Neid: Was steckt hinter diesem Gefühl?
Neid, die Nummer sechs der sieben Todsünden – und definitiv die einzige, die keinen Spaß macht: Was steckt hinter diesem Gefühl, das sich niemand gern eingesteht? „Die aufrichtigste Form der Anerkennung“, meinte einst Wilhelm Busch. Ähnlich befand es später der Showmaster Robert Lembke: „Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen.“ Dr. Rolf Haubl, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt, beschreibt den Neid neutral: „Ich sehe das von mir begehrte Gut im Besitz eines anderen und muss mit der Tatsache fertig werden, dass ich dieses Gut nicht bekommen kann.“ Die Abgrenzung zur Eifersucht ist eindeutig. „Bei der Eifersucht bin ich bereits im Besitz des begehrten Gutes, etwa des Partners, und dieser Besitz wird mir streitig gemacht.“
Ärger, Wut und Traurigkeit spielen eine Rolle
Anders als Angst, Schuldgefühle oder Scham wurde das Thema Neid von der Forschung lange Zeit links liegen gelassen. Mittlerweile interessieren sich nicht nur die Emotionspsychologen, sondern auch Politiker und Wirtschaftsexperten für dieses zerstörerische Gefühl mit seiner unberechenbaren Spaltkraft. „Neid ist eine komplexe Emotion. Sie enthält als Hauptkomponenten Ärger und Wut sowie Traurigkeit“, erklärt Professor Haubl. Traurigkeit entsteht, weil man etwas nicht besitzt, das man gern hätte. Ärger wiederum quillt hoch, weil es nicht angehen kann, dass der andere genau das besitzt, was ich gern hätte.
Haubl hat das Phänomen Neid im Rahmen einer Befragung von 2500 Männern und Frauen in Ost- und Westdeutschland untersucht. „Frauen gaben deutlich häufiger als Männer an, dass sie traurig sind, wenn sie das begehrte Gut im Besitz anderer sehen.“ Männer ärgern sich lieber schwarz. Diese geschlechtsspezifischen Neidreaktionen bezeichnet der Forscher als „depressiv lähmend“ beziehungsweise „feindselig schädigend“. Bei einer weiteren Neidvariante, dem „empört rechtenden“ Neid, versteckt sich das Begehren hinter der Forderung nach mehr Gerechtigkeit. „Seit der Antike gibt es immer wieder dieselbe Figur: Privilegierte der Gesellschaft tendieren dazu, das Begehren Unterprivilegierter als Neid und damit als illegitim darzustellen, während Unterprivilegierte das Interesse haben, ihr Begehren als Forderung nach mehr Gerechtigkeit anzusehen“, sagt Sozialpsychologe Haubl. Aktuelles Beispiel ist die Debatte um die „Reichensteuer“.
Es gibt auch „positiven“ Neid
Verbreitet ist auch der „ehrgeizig stimulierende“ Neid, den Haubl „produktiv und durchaus positiv“ nennt. Dieser Neid heizt den Konsum an: Das neueste Automodell, der noch größere Flachbildschirm, die ultra-ökoeffiziente Waschmaschine, der beste Zinssatz – all dies lässt sich auf Basis einer ordentlichen Prise Neid in der Gesellschaft deutlich besser verkaufen.
Die Risiken des „bösen“, also feindselig schädigenden Neides sind vielfältig: In Arbeitsteams hemmt er die Kreativität, sorgt für Spannungen und inneren Rückzug. Der betriebs- und volkswirtschaftliche Schaden durch Neid lässt sich schwer beziffern, er dürfte beträchtlich sein. John O’Neill, Experte für Tourismus-Management an der Penn State University, hat für diese Branche festgestellt: Wenn beim Hotelpersonal Neid im Spiel ist, leidet der Kunde. Hotelmitarbeiter mit direktem Kundenkontakt, die ein schlechtes Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten hatten und neidisch waren auf die gute Beziehung ihrer Kollegen zu diesem Chef, zeigten sich gegenüber den Gästen deutlich weniger kooperativ. Einen Drink bereiten, obwohl die Bar gerade geschlossen hat? Fehlanzeige. Noch schnell Theaterkarten für den Gast reservieren? Sorry, schon Feierabend. Fazit: „Je neidischer die Mitarbeiter waren, desto weniger waren sie bereit, Dinge zu tun, die über ihre Jobbeschreibung hinausgingen.“ John O’Neill und seine Kollegen stellen fest: Es sei im „besten Interesse der Vorgesetzten, mit allen Mitarbeitern im Dialog zu stehen.“
Ein gutes Selbstbewusstsein schützt vor Neid
Neid macht einsam, und höchstwahrscheinlich macht er auch krank, die Datenlage ist allerdings noch dürftig. Erste Forschungsergebnisse deuten auf einen Zusammenhang zwischen Neid und der Neigung zu Depressionen hin. Festgestellt wurde auch, dass Neid kurzfristig die Konzentration und Merkfähigkeit erhöht, längerfristig aber ungünstig wirkt: In einer Studie der Psychologin Sarah Hill von der Texas Christian University in Fort Worth gaben neidische Testpersonen bei schwierigen Denksportaufgaben schneller auf und erzielten schlechtere Ergebnisse als andere.
Wie stark sich bei jedem Einzelnen der Hang zum Neid entwickelt, dürfte eine Frage der Sozialisation sein. „Menschen, die permanent mit dem Gefühl aufwachsen, zu wenig zu bekommen, tendieren eher zu Neidgefühlen“, sagt Professor Haubl. Ein stabiles Selbstbewusstsein dagegen schützt vor Neid. Haubl nennt als Beispiel die Familie, in der die schulische Leistung das wichtigste Anerkennungskriterium ist. Der große Bruder erfüllt dieses Kriterium, seine Geschwister werden daran gemessen. „Sie lernen, dass sie in ihrer Individualität mit ihren eigenen Fähigkeiten nicht anerkannt werden. Die Kriterien der Wertschätzung sind für sie unerreichbar, das ist die typische Ausgangssituation für Neid.“
Neid: Nicht unterdrücken, sondern analysieren
Über Neid spricht man nicht, auch nicht unter guten Freunden. Macht es Sinn, seine Neidgefühle offenzulegen? Nicht unbedingt, meint Professor Haubl. Wichtiger sei, sich auf die „produktive“ Seite des Neides zu konzentrieren. „Lassen sie den Neid zu. Finden Sie heraus, was er über Sie aussagt“, empfiehlt er. „Und machen Sie sich klar: Sie haben es selbst in der Hand, sich mit denen zu vergleichen, die mehr haben, oder mit denen, die weniger haben.“
Ein Neidstich sei ein Hallo-Wach-Ruf: Mit wem vergleiche ich mich? Woran hängt mein Herz? Kann ich meine Zufriedenheit auch mit anderen Gütern erlangen? Zur Neidbewältigung gehört auch der Perspektivwechsel: Mein Nachbar hat zwar das große Auto und verdient viel Geld, dafür schuftet er aber auch rund um die Uhr. Will ich das?
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