Psychologie: Stress, lass nach!

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Entwicklungsgeschichtlich gesehen war Stress eine sinnvolle Reaktion, um zu überleben und die Leistungsfähigkeit zu steigern: Bei Gefahr schüttet der Körper die Hormone Cortisol und Adrenalin aus. Das sorgte dafür, dass der Mensch in der Steinzeit nicht mehr groß nachdenken musste, ob er fliehen oder angreifen sollte. Doch darin liegt mittlerweile das Problem: "Das Wenigste ist heute lebensbedrohlich", betont der Diplom-Psychologe Lutz Hertel vom Deutschen Wellnessverband in Düsseldorf. "Viele Situationen werden aber dennoch übermäßig oder unbegründet als bedrohlich empfunden. Und genau diese Gedanken sind es, die stressen." Wie in der Steinzeit werden Hormone ausgeschüttet, Pulsschlag, Herzfrequenz und Blutdruck steigen an, die Atmung beschleunigt sich.

Blutgefäße verengen sich

Dabei verengen und verkrampfen sich auch die Blutgefäße schlagartig, erläutert Heribert Brück vom Bundesverband Niedergelassener Kardiologen. "Wenn das Problem gelöst ist, sind Sie nicht wieder sofort im alten Zustand. Es dauert noch ein bis zwei Stunden, bis Sie wieder entspannt sind."

Ist der Stress chronisch, kann das zu dauerhaften Gefäßverengungen führen. Die vom Körper ausgeschütteten - ursprünglich leistungssteigernden - Substanzen Zucker und Fett tun ein Übriges. Im schlimmsten Fall kann der Stress dann zum Herzinfarkt führen, wie unter anderem im Jahr 2004 die Interheart-Studie belegte.

Dass man Stress hat, merkt man dem Mediziner und Führungscoach Jörg-Peter Schröder zufolge so: Es fällt schwer, sich etwas zu merken und sich zu konzentrieren, die Zunge ist trocken. Auch Denkblockaden, Muskelverspannungen, Spannungskopfschmerzen, ein zuckender Lidwinkel und Zähneknirschen können Anzeichen sein.

Diese Entwicklung gilt es zu bremsen: Der Stress sollte gar nicht erst entstehen. Das heißt aber nicht, immer nur ruhig und tiefenentspannt zu sein. "Eine gewisse Anspannung braucht jeder Mensch", sagt Brück. Das sei nicht schädlich, wenn es ein gewisses Maß nicht überschreitet.

Dieses Maß ist bei jedem anders und hängt stark davon ab, wie jemand Situationen bewertet. Schröder, der ein Buch zum Thema Stressmanagement geschrieben hat, gibt ein Beispiel: "Ein Perfektionist gerät womöglich bei Chaos leicht in Stress, während das einem kreativen Menschen nichts macht. Den stressen vielleicht eher Routineaufgaben."

Hirn kramt alte Emotionen hervor

Noch heute sei es so, dass die meisten Negatives viel stärker wahrnehmen als Positives und sich dadurch stressen, ergänzt Brück. "Mit jedem negativen Gedanken holt das Hirn alles an Informationen und Emotionen hervor, was es dazu noch abgespeichert hat." Mit zunehmendem Alter werde man daher nicht entspannter, sondern gerate immer leichter in Stress. "Deshalb sollte man über negative Sachen nicht so ewig lang sprechen, sondern sich das Positive bewusst machen und die Sache lösungsorientiert betrachten."

Psychologen nennen das laut Hertel "kognitives Umstrukturieren". Brück illustriert es so: Wenn der Vorgesetzte mal wieder mit einer neuen Aufgabe kommt, denkt man lieber nicht, "Der will mich fertig machen", sondern besser: "Er ist offenbar zufrieden mit meiner bisherigen Arbeit und hat Vertrauen, dass ich auch die neue Aufgabe bewältige."

Hertel empfiehlt darüber hinaus, sich in kritischen Momenten Dinge zu sagen wie "Wer weiß, wozu das gut ist..." oder "Die anderen kochen auch nur mit Wasser".

Für Herzpatienten sinnvoll sei die "Stopp!"-Methode, um das Gedankenkarussell zu unterbrechen - und auch physisch eine Situation zu verlassen. Wer merkt, dass er von einer Situation voll überfordert ist, sollte sich kurz zurückziehen und möglicherweise an der frischen Luft abschalten und auf andere Gedanken kommen.

Immer eins nach dem anderen

Auch Schröder rät, aus Stress Lehren zu ziehen. Dazu gehört, Dinge so zu nehmen, wie sie sind und sich zu fragen, welchen Einfluss man selbst nehmen kann. Perfektionisten etwa sollten anerkennen, dass sie nicht immer alles selbst und alles richtig machen können. "Nicht zu eng mit der Aufgabe verbunden sein, Abstand zur Sache und zu sich selbst haben", fasst Schröder das zusammen. Dabei helfen die Antworten auf diese Fragen: "Was sind die Erwartungen? Sind die Ziele realistisch? Wenn nicht, dann schraubt man die Erwartungen ganz runter." Ganz praktisch heißt das: Eins nach dem anderen machen, erst eine Sache abschließen, nicht viele gleichzeitig erledigen wollen - und vor allem: sich grundsätzlich nicht zu viel vornehmen.




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