Psychologie: Was macht eigentlich Weihnachten mit uns?

14.12.14

Psychologie

Als Kind in der Adventszeit erlebte Rituale und die richtigen Geschenke können unsere Entwicklung ein Leben lang beeinflussen. Psychologen finden handfeste Auswirkungen - auch für die Karriere.

Von
Maren Hennemuth

Foto: picture alliance / ZB

Die Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern kann man in der Adventszeit psychisch und physisch ausnutzen

Die Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern kann man in der Adventszeit psychisch und physisch ausnutzen

Ohne mindestens einmal "Last Christmas" oder "Do They Know It's Christmas" gehört zu haben, kommt man dieser Tage durch keinen Supermarkt. Die Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern nervt viele Menschen. Wenn man aber laut mitsingt, dann fällt der Nervfaktor weg. Es kann, wie Musikwissenschaftler aus Oldenburg wissen, sogar gut für uns sein.

"Wir versetzen uns damit schon rein körperlich in einen Zustand, der viel stärker mit positiven als mit negativen Gefühlen und Erinnerungen verbunden ist", erklärt Forscher Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg. "Mit verschlossenem Gesicht und in sich gekehrter Haltung kann man schon gar nicht singen."

Eine offene Mimik und gerade Haltung dagegen verstehe das Gehirn als positives Gefühl. "Dazu kommt natürlich die Gemeinschaft mit anderen Menschen", sagt Kreutz. "Dieses Zusammenspiel von körperlicher Gestik, Haltung, Atmung und Synchronizität mit den Mitmenschen tritt bei Glücksgefühlen häufig in Erscheinung." Nicht umsonst heiße es, dass Singen "von Herzen" komme. "Das ist nicht nur eine Metapher. Man darf das durchaus fast wörtlich nehmen."

Pinkfarbene Feen werden häufiger

Aber nicht nur die körperlichen und psychischen Auswirkungen von Weihnachtsmusik werden von Forschern untersucht. Es ist auch die Zeit, in der sich viele Eltern und Verwandte über die starke Rollenverteilung bei den Weihnachtsgeschenken für Kinder ärgern: Zarte Elfen mit pinkfarbenen Haaren sind für Mädchen da, für Jungs gibt es grüne Werkbänke mit Sägen aus Plastik.

Heutzutage gibt es viel mehr geschlechtsspezifisches Spielzeug als früher. Zum Beispiel rosafarbene Feen.
Foto: picture alliance / Photoshot

Heutzutage gibt es viel mehr geschlechtsspezifisches Spielzeug als früher. Zum Beispiel rosafarbene Feen.

Tatsächlich setzten Hersteller heutzutage stärker als früher auf geschlechtstypische Spielsachen, erklärt die Psychologin Bettina Hannover. Sie hält das für problematisch: "Je mehr Kinder in ihrer Umwelt mit geschlechtstypisierten Spiel- oder Lernsachen konfrontiert werden, desto eher schlussfolgern sie, dass Mädchen und Jungen verschieden sind, zum Beispiel mit unterschiedlichen Dingen spielen oder unterschiedliche Dinge lernen wollen."

In Experimenten fragten Entwicklungspsychologen Kinder zum Beispiel, ob ein bestimmtes Spielzeug für Jungen oder für Mädchen sei oder ob beide damit spielen könnten.

Geschlechtsrollen werden früh gelernt

Das Ergebnis: "Schon im Alter von zwei bis drei Jahren nehmen Kinder Typisierungen vor und sagen zum Beispiel: 'Puppen sind für Mädchen, Autos sind für Jungs'", sagt Hannover. In dem Alter hätten Kinder aber überhaupt noch kein stabiles Konzept darüber, ob sie selbst ein Junge oder ein Mädchen sind. "Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass geschlechtstypisiertes Spielzeug ein Mittel ist, über das Kinder die soziale Geschlechtsrolle erlernen."

Kinder hätten große Angst davor, nicht den Normen für ihre Geschlechtsrolle zu entsprechen. "Weil sie fürchten, von Gleichaltrigen ausgelacht und ausgestoßen zu werden." Das ändere sich erst am Ende der Grundschule. "Sie erkennen dann, dass auch Mädchen gut in Mathe sind oder Jungs gerne lesen." Als Eltern oder Erziehende könne man diese Prozesse beschleunigen. "Zum Beispiel indem man sagt: 'Wenn du die pinkfarbene Puppe unbedingt haben willst, sollst du sie bekommen, aber findest du nicht, dass es blöd ist, dass Mädchen immer alles in Pink haben müssen?'."

Warten schult den Charakter

Weihnachten ist ein Fest, an dem man schön die Entwicklung von Kindern nachvollziehen kann. Die Reflexionsfähigkeit über Mädchen- und Jungenrollen lässt sich hier üben. Da Weihnachten auch ein Fest mit einer relativ langen Zeit der Vorfreude ist, schult es auch eine andere Fähigkeit: die der Vorfreude und des Wartenkönnens.

"Vorfreude ist etwas ganz Tolles, etwas Wichtiges, aus dem Kinder auch viel lernen können", sagt die Psychologin Bettina Hannover. Belohnungsaufschub nennen das Experten. Der Wissenschaftler Walter Mischel hat das in einem inzwischen vielfach nachgeahmten Experiment nachgewiesen.

In der Adventszeit können Kinder Selbstkontrolle lernen
Foto: picture-alliance/ ZB

In der Adventszeit können Kinder Selbstkontrolle lernen

Etwa vierjährige Kinder mussten – allein gelassen in einem Raum – einem Marshmallow einige Minuten widerstehen, um dafür danach zwei zu bekommen. Zehn Jahre später ergab eine Befragung der inzwischen herangewachsenen Kinder: Wer sich damals gut im Griff hatte und nicht sofort in die Süßigkeit biss, brachte bessere Leistungen, konnte sich besser konzentrieren und arbeitete effektiver.

"Kinder, die gelernt haben, Belohnungen aufzuschieben, sind auf vielfältige Weise für das Leben gewappnet", sagt Hannover. "Und Weihnachten ist etwas, was Eltern wunderbar inszenieren können, um Kindern diesen Belohnungsaufschub beizubringen." Ein Adventskalender sei dabei zum Beispiel eine gute Hilfe: "Jeden Tag kommt das Ereignis näher, und ich warte darauf und werde am Ende belohnt."

Rituale braucht der Mensch

Nicht nur für Kinder ist Weihnachten ein wichtiges Fest, sondern auch für Erwachsene. Denn der Mensch ist sozial und braucht Rituale. Peter Walschburger, emeritierter Professor für Biopsychologie an der Freien Universität Berlin, erklärt das so: "Das Fest hat sich als ein besonders ausgeprägtes gemeinschaftsstiftendes Ritual etabliert. Es verändert unseren profanen Alltag hin zu einer sakralen Grunderfahrung."

Doch da das Fest für viele so wichtig ist, ist es auch ein Anlass für Konflikte. Der Ritualcharakter des Festes verleite viele Menschen dazu, die Feiertage bis ins kleinste Detail fast zwanghaft durchzuplanen, erklärt Walschburger. "Andere wollen sich solchen Zwängen nicht fügen, denn jeder von uns geht mit etwas anderen, häufig mit überhöhten Erwartungen dem Fest entgegen." So komme es leicht zu sozialen Konflikten und Stress während des Festes.

Keine zu hohen Erwartungen haben

"Immer mehr Menschen erleben Weihnachten leider auch wie eine Störung in ihrem mehr und mehr durchrationalisierten Alltag", sagt der Psychologe. "Sie sehen nicht, wie sie die Zeit aufbringen können, um den hohen Erwartungen – seien es die eigenen oder die der anderen – zu genügen." Allerdings gebe es eine Reihe von Möglichkeiten, das Fest zu entkrampfen. "Vor allem sollte man die eigenen Erwartungen auf ein realistisches Maß reduzieren und sich einfach freuen auf die gute Gelegenheit, die Freunde oder die Familie wiederzusehen."

Bei Geschenken sollte man eher auf emotionale als auf finanzielle Werte achten. Die beiden VWL-Professoren Thomas Bauer und Christoph Schmidt befragten 2008 mehr als 500 Studenten der Ruhr-Universität Bochum. Das Ergebnis: Hätten sie es selbst kaufen müssen, hätten die meisten Befragten für das Geschenk weniger Geld ausgegeben – im Schnitt elf Prozent.

Geldgeschenke helfen nicht dabei, soziale Beziehungen zu stärken
Foto: picture alliance

Geldgeschenke helfen nicht dabei, soziale Beziehungen zu stärken

Weihnachtsgeschenke waren den meisten also weniger wert, als sie tatsächlich gekostet haben. Aber: Das hing auch davon ab, wie die Frage formuliert war. Wenn ihnen jemand das Geschenk abkaufen sollte, verlangten die Studienteilnehmer einen deutlich höheren Preis.

Geldgeschenke gut abwägen

Ein Geben und Nehmen also? Der Soziologe Holger Schwaiger hält wenig von dieser Herangehensweise. "Ökonomen machen eine Rechnung auf, die nach dem Prinzip verläuft: Ich gebe etwas, und in der Schenktradition bekomme ich etwas zurück", sagt er. "Das rechne ich gegeneinander auf, und so setzt sich eine Art von Spirale in Gang." Geschenke seien in dieser Theorie eine Art Währung. Aus sozialer Sicht spiele ihr materieller Wert aber keine Rolle. "Es geht um Emotionen, Schenken ist eine Form von sozialer Kommunikation." Damit die gelinge, müsse man sich Gedanken machen.

Deshalb hält Schwaiger auch gar nichts davon, Geld unter den Tannenbaum zu legen. "Wenn ich jemandem 50 Euro schenke, wird meine Beziehung zu diesem Menschen auf den Gegenwert von 50 Euro festgelegt", erklärt er. "Was heißt es aber, wenn unsere Beziehung 50 Euro wert ist? Ist das viel oder wenig?"

Open all references in tabs: [1 - 3]

Leave a Reply