel, die Positive Psychologie.

Worum geht es da?
Mit Nachhaltigkeit hat die Positive Psychologie zunächst einmal gar nichts zu tun. Ihr Thema ist subjektives Wohlbefinden, Zufriedenheit und "Glück". Und da gibt es nun einen starken Bezug zum Konsum und zum Konsumverhalten. Denn auch den Ökonomen ist ja mittlerweile aufgefallen, dass Konsum und stetiges Wachstum im materiellen Bereich nicht mehr zu Steigerungen der Lebenszufriedenheit und des subjektiven Wohlbefindens führen.


In sich hineinhorchen, sich auf das Wesentliche konzentrieren: Alternativen zu Stress und Konsum gibt es viele (Foto von: Valeria Mameli/Flickr Open/Getty Images)

Aber der Konsum gilt noch immer geradezu als Gradmesser des gesellschaftlichen "Wohlbefindens" ...
Er ist in weiten Teilen nicht nachhaltig. Weil wir ihn vorrangig dazu nutzen, um unseren Selbstwert zu stabilisieren. Wir kaufen uns bestimmte Autos, tragen bestimmte Kleidermarken, um zu zeigen, wer wir sind. Diesem Konsum sind kaum Grenzen gesetzt. Der ganze Bereich der Kommunikations- und Unterhaltungselektronik ist hierfür ein gutes Beispiel: Jedes Jahr werden unzählige Smartphones gekauft, obwohl die alten Geräte noch voll funktionsfähig sind. Aus dieser Spirale kommt man nur durch ein starkes Selbstwertgefühl heraus. Und durch Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, selbst Herr des Geschehens zu sein. Hinzu kommt als drittes der soziale Zusammenhalt mit anderen Personen. Dieser Aspekt wird ja leider in unserer individualistisch geprägten Kultur immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Wenn man diese drei Ressourcen stärkt, dann braucht man diese Form des Konsums nicht mehr.

... "Ressourcen"?
In der Positiven Psychologie spricht man von psychischen Ressourcen, die Menschen dabei unterstützen, Belastungen und Krisen im Alltag besser zu bewältigen.

Welche ist die wichtigste?
Die Achtsamkeit steht im Zentrum. Dabei geht es darum, eine nicht wertende Haltung einzunehmen, die bewusst auf das Hier und Jetzt gerichtet ist. Es geht darum, aus dem Autopiloten-Modus auszubrechen. Wir haben im Alltag so viel um die Ohren, sind häufig mit der Vergangenheit und noch mehr mit der Zukunft beschäftigt. Wir arbeiten nur noch ab, reagieren auf zahllose Anforderungen, die an uns gestellt werden. Die Achtsamkeit lenkt die Wahrnehmung wieder auf uns selbst und unsere eigenen Bedürfnisse.


Marcel Huneckebr /strongPsychologie der Nachhaltigkeit/strongbr /Psychische Ressourcen für Postwachstumsgesellschaftenbr /oekom Verlag 2013br /124 Seiten, 19,95 Euro (Foto von: )

Wie wollen Sie denn die Achtsamkeit unter das Volk bringen? Fordern Sie Meditationskurse für alle?
Es gibt vielfältige, erprobte Trainingskonzepte, von der Meditation über Yoga bis zum freien Tanz. Abgesehen vom privaten Bereich, lässt sich Achtsamkeit gut in Schulen und Unternehmen vermitteln. Gerade im schulischen Bereich wäre es wichtig, anzuerkennen, dass nicht nur Leistung zählt, sondern auch die Fähigkeit, mit sich selbst besser umzugehen.

Wie könnten nachhaltige Lebensstile aussehen? Haben Sie ein Leitbild?
Wenn Sie nach dem "guten Leben" fragen: Da bin ich als Wissenschaftler und Psychologe vorsichtig. Das ist zwar ein sehr wichtiges Thema, aber es gibt nicht den einen richtigen Weg. Ich würde allerdings Grenzen akzeptieren, die uns die Ökologie und die Ökonomie aufzeigen, nämlich die Grenzen dessen, was wir uns als Gesellschaft leisten können. Da geht es dann um ganz konkrete Dinge. Etwa darum, dass wir uns bei Fernreisen oder dem Fleischkonsum einschränken sollten, dass wir zu einem Ökostromanbieter, zu einer ökologischen Bank wechseln sollten.

Haben Sie "einschränken" gesagt?
Ja, aber das sind aus meiner Perspektive keine Einschränkungen, die mit einem wesentlichen Verhaltensaufwand verbunden sind.

Wenn es um Forderungen nach Einschränkung oder Verzicht geht, ist schnell von "Öko-Diktatur" die Rede. Das hat auch die Wahlschlappe der Grünen gezeigt, die im Bundestagswahlkampf für einen fleischfreien Tag plädierten. Hat die Ökologie ein Kommunikationsproblem?
Aus psychologischer Perspektive ist es extrem schwierig, Menschen etwas wegzunehmen, was sie schon haben, oder ihnen etwas vorzuschreiben. So etwas wird immer auf Widerstand stoßen. Darum auch mein Ansatz der psychischen Ressourcen. Letztendlich müssen die Leute freiwillig zu mehr Nachhaltigkeit kommen - weil sie darin ihren eigenen Vorteil sehen. Nur so kann ein dauerhafter kultureller Wandel eingeleitet werden.

Reichen Einsicht und Freiwilligkeit, wo doch die Umweltprobleme drängen, etwa der Klimawandel?
Die Menschen in Deutschland sind zurzeit von den Folgen des Klimawandels kaum betroffen. In der Hinsicht gibt es also praktisch keinen Leidensdruck. Auf einer anderen Ebene schon, und das ist mein Ansatzpunkt als Psychologe. In unserer Erwerbsgesellschaft nehmen die Stressbelastungen stark zu. Immer mehr Menschen fühlen sich gefangen im Hamsterrad, im Getriebe des Alltags. Aber wozu dieser Stress, wo wir doch schon genug besitzen? Genau hierfür, für die Stressreduktion, wurde der Achtsamkeitsansatz in der Psychologie entwickelt. Er könnte vielen Menschen helfen, mal einen Gang zurückzuschalten und so ihr subjektives Wohlbefinden zu steigern. Und quasi nebenbei würden sie damit der Umwelt einen Gefallen tun.

Schaffen wir die Wende zur nachhaltigen Gesellschaft?
Dafür stehen meiner Meinung nach die Chancen ganz gut. Wir Deutschen sind in Sachen Nachhaltigkeit gar nicht so schlecht, auch im weltweiten Vergleich. Wir sind Öko-Weltmeister, und in puncto Energiewende schaut die Welt auf uns. Was wir jetzt brauchen, sind Visionen, die uns aufzeigen, wohin die Reise gehen soll. Und ist nicht eine nachhaltige Gesellschaft eine spannendere Vision als ein unbestimmtes Immer-Weiter, Immer-Schneller?


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