Psychologie: Wie man Fanatiker wird – FAZ

Holocaust, Lynchjustiz, Attentate – Geschichte und Gegenwart sind voll von Beispielen für blinde und brutale Gewalt. Die Frage, wie es dazu kommen kann, dass der Mensch sich radikalisiert, alles Mitgefühl verliert und wie besessen ein ideologisch überhöhtes Ziel verfolgt, beschäftigt die Forschung schon lange. „Fanatismus“ ist zwar kein wissenschaftlicher Fachbegriff. Dennoch suchen Theologen und Soziologen, Psychiater und Psychologen, Orientalisten und selbst Neurologen nach Antworten.

An der englischen University of Leeds beispielsweise untersucht der Soziologe Andreas Armborst den langfristigen Wandel des Islamismus. Die Bedingungen dafür, dass sich jemand radikalisiert, sagt Armborst, seien individuell sehr verschieden. Es gebe aber bestimmte Zündstoffe. Wenn genügend davon zusammenkämen, steige das Risiko, dass sich jemand für ein fanatisches Weltbild begeistert. Das können Empörung, ein gewisser Grad an Politisierung und ein bestimmter biographischer Hintergrund sein. Menschen, die eine kleinkriminelle Karriere hinter sich haben, werden offenbar besonders stark vom Salafismus angezogen, einer radikalen Strömung innerhalb des Islams. Was den Salafismus so attraktiv macht, ist sein strenges Regelwerk. Es gibt dort keinen Spielraum für Verhandlungen.

Aus der Spur geraten

„Gerade Leute, deren Leben aus der Spur geraten ist, die selbst schon am Abgrund standen oder stehen, denken, dass ihnen ein Leben nach diesen Regeln guttut und dass es gut wäre, wenn sich auch alle anderen daran halten“, sagt Armborst. Hinzu kommt die Empörung über die massiven Menschenrechtsverletzungen, die im Mittleren Osten an der Tagesordnung sind. Muslime leiden, dieses Leid muss beendet werden – darum dreht sich das gesamte Narrativ der Islamisten. „Wenn sie anfangen, sich mit der politischen Situation auseinanderzusetzen, und feststellen, dass die eine riesige Ungerechtigkeit ist, dann ist das ein weiterer Schritt in die Radikalisierung“, sagt Armborst. Die Weltsicht verschiebt sich, plötzlich gibt es scheinbar legitime Gründe, Anschlagsziele im Westen zu suchen.

Dass es vor allem junge Menschen sind, die zu Terroristen werden, ist kein Wunder. Die meisten Jugendlichen kehren sich in der Pubertät von ihrer gewohnten Umgebung ab, suchen Reibungspunkte, wollen dagegen und auf keinen Fall angepasst sein. Ihr Verhalten ist spontan, impulsiv und häufig nicht besonders reflektiert. Dann hängt viel davon ab, auf wen man trifft, mit wem sich welche Kontakte ergeben und wer im Freundeskreis zum Rollenvorbild wird. Charismatische Führer jedweder Szene haben hier vergleichsweise leichtes Spiel. Das ist auch den Islamisten bekannt und wird gezielt genutzt. „Die arbeiten mit einer eigenen Medienstrategie, es gibt Videos, die sehr aufwendig produziert sind und genau auf Jugendliche abzielen“, sagt Andreas Armborst. Für Erwachsene wiederum werden intellektuell anspruchsvollere Videos angeboten, die eher theologisch und politisch argumentieren.

Wenn sich Ausgeschlossene zusammentun

Mit dem Gefühl des Ausgeschlossenseins hat sich Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, ausführlich beschäftigt. „Sozial akzeptiert zu sein und teilhaben zu können ist ein Gefühl, das für uns Menschen enorm wichtig ist. Soziale Isolation ist ein Stressfaktor, der sich im Alltag bereits bei ganz banalen Dingen bemerkbar macht“, sagt Heinz. So genügt häufig schon der Umzug in eine neue Stadt, um sich ausgeschlossen zu fühlen. Bilden mehrere Ausgeschlossene eine Gruppe, der sie sich stark zugehörig fühlen, ist das ein fruchtbarer Boden für radikales Gedankengut.

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