Radio-"Schmidti" ist jetzt Dr. Schmidt – Alles

Was ist eigentlich so schlimm am Radio-Job, dass man ihn an den Nagel hängen und wieder die Schulbank drücken will? "Nichts", sagt Matthias Schmidt. Ende der 1990er bildete er bei Radio Lausitz mit Knut-Michael Kunoth ein eingespieltes Team. "Weniger im Entertainment-Bereich, mehr bei den News. Das hat riesigen Spaß gemacht. Aber ich merkte auch, dass Menschen durch die Sprache wahnsinnig beeinflussbar sind. Mir wurde klar, was ich als Radiomann für eine Verantwortung hatte. Und ich begann, mich für die Hintergründe der Kommunikation zu interessieren."


Schmidt hatte Glück, denn an der Hochschule Zittau/Görlitz wurde zu jener Zeit der Studiengang Kommunikationspsychologie aus der Taufe gehoben. "Ich schrieb mich ein und löschte fortan meinen Wissensdurst. Was neben dem Radio sehr gut ging: Vormittags saß ich im Seminar, nachmittags und an den Wochenenden war ich im Studio oder in der Region als Reporter unterwegs", erinnert sich der 35-Jährige. "Na klar, ich hatte auch ein Ziel. Ich wollte das Radio verbessern und deshalb möglichst Programmdirektor werden." Doch ein Zufall veränderte seinen Weg. "Man bot mir die Mitarbeit in der Rothenburger Polizeihochschule an. Seit 2004 trainiere ich dort Führungskräfte." Die Radio-Hörer merkten nichts von alledem, denn neben seinem Dozentenjob plauderte er weiter auf 107.6.

Von seinen psychologischen Fähigkeiten profitierte auch der Görlitzer Multimediapark, wo sein alter Radio-Kumpel Mike Altmann das Zepter schwang. Doch der Wissensdurst war noch nicht gelöscht. Inzwischen hatte man an der TU Dresden ein Auge auf den jungen Mann geworfen. Bei dem Projekt "Human Communication" untersuchte er zwei Jahre lang die Funktionsweise von Auswahlverfahren und die Auswirkungen auf Betroffene. So landete Schmidt schließlich als Doktorand am Lehrstuhl für Methoden der Psychologie.

Sein Auftrag: Mit speziellen Messmethoden erforschen, was Leute lernen, was bei ihnen hängen bleibt. "Natürlich musste ich mich an dieser Stelle entscheiden: Was will ich, was mache ich? Denn nur mal so nebenbei ging das nicht mehr mit diesem Job." Trotzdem pflegte Schmidt den Kontakt zur Region, trat als Dozent bei den Wirtschaftsjunioren auf und trainierte in Rothenburg weiter Polizei-Führungskräfte. "Das ging alles ‚holterdiepolter‘ und ich musste mich manchmal selber kneifen. Doch ich hatte Spaß an allem, was ich tat. Das ist – glaube ich – das Wichtigste: Aus persönlichem Interesse handeln ist viel besser als etwas aus Zwang zu machen. Manchmal öffnen sich Türen. Durch die man gehen muss. Aber das liegt an jedem selbst."Matthias Schmidt hat in seinem noch jungen Leben schon viele Türen durchschritten. Auch jene, die ihn ans Institut für allgemeine Psychologie der TU Dresden gehen ließ und ihn zum staatlichen Prüfer der angehenden sächsischen Gymnasiallehrer im Fach Psychologie machte. Das Seminar, das er für die Lehreranwärter ausarbeitete und unter anderem auch Deeskalationstraining und Umgang mit enttäuschten Eltern beinhaltete, wurde sogar ausgezeichnet.

Zwischen all seinen Verpflichtungen war und ist Schmidt immer wieder auf Auslandsreisen unterwegs – nach Oslo, Paris, Sydney, Istanbul, wo er als Referent gefragt ist und auch Kontakte zu amerikanischen Elite-Unis knüpfte. Zum Beispiel Berkeley, die im internationalen Ranking in der ersten Liga spielt. "Ich hatte mich damals mit der Entstehung von Depressionssyndromen bei Arbeitslosen beschäftigt und dadurch eine Verbindung zu einer renommierten Burnout-Forscherin geknüpft."

In Berkeley werden dazu momentan neue Erkenntnisse getestet: Welche Arbeitsbedingungen Burnout hervorrufen, welche Schieflagen im Arbeitsprozess diese Krankheit begünstigen und wie Chefs auf diese Anzeichen reagieren sollten. Schmidt möchte  die Ergebnisse auf deutsche Verhältnisse projizieren und damit klaren Spielregeln im Umgang und der Vorbeugung von Burnout näher kommen. "In Zeiten des demografischen Wandels ist es auch für Unternehmer von größter Bedeutung zu wissen, wie man diese Krankheit vermeiden kann – durch eigenes Verhalten, veränderte Arbeitsbedingungen, persönliche Handlungsspielräume und viele andere Dinge. Denn es kommt keiner nach, der den Platz eines durch Burnout Ausgefallenen ersetzen kann." Wenn klar sei, dass der Arbeitgeber Schuld am Auftreten von Burnout trage, seien Leistungen dafür auch einklagbar.

Daran arbeitet Schmidt. Und daran, dass sich arbeitsmedizinisch etwas bewegt in deutschen Betrieben. "Darüber hinaus werde ich mich in Kalifornien natürlich umschauen, wie Firmen mit ihren Mitabeitern umgehen, damit sie leistungsfähig bleiben. Wie der Führungsstil ist, welche Unternehmenskultur herrscht, wie Hierarchien aufgebaut sind."

Angelegt ist der Berkeley-Aufenthalt auf ein Vierteljahr. Vorerst. Denn wer weiß, welche Türen sich wieder öffnen für Matthias Schmidt. "Ich bin total dankbar, wie das in den letzten Jahren gelaufen ist. Ohne die politische Wende wäre das gar nicht möglich gewesen – weder Radio noch Psychologie."

Als Experte auf 107.6 oder Moderator beim Altstadtfest, wie in diesem Jahr, wird man den Wissenschaftler künftig seltener erleben. Aus "Schmidti" ist eben Dr. Schmidt geworden.

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