Psychologie: Was Menschen stark macht

Stuttgart - Kein Augenzeuge konnte seine Blicke vom World Trade Center abwenden, als es am 11. September 2001 zum Entsetzen der Welt in sich zusammenfiel. Damals starben etwa 3000 Menschen – und noch viel mehr wurden traumatisiert. Manche, die das Grauen ertragen mussten, leiden bis heute. Sie haben eine Posttraumatische Belastungsstörung, bekommen Albträume, durchleben Flashbacks und sind emotional seltsam abgestumpft. Florian Holsboer, Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und zufällig Augenzeuge des Anschlags, untersuchte das Schicksal einiger Betroffener genauer. Er fand mit Kollegen heraus, dass jene, die noch Jahre später unter seelischen Folgen des Attentats litten, viele überaktive Stress-Gene besaßen. Wer unter keinen Spätfolgen litt, hatte dagegen ein normal reguliertes Stresssystem. „Der 11. September hat seine Spuren im Erbgut mancher Menschen hinterlassen, die davor psychisch gesund waren und jetzt chronisch krank sind“, sagt Holsboer.

Doch warum sind nicht alle Trauma­tisierten erkrankt? Schon lange rätseln Mediziner, Psychologen und Biologen, was manche Menschen widerstandsfähiger macht als andere. Das Fachwort Resilienz umschreibt die Fähigkeit, auch besonders starken und andauernden Belastungen ohne bleibende seelische Folgen standzuhalten. Vieles spricht heute dafür, dass das Fundament dieser wünschenswerten Eigenschaft bereits in früher Kindheit gelegt wird. Und einer aktuellen Studie zufolge bestimmen auch die Gene mit, wie resilient Menschen sind.

40 Prozent des Produktivitätsverlusts durch seelische Leiden

Eric Nestler, Hirnforscher von der Mount Sinai School of Medicine in New York, warnte kürzlich im Fachmagazin „Nature“, dass in der entwickelten Welt rund 40 Prozent des krankheitsbedingten Verlusts an Produktivität auf psychiatrische Leiden wie Depression, Schizophrenie und Angststörungen zurückgingen. Diese gehören wie die Posttraumatische Belastungsstörung zu den Krankheiten, die von einem überempfindlichen Stresssystem begünstigt werden. Selbst das Risiko für körperliche Leiden wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs erhöht sich durch mangelnde Stressresilienz. Man müsse unbedingt herausfinden, wieso manche Menschen weniger empfänglich für Stresskrankheiten seien als andere, fordert Nestler. Längst sei etwa klar, „wie wichtig die Aufklärung epigenetischer Mechanismen ist, um die Auswirkungen von Stress zu verstehen und Wege zu finden, mit ihnen besser umzugehen“.

Sogenannte epigenetische Marker reagieren auf Umwelteinflüsse wie ein traumatisches Erlebnis und verändern dauerhaft die Aktivierbarkeit einzelner Abschnitte des Erbguts. Die Vorsilbe epi steht dabei für neben oder zusätzlich, weil diese Marker wie Schalter funktionieren, die an oder bei den Genen sitzen und sie kontrollieren. Da Zellen mit diesen Schaltern ihren biochemischen Zustand regelrecht einfrieren können, sprechen Biologen von der Epigenetik als dem Gedächtnis der Zellen. Das Epigenom – also die Gesamtheit der epigenetischen Schalter einer Zelle – sei „die Sprache, in der das Genom mit der Umwelt kommuniziert“, brachte es einst der Stammzellforscher Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute in Boston auf den Punkt. Und genau diese Erbe-Umwelt-Interaktion funktioniert in der Kindheit besonders gut.

Prägung auf molekularbiologischer Ebene

Der Psychobiologe Dirk Hellhammer von der Uni Trier erforscht mit seiner Arbeitsgruppe schon lange den Einfluss starker ­Belastungen auf den Menschen. Diese wirkten sich gerade während der Schwangerschaft und in den ersten Jahren nach der Geburt nachhaltig auf Körper und Geist aus, sagt Hellhammer. Das sei einer der Hauptgründe, warum Menschen auch als Erwachsene unterschiedlich stark auf Stress reagierten: „Die Stressempfindlichkeit wird zu etwa 70 Prozent in den Monaten um die Geburt im epigenetischen Muster des Gehirns und Hormonsystems festgelegt.“

In Tierversuchen konnten Epigenetiker und Hirnforscher mehrfach zeigen, was solche Prägungsprozesse auf molekularbiologischer Ebene bedeuten. Michael Meaney von der McGill University im kanadischen Montreal entdeckte bei Ratten, die von ihren Müttern nicht ausreichend umsorgt worden waren, epigenetische Veränderungen in einer Hirnregion namens Hippocampus. Dadurch hatten die Tiere später Probleme, einmal ausgelöste Stressreaktionen zügig abzuschalten. Es gibt Hinweise, dass diese Resultate auf den Menschen übertragbar sind.

Genvariationen spielen Schicksal

Eine aktuelle Studie unter Federführung von Forschern des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie lenkt den Blick der Resilienzforschung zurück auf die Gene. Elisabeth Binder und Torsten Klengel haben sich mit Kollegen eines der Biomoleküle angeschaut, die über die Intensität der Stressreaktion mitentscheiden. Es moderiert die Stoffwechselreaktion einer Zelle auf Stresssignale. Von seinem zugehörigen Gen gibt es zwei Typen. Diese Variation – so winzig sie auch sein mag – spielt mitunter Schicksal. Denn sie entscheidet mit darüber, ob und wie Umwelteinflüsse das Stressreaktionssystem in früher Kindheit umprogrammieren, berichtet Elisabeth Binder: „Wer früh im Leben traumatisiert wurde und zudem den sogenannten Risikotyp des Gens geerbt hat, entwickelt als Erwachsener eher als andere eine Depression, eine Posttraumatische Belastungsstörung, aggressives Verhalten oder eine bipolare Störung und hat ein erhöhtes Suizidrisiko.“ Besitzt man den Risikotyp nicht, ist man zwar nicht gegen diese Leiden gefeit, aber der besonders wichtige Faktor frühkindliches Trauma scheint keinen Einfluss mehr zu haben.

Florian Holsboer meint angesichts der vielen neuen Resultate, die Biochemie, Genetik und Epigenetik holten „die oft als zu weich verunglimpfte Psychologie zurück in die Mitte der Naturwissenschaften“. Sollte er das nächste Mal in eine Katastrophe geraten, könnte er deshalb vielleicht in Zukunft aktiver helfen: Womöglich gibt es eines Tages ein epigenetisch wirkendes Medikament oder eine gezielte Psychotherapie, die – wenn sie rasch eingesetzt wird – das Umlegen epigenetischer Schalter verhindert. Mit einer solchen Behandlung würden Traumata auch bei empfindlichen Menschen keine dauerhaften Spuren am Erbgut hinterlassen.

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