Psychologie: Warum vergeht die Zeit im Laufe des Lebens immer schneller?

Wir können die Zeit nicht anhalten. Verlangsamen aber schon. Mit Entspannung hat das jedoch nichts zu tun. von Susanne Schäfer

Hier ein paar schockierende Wahrheiten: Deutschlands Sieg beim Eurovision Song Contest mit Lena ist nicht etwa zwei, auch nicht drei, sondern bereits vier Jahre her, die Einführung des Euro schon zwölf, der Fall der Mauer sogar 25 Jahre. Kaum trottet man einen Moment lang durch den Alltag, schon ist wieder ein Jahr vergangen. Schlimmer noch: Die Zeit scheint immer rasanter zu vergehen, je älter man wird.

Was, schon wieder Geburtstag? Klassentreffen, weil das Abi 15 Jahre her ist? Und hab ich meinen Pass nicht kürzlich erst verlängert? Psychologen haben in einer Studie etwas herausgefunden, was dabei hilft, das Phänomen zu erklären. Sie fragten 500 Teilnehmer zwischen 14 und 94 Jahren unter anderem, wie schnell die letzten zehn Jahre ihrem Empfinden nach vergangen waren. Für Teenager war diese Zeitspanne langsam verstrichen, für junge Erwachsene schneller, für ältere noch schneller.

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Die Wissenschaftler legten den Teilnehmern weitere Aussagen vor: "Ich fühle mich oft unter Zeitdruck", "Ich habe oft nicht genug Zeit, mich um wichtige Dinge zu kümmern" oder auch "Ich habe viel Zeit". Die Probanden zwischen 20 und 59 stimmten öfter den Sätzen zu, die mit Zeitdruck verbunden sind. Kein Wunder, in diesem Alter sind die meisten Menschen mit Beruf und Familie ziemlich eingespannt.

Dieser Text stammt aus dem ZEIT Wissen 5/2014, das am Kiosk erhältlich ist.

Dieser Text stammt aus dem ZEIT Wissen 5/2014, das am Kiosk erhältlich ist.

Unsere Wahrnehmung ist paradox: Gerade dann, wenn man wenig erlebt hat, fühlt es sich im Nachhinein so an, als sei die Zeit besonders schnell vergangen. Ein eintöniger Arbeitstag, an dem man nur Bürokram erledigt, durch Blabla-Konferenzen wabert und in Warteschleifen festhängt, scheint manchmal ewig zu dauern. Am Abend wundert man sich trotzdem, was man eigentlich all die Stunden über gemacht hat. "Ich bin überzeugt davon, dass das Gedächtnis die Zeitwahrnehmung maßgeblich bestimmt", sagt Marc Wittmann vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg.

Wittmann leitete die Studie zur Zeitwahrnehmung mit zunehmendem Alter. "Erlebt man wenig Neues, Aufregendes, bleiben auch weniger Erinnerungen, und im Rückblick erscheint die Zeitspanne kürzer." In seinem Buch
Gefühlte Zeit

vergleicht Wittmann das Leben mit einem Urlaub: Am Anfang erkundet man die neue Umgebung, entdeckt unbekannte Düfte, Gerichte und Landschaften. Die Zeit scheint sich weit zu dehnen. Doch nach ein paar Tagen wird das Neue zur Gewohnheit, man schaut nach dem Aufstehen immer auf die gleichen Kühe vor Bergkulisse, kehrt jeden Mittag bei Luigi ein und planscht abends noch ein wenig im See. Und plötzlich ist der Urlaub viel zu früh vorbei.

Im Leben bleiben die vielen ersten Male, die man in der Jugend erlebt, deutlich in Erinnerung: der erste Kuss, die erste Party, die erste eigene Wohnung. Zwanzig Jahre jeden Morgen in dasselbe Büro und jeden Abend vor den Fernseher im selben Wohnzimmer, dann vergeht die Zeit wie im Flug. Je älter Menschen werden, desto weniger offen sind sie tendenziell für Neues, wie aus der Entwicklungspsychologie bekannt ist.

Doch je mehr Neues und Emotionales man erlebt, desto mehr prägt sich im Gedächtnis ein – und desto länger wirkt ein Zeitraum im Nachhinein. Das bedeutet auch: Jeder kann die gefühlte Zeit abbremsen, wenn er wieder mehr erste Male erlebt. Im Ruhestand scheint das sogar von selbst zu gelingen: Die Studie von Wittmann ergab nämlich, dass Menschen über 60 nicht mehr so stark das Gefühl haben, die Jahre rasten nur so vorbei. In diesem Alter scheint sich das Leben zu entschleunigen. Aber so lange muss man ja nicht warten. 

Alle Quellenangaben zu den Artikeln im ZEIT Wissen-Heft Nummer 5/2014 finden Sie hier.

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