Rainer Werner Fassbinder auf Strich und Drogen

„Ich möchte für das Kino sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war: Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor.“ Rainer Werner Fassbinders Ansprüche waren alles andere als bescheiden. In Juni 2012 jährt sich der Todestag des großen deutschen Filmemachers zum 30. Mal. Das hat der Biograf Jürgen Trimborn zum Anlass genommen, den Mythos Fassbinder zu ergründen – und auch in seinem Heimatland an den Filmemacher zu erinnern. Fassbinders Stern glänze heute im Ausland wesentlich heller, schreibt er und attestiert ein „allgemeines Desinteresse an Fassbinders Werk in seinem Heimatland“.

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Der Meister und seine berühmteste Entdeckung: Regisseur Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) und die Schauspielerin Hanna Schygulla (Jg. 1943)

Trimborns Buch „Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben“, das an diesem Donnerstag auf den Markt gekommen ist, will eine nüchterne Analyse sein. Unbeeindruckt von den Streitigkeiten um Fassbinders Nachlass will Autor Trimborn „belegbare Fakten und Dokumente“ zeigen, „statt hochkochender Emotionen“. Rund 50 Seiten mit Fußnoten zeugen davon.

Mehr als 40 Filme in 13 Jahren

Einige bislang unveröffentlichte Dokumente hat Trimborn für sein Buch aufgetan – darunter das Urteil der Filmbewertungsstelle Wiesbaden, von der Fassbinder ein Prädikat für seinen ersten 35-mm-Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ bekommen wollte. Das vernichtende Urteil: „Geschmacksverirrung“.

Trimborn zeichnet das kurze Leben des im Alter von nur 37 Jahren in München gestorbenen Regisseurs nach, der mit Filmen wie „Angst essen Seele auf“ oder „Berlin Alexanderplatz“ zum „Wunderknaben“ und Vorreiter des Neuen Deutschen Films wurde. Mit seinen mehr als 40 Spielfilmen in nur 13 Jahren und Entdeckungen wie der Schauspielerin Hanna Schygulla wurde er zum vielleicht wichtigsten Vertreter des deutschen Films überhaupt und zum erfolgreichsten Regisseur im Nachkriegsdeutschland.



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Rainer Werner Fassbinder, das tragische Genie. Er starb am 10. Juni 1982, gerade einmal 37 Jahre alt.


Ingrid Caven

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Die Schauspieler Ingrid Caven war mit Fassbinder verheiratet und spielte in seinen Filmen mit.


Juliane Lorenz

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Juliane Lorenz ist Präsidentin der Fassbinder-Foundation. Auch sie war mit Fassbinder verheiratet.


Kameramann Ballhaus als Dozent in Berlin

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Kameramann Michael Ballhaus fotografierte wichtige Filme für Fassbinder, bevor er in den USA erfolgreich wurde.


Ensemble des Münchner Anti-Theaters

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Das Ensemble des Münchner Anti-Theaters im Jahr 1970 (v. l.): Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Kerstin Dobbertin, Rainer Werner Fassbinder, Günter Kaufmann, Harry Bär, nicht identifizierte Person, Peer Raben, nicht identifizierte Person, Ursula Strätz, Kurt Raab. Im Fenster Rudolf Waldemar Brem (l.) und eine nicht identifizierte Frau.


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Großaufnahme: Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Kerstin Dobbertin und Fassbinder (v. l.).


Pioniere in Ingolstadt

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Harry Baer und Hanna Schygulla im Fassbinder-Film "Pioniere in Ingolstadt" von 1971.


Die Ehe der Maria Braun

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Hanna Schygulla in "Die Ehe der Maria Braun" von 1978.


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Hanna Schygulla beim 60. Internationalen Filmfestival 2007 in Cannes.


Thomas Schühly

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Thomas Schühly war 1982 Produzent von Fassbinders "Die Sehnsucht der Veronika Voss"– und mit der Hauptdarstellerin Rosel Zech liiert. Zudem wirkte er bei "Der Name der Rose" (1986) mit.


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Fassbinder umarmt die Schauspielerin Rosel Zech während der Dreharbeiten zu "Die Sehnsucht der Veronika Voss"


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Produzent Horst Wendlandt (r.) unterhält sich 1969 in einer Drehpause des Edgar-Wallace-Films "Das Gesicht im Dunkeln" mit den Schauspielern Christiane Krüger und Klaus Kinski. Wendlandt produzierte mit Fassbinder "Lili Marleen", "Lola" und "Die Sehnsucht der Veronika Voss".


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Multitalent: Peer Raben war neben seiner Tätigkeit als Komponist noch Autor, Schauspieler (u.a. "Lola", "Die Sehnsucht der Veronika Voss"), Produzent und Regisseur.


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Margit Carstensen in "Martha" (1973). Mit Fassbinder drehte die Schauspielerin u.a. "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" und die TV-Serie "Berlin-Alexanderplatz".


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Einer der erfolgreichsten deutschen Film- und Fernsehproduzenten: Günter Rohrbach. Den deutschen Film hat er mit Produktionen wie "Das Boot" oder "Die unendliche Geschichte" auch auf dem internationalen Markt platziert. Für Fassbinder produzierte er "Berlin Alexanderplatz".


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Schauspielerin Irm Hermann neben Fassbinder in einer Szene von "Angst essen Seele auf" (1973).


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Eddie Constantin und Hanna Schygulla in "Warnung vor einer heiligen Nutte" (1970/71).


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Günter Lamprecht und Liselotte Eder, Fassbinders Mutter, 1979 am Set von "Berlin Alexanderplatz".

Trimborns Buch beginnt mit einer zerrissenen und unglücklichen Kindheit, geprägt von Zurückweisung und Einsamkeit – dem Start in ein turbulentes und alles andere als „bürgerliches“ Leben. Fassbinders Münchner Wohnung hieß mitunter „Bumsburg“, schreibt er und zitiert den „Stern“-Titel: „Säufer und Genie“. Von Fassbinders Verhaftung in einer Pariser Schwulensauna berichtet Trimborn, von seiner großen, unerfüllten Liebe zu seinem „bayerischen Neger“ Günther Kaufmann - und der mehr als überraschenden, zwei Jahre dauernden Ehe mit der Schauspielerin Ingrid Caven.

Von vulkanartigen Wutausbrüchen berichtet der Autor. „Nicht selten kam es bei der Arbeit zu Prügeleien.“ Eine Kostprobe: Als Fassbinder sich einmal über einen Herstellungsleiter aufregte, tat er das so: „Jetzt schlag’ ich dir die Schnauze ein, du fettes, dickes Schwein. Ich bring’ dich um, ich schlitz’ dich auf!“

„Wie bei allem, was Fassbinder tat, nahm auch sein Alkoholkonsum schnell exzessive Formen an“, schreibt Trimborn und auch, dass der homosexuelle Filmemacher sich zeitweise – lange vor seinem großen Erfolg – als Stricher prostituierte. Der Autor zitiert den Filmproduzenten Michael Fengler: „Für ihn war es eine ganz natürliche Sache, sich kaufen zu lassen, er hatte da gar keine wie auch immer gearteten Bedenken.“

Ein Selbstmord auf Raten

Obwohl seine große Liebe von Anfang an dem Film galt, machte Fassbinder einen Umweg über das Theater. Dieser Theater-Episode widmet sich auch ein neues Buch des britischen Theaterwissenschaftlers David Barnett: „Rainer Werner Fassbinder - Theater als Provokation“. Biograf Trimborn lässt dagegen keinen Zweifel daran: Der Film war Fassbinders Bestimmung. „Viele Filme machen, damit mein Leben zum Film wird“ – das war sein Traum. „Als ich die erste Einstellung in meinem Leben gedreht habe, das war eigentlich toller als der tollste Orgasmus, den ich je hatte. Das war ein Gefühl, das war unbeschreiblich.“

Rainer Werner Fassbinder wurde am 10. Juni 1982 tot in seiner Münchner Wohnung gefunden. Wenige Wochen später starb sein langjähriger Liebhaber Peter. Dieser wurde laut Trimborn zu einem der ersten dokumentierten Aidsfälle in Deutschland. Todesursache bei Fassbinder war allerdings eine vermutlich versehentliche Überdosis Kokain. Ein „Selbstmord auf Raten“ sei es gewesen, schreibt Trimborn. Fassbinders Urne wurde auf dem kleinen Künstlerfriedhof in München-Bogenhausen beigesetzt. Auch seinen vielleicht berühmtesten Satz zitiert Trimborn in seiner Biografie: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ # dpa-Notizblock ## Berichtigung

Jürgen Trimborn: „Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben“. (Propyläen, Berlin. 464 S., 22,99 Euro. ISBN-13: 978-3-54907-426-8)

David Barnett: „Rainer Werner Fassbinder – Theater als Provokation“. (Henschel, Leipzig. 160 S., 29,90 Euro. ISBN 978-3-89487-722-4)


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Die Schauspielerin Hanna Schygulla bei der Eröffnung des Berliner Kinos "Babylon" (2005). Im Hintergrund ein Plakat des Films "Lili Marleen" (1981) mit der jungen Schygulla in der Hauptrolle.


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Mit Minirock und Locken: Schygulla 1969 im Fassbinder-Film "Katzelmacher". An ihrer Seite Schauspieler Hans Hirschmüller.


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Schön (und) nachdenklich: 1972 spielt Schygulla in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (Regie: Rainer Werner Fassbinder).


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1978 in der Hauptrolle des Fernsehfilms "Die Ehe der Maria Braun".


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Rainer Werner Fassbinder gibt Hanna Schygulla Regieanweisungen. "Die Ehe der Maria Braun" erzählt die Geschichte einer Frau, die, um ihre große Liebe zu ihrem Ehemann zu retten, eine steile Karriere macht. In weiteren Rollen des Films sind Gisela Uhlen, Klaus Löwitsch und Ivan Desny zu sehen.


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Hanna Schygulla und Rainer Werner Fassbinder 1979 bei den Filmfestspielen in Berlin.


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1980 in der Verfilmung des Romans "Berlin Alexanderplatz". Barbara Sukowa spielt "Mieze", Hanna Schygulla ist "Eva".


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Hanna Schygulla in einer Szene aus "Berlin Alexanderplatz".


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Liebesszene aus "Die Geschichte der Piera" (1983) mit dem italienischen Schauspieler Marcello Mastroianni.


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1983 bei den 36. Filmfestspielen in Cannes.


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Szene aus dem Film "Eine Liebe in Deutschland" mit Piotr Lysak.


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Hanna Schygulla als Barsängerin Wilkie in "Lili Marleen".


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Mit Maximilian Schell in "Peter der Große".


Hanna Schygulla

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2004 bei der Vorstellung des Bildbandes "Du ... Augen wie Sterne". Im Band sind Porträts, Texte und Interviews der Schauspielerin gesammelt.


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2007 vor der Premiere des Films "Berlin Alexanderplatz Remastered". Die Originalversion des Films wurde technisch aufwendig restauriert.


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Mit Regisseur Fatih Akin in Berlin im Mai 2007 bei einem Fotoshooting für den Film "Auf der anderen Seite" ...


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Foto: picture-alliance / Mary Evans Pi/ANKA FILM / Ronald Grant Archive
... in dem Hanna Schygulla eine Mutter spielt, deren Tochter in der Türkei erschossen wird.

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