Psychologie: Tiefschlaf macht schlau

Stuttgart - Ob man eine Prüfung besteht, hängt nicht nur vom Pauken ab – ein tiefer Schlaf ist mindestens genauso wichtig, um sich Fakten und Vokabeln merken zu können. Schüler sollten sich den Lernstoff am besten einige Stunden vor dem Zu-Bett-Gehen ansehen, sagt Jan Born, Leiter des Tübinger Instituts für Medizinische Psychologie. Die Alternative ist ein Nickerchen nach der Schule, was aber auch einen Nachteil mit sich bringt: Die Qualität des nächtlichen Tiefschlafs nimmt ab und wirkt sich weniger auf die Gedächtnisbildung aus.

Vor drei Jahren erhielt Born für seine Studien den Leibniz-Preis, die höchste Wissenschaftsauszeichnung Deutschlands. Erstmals belegte er, dass sich Tiefschlaf auf das Lernen auswirkt. „Das Gehirn kann nicht gleichzeitig Informationen aufnehmen und speichern“, sagt Born. Deshalb gibt es den Tiefschlaf, den man auch Delta-Schlaf nennt. Während dieser Zeit schaltet sich das Gehirn sozusagen offline: Man befindet sich in einer anderen Bewusstseinsphase. Das Gehirn wählt dann aus, was es vergisst und was es sich merken sollte. Es geht dabei vor allem um Fakten, aber auch um Erlebnisse wie die der letzten Geburtstagsparty. All das wird tagsüber im Hippocampus zwischengespeichert, den Teil des Gehirns, der für das Lernen zuständig ist.


Schlaf ist Hochleistungssport für den Kopf

Über Nacht wird das Erlebte erneut verarbeitet und ins Langzeitgedächtnis überführt, genaugenommen in den Neocortex, die Großhirnrinde. Gedächtniskonsolidierung nennt sich dieser Prozess, in dem alte Nervenverknüpfungen verstärkt und neue angelegt werden.

Lange haben Experten den Tiefschlaf unterschätzt; die Zeit der Träume hielt man für wichtiger, die in der Fachsprache REM-Schlaf genannt wird (REM bedeutet Rapid-Eye-Movement – also schnelle Augenbewegungen). „Aber die Biologie ist so programmiert, dass zuerst der traumlose Tiefschlaf kommt. In dieser Zeit werden Zellen regeneriert und das Immunsystem gestärkt“, sagt Jürgen Zulley, Psychologe an der Universität Regensburg. Auch ein Experiment bestätigte die Wichtigkeit des Tiefschlafs: Wer eine Nacht aufbleibt und am nächsten Abend vom Schlaf übermannt wird, hat eine doppelt so lange Tiefschlafphase wie gewöhnlich. Die REM-Phase verlängert sich dagegen erst in der zweiten Nacht.

In gewisser Weise ist Schlaf Hochleistungssport für den Kopf. Unser Gehirn ist dann mitunter wacher als am Tag. Born nimmt an, dass es sich um einen aktiven Verarbeitungsprozess handelt: Das Gehirn speichert im Tiefschlaf nicht nur ab, was es tagsüber gelernt hat. Es verarbeitet alles erneut, verknüpft und ordnet es dabei so, dass die Welt besser verstehbar wird. Der Volksmund lehrt demnach zu Recht, dass man bei schwierigen Problemen eine oder mehrere Nächte drüber schlafen sollte: „Am Ende bleiben nur die wesentlichen Aspekte im Gedächtnis haften“, sagt Born.

Wie Schlaf und Lernen zusammenhängen

Auch in seiner aktuellen Studie ging es dem Schlafforscher um das Lernen über Nacht – besonders bei Kindern. Auf die Idee kam Born, als er seine Tochter bei den Hausaufgaben beobachtete: „Sie hörte dabei Rap-Musik. Nach ein paar Tagen konnte sie die Songtexte auswendig, ohne sie wirklich bewusst wahrgenommen zu haben.“ Born fragte sich, ob Kinder deshalb so viel und schnell lernen können, weil sie so tief schlafen.

Der Schlafforscher entschied sich für ein Experiment: Er versah ein Brett mit einigen Knöpfen, die nach einem schwer erkennbaren Muster hintereinander aufblinkten. Erst sollten Kinder, dann Erwachsene die Knöpfe drücken. Über die Reihenfolge des Aufblinkens war sich niemand bewusst. Doch am nächsten Tag – nachdem die Probanden darüber geschlafen hatten – war das Muster erkennbar: Fast alle Kinder wussten es, bei den Erwachsenen gab es nur halb so viele richtige Antworten, sagt Born: „Wir haben herausgefunden, dass Kinder stärker als Erwachsene vom Schlaf profitieren. Sie kommen über Nacht schneller und öfter zu Einsichten.“ Zulley sieht dieses Ergebnis durchaus kritisch: „Kinder können ja sowieso besser lernen und besser schlafen. Man kann nicht ausschließen, dass bei so einer Studie auch andere Faktoren eine Rolle spielen.“

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