Psychologie: Süchtig nach Anerkennung

Wir wollen von anderen gemocht und geachtet werden, unter allen Umständen. Wie kann man vermeiden, sich dabei selbst aufzugeben?

Ohne Lob wird man nicht Sieger, sagt Kim Raisner, 40, heute Bundestrainerin der Damen im modernen Fünfkampf. Hier ist sie (Mitte) nach dem Staffelsieg der Weltmeisterschaften 2005 zu sehen.

"Ohne Lob wird man nicht Sieger", sagt Kim Raisner, 40, heute Bundestrainerin der Damen im modernen Fünfkampf. Hier ist sie (Mitte) nach dem Staffelsieg der Weltmeisterschaften 2005 zu sehen.

Kim Raisner stand im schönsten Moment ihres Lebens auf einem runden Treppchen in der Sonne. Alles, was sie zuvor getan hatte, schien in diesem Augenblick richtig: die Jugend auf dem Sportplatz und jede Woche die 40 Stunden Training neben der Uni, frühmorgens, spätabends, trotz Regen, Kälte und Verletzungen. Zur Siegerehrung in Ungarn bei der WM im modernen Fünfkampf wurde sie mit der Kutsche abgeholt, am Wegrand riefen die Menschen zu Tausenden ihren Namen. Ihr Körper kribbelte vor Glück.

Soziale Anerkennung wirkt wie eine Droge. Sie macht uns so glücklich, dass wir fast alles dafür tun. Kim Raisner trieb ihren Körper zum Äußersten, andere Menschen machen Überstunden, lügen, hungern oder lassen sich operieren. Menschen werden zu Gockeln, die mit Statussymbolen beladen durchs Leben stolzieren, oder sie verlieren sich in fremden Ansprüchen, weil sie meinen, nur geliebt zu werden, wenn sie sich anpassen. Und auch Aggression kann ein Versuch sein, die Zustimmung zu erzwingen, die man glaubt zu verdienen. Die unbewussten Mechanismen treiben Menschen zu den unterschiedlichsten Taten, der tiefe Sinn dahinter ist aber immer derselbe: Wir wollen als Person wahrgenommen und bestätigt werden. Soziale Anerkennung ist ein Grundbedürfnis wie das nach Essen und Trinken, ohne sie kann kein Mensch existieren.

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Und trotzdem geizen viele damit. Gerade hierzulande gilt das Motto: Lob ist, wenn niemand meckert. Skeptisch sein gilt als clever, Begeisterung schnell als naiv. Aber wo das Anerkennen fehlt, fühlen sich Menschen irgendwann unsichtbar. Sie werden nachlässig, unzufrieden, antriebslos oder gar krank. Nach Ansicht des Medizinsoziologen Johannes Siegrist entsteht emotionaler Stress vor allem dann, wenn es eine Kluft gibt zwischen großer Anstrengung und geringer Anerkennung. Das größte Risiko für ein Burn-out ist demnach nicht die viele Arbeit, sondern das Gefühl, sich immerzu anzustrengen, ohne etwas dafür zu bekommen.

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Der Ort in unserem Gehirn, der uns nach Anerkennung lechzen lässt, ist der gleiche, der Menschen auch nach Drogen süchtig werden lässt: eine Struktur in der Mitte des Hirns, deren Nervenzellen den Botenstoff Dopamin ausschütten. Er löst ein Gefühl von Glück und Stärke aus, das für den Rausch typisch ist; wir wollen Dinge angehen und Ziele erreichen. "Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden", sagt Joachim Bauer, Medizinprofessor aus Freiburg, der seit Jahren den Wunsch nach Anerkennung erforscht.

Schon bei einem freundlichen Blick oder Lob schütten die Nervenzellen Botenstoffe aus, neben Dopamin auch körpereigene Opiate und Oxytocin, was uns entspannt macht und Lebensfreude auslöst. Je stärker ein Signal der Zuneigung, desto mehr Botenstoffe werden freigesetzt – bei Liebe oder einem Orgasmus explodiert das Netzwerk förmlich. "Unser Gehirn giert nach Anerkennung", erklärt Bauer. "Alles, was wir tun, steht im Dienste des tiefen Wunsches nach guten zwischenmenschlichen Beziehungen."

Adrenalin

Adrenalin war für unsere Urahnen überlebenswichtig, es spielt aber noch heute eine wichtige Rolle: Produziert in der Nebenniere, stellt es den Körper auf Kampf (heute: Stress) ein. Das Herz schlägt schneller und pumpt kräftiger, die Muskulatur wird stärker durchblutet, die Atemwege werden erweitert, sodass mehr Sauerstoff in den Körper kommt. Im Moment Unwichtiges wie die Verdauung wird gedrosselt.

Renin-Angiotensin-Aldosteron-System

Wenn dem Körper Flüssigkeit fehlt, führt das zu einem niedrigen Blutdruck. Dann wird zunächst das Hormon Renin ausgeschüttet, das letztlich dazu führt, dass Angiotensin II entsteht. Das wiederum führt zu einer Erhöhung des Blutdrucks und zu einer Freisetzung von Aldosteron. Dieses in der Nebenniere produzierte Hormon bewirkt, dass die Niere weniger Flüssigkeit ausscheidet, und es reguliert die Natrium- und Kaliumkonzentration.

Cortisol

Wenn wir zusätzliche Energie brauchen, kommt das Stresshormon Cortisol zum Einsatz. Wie eine Reihe anderer Hormone auch erhöht es den Blutzuckerspiegel und stellt dem Körper so ausreichend Energie zur Verfügung. Eine weitere Wirkung des Cortisols aber macht es in der Medizin begehrt: Es hemmt äußerst effektiv das Immunsystem. Künstlich hergestellt, wird es eingesetzt, um etwa allergische Reaktionen zu hemmen.

Insulin

Der Name Insulin ist aus den sogenannten Inselzellen der Bauchspeicheldrüse abgeleitet, in denen das Hormon produziert wird. Es reguliert den Transport von Zuckermolekülen aus dem Blut in die Zellen. Nach jeder Mahlzeit schüttet der Körper Insulin aus, um den erhöhten Blutzuckerspiegel wieder auf den Normalwert zu senken. Der Gegenspieler von Insulin ist das Hormon Glukagon: Es bewirkt eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels.

Melatonin

Das Hormon, das in einer kleinen Hirnregion hinter dem Auge ausgeschüttet wird, ist ein Taktgeber. Bei Dunkelheit macht es müde. Wenn in den Morgenstunden die Sonne durch die Augenlider scheint, sinkt die Melatoninausscheidung, und man wird schneller wach. Ob Melatoninpillen gegen Jetlag helfen, ist aber umstritten.

Östrogene

Die weiblichen Geschlechtshormone sind einer der Hauptregulatoren des Zyklus und lösen indirekt den Eisprung aus. Davor fördern sie die Reifung der befruchtungsfähigen Eizelle: Die Gebärmutterschleimhaut wird verstärkt durchblutet, der Muttermund öffnet sich, und das Gebärmutterhalssekret wird durchlässiger für Spermien. Östrogene werden in den Eierstöcken produziert.

Oxytocin

Schon bei der Geburt spielt das Hormon eine wichtige Rolle. Es bewirkt ein Zusammenziehen der Gebärmutterhalsmuskulatur und löst dadurch die Wehen aus. Später steuert es die Milchproduktion der stillenden Mutter. Und es verstärkt die Bindung zwischen zwei Menschen: Wer gestreichelt wird, dessen Körper schüttet Oxytocin aus – was wiederum ein Wohlgefühl bewirkt.

Schilddrüsenhormone

Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) regulieren den Stoffwechsel des Körpers und werden in der Schilddrüse produziert. Ist ihr Gleichgewicht gestört, kann es zu einer Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse kommen. Ersteres kann zu starker Nervosität und Zittern führen, Letzteres macht müde und unkonzentriert.

Serotonin

Oft als Glückshormon bezeichnet, wirkt Serotonin im Gehirn erst einmal beruhigend: Es hemmt die Impulsivität und aggressives Verhalten. Unter Serotoninmangel wiederum kann es zu Angststörungen und Depressionen kommen. Daher werden verschiedene Medikamente, die die Serotoninkonzentration erhöhen, sehr häufig als Mittel gegen Depressionen und vereinzelt auch gegen Angststörungen eingesetzt.

Wachstumshormon

Das auch Somatropin genannte Hormon wird in der Hirnanhangsdrüse produziert und ist nach der Geburt für das Wachstum verantwortlich. Dabei reguliert es etwa das Wachstum von Knochen und Knorpel. Weil es zudem den Muskel- und Fettgewebeaufbau und den Blutzuckerspiegel mit reguliert, ist es nicht nur in der Jugend, sondern auch im Erwachsenenalter für den Stoffwechsel wichtig.

Testosteron

»Testikel« ist das Fachwort für Hoden, wo das Testosteron beim Mann vor allem produziert wird. Es ist für einen Großteil der beim Mann typischen Körpermerkmale zuständig: Es beeinflusst die Orte der Behaarung, steigert die Libido, fördert den Muskelaufbau und das Längenwachstum. Testosteron wird auch von Frauen gebildet, zum Beispiel in den Nebennieren, aber in weit geringeren Konzentrationen.

Schon der erste Schrei des Neugeborenen oder das anfänglich noch reflexartige Lächeln bringt Eltern dazu zu reagieren. "Das Kind nimmt Kontakt auf, es will gesehen und gespiegelt werden", erläutert Hans-Jürgen Wirth, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt und Psychoanalytiker in Gießen. "Nur im Austausch mit anderen entwickelt der Mensch seine Identität, Eigenschaften und Persönlichkeit. Alles, was in uns vorgeht, ist irgendwie auf unser Umfeld bezogen", sagt Wirth.

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