Psychologie: … nur nicht heute!

Stellen Sie sich Folgendes vor: Ihr Arbeitszimmer sieht aus, als wäre ein
Wirbelsturm durchgezogen. Sie haben die Wahl: Entweder müssen Sie bis morgen früh ein
Regalbrett in Ordnung bringen. Oder aber Sie räumen das ganze Zimmer auf – können sich dafür
aber aussuchen, wann Sie das tun. Was tun Sie?

Die meisten Menschen wählen Option Nummer zwei: Lieber später richtig Großreinemachen, auch wenn das anstrengender ist. Das Problem: Die meisten planen zwar den Großputz, erledigen ihn aber nie, konnten die Ökonomen Ted O’Donoghue und Matthew Rabin von der Cornell-Universität zeigen. Denn irgendetwas kommt immer dazwischen. Und je mehr neue Optionen das Leben bietet, desto eher zögern wir das lästige Aufräumen hinaus.

Das Experiment lässt sich auf unseren Umgang mit Finanzen übertragen, vor allem wenn es um Sparen und Altersvorsorge geht. Denn Aufschieberitis ist ein systematischer Fehler, zu dem wir alle neigen, bestätigen Psychologen. Und zwar immer dann, wenn es darum geht, komplexe Fragen zu entscheiden, die unser Leben nicht unmittelbar ändern, sondern auf die Zukunft zielen. Also etwa: Ich brauchte eine Berufsunfähigkeitsversicherung, aber welche? Wenn uns dann etwas in die Quere kommt, das kurzfristigen Genuss verspricht, vertagen wir das Unbequeme auf später – auch wenn uns so Geld verloren geht.

Das liegt daran, dass der Mensch Schwierigkeiten hat, sich die Zukunft vorzustellen, haben Verhaltensökonomen herausgefunden. Auch mit Zins und Zinseszins tut er sich erwiesenermaßen schwer. Wir neigen dazu, künftige Gewinne und Verluste erheblich weniger wertzuschätzen und kurzfristigen Konsum zu überschätzen. Das nennt die Verhaltensökonomik "hyperbolische Diskontierung" oder auch das Spatz-in-der-Hand-Paradox.

Nun ist natürlich nicht jeder Mensch gleich. Einige gehen schwierige Entscheidungen rational und schnell an, andere sind ausgesprochene Zögerer, jeder Fünfte leidet sogar unter einer sehr schweren Form der Prokrastination, wie die Aufschieberitis im Fachjargon heißt. Männer etwas häufiger als Frauen, haben Psychologen der Universität Stockholm herausgefunden. Und Junge öfter als Ältere.


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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 47 vom 19.11.2015.

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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 47 vom 19.11.2015.

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Wie anfällig man für die Aufschieberitis ist, lässt sich leicht herausfinden: Wenn Sie beispielsweise im Supermarkt nicht lange suchen, sondern lieber schnell nehmen, was "gut genug" ist, dann gehören sie zur Gruppe der Satisfizierer. Diese zieht nur bestimmte Daten für ihre Entscheidung heran, sagt der Psychologe Gerd Gigerenzer. Suchen Sie dagegen stets nach dem Besten, nach noch mehr Informationen, so hängen sie dem "falschen Ideal des Maximierers" an. Solche Menschen, so Gigerenzer, fühlen sich daher unsicher und gestresst, je mehr Möglichkeiten es gibt. Sie seien nie sicher, die richtige Entscheidung zu treffen oder getroffen zu haben – und hätten deshalb einen Hang zu Reue und Depression.

Aber es gibt Tricks gegen die Aufschieberitis. Der Verhaltensökonom Dan Ariely etwa fand heraus, dass die Hausarbeiten seiner Studenten umso besser ausfallen, je weniger Spielraum er ihnen bei den Abgabeterminen lässt. Ariely folgert: Das beste Mittel gegen das Aufschieben ist Druck von außen. Das zweitbeste: sich selbst festlegen.

Wer also jeden Monat bereits mit dem Gehaltseingang per Dauerauftrag einen Teil seines Geldes auf ein Sparkonto überweist, der spart am meisten und konsequentesten. Studien der Universität Chicago fanden zudem heraus, dass Menschen am meisten sparen, wenn sie dazu gezwungen werden, etwa über einen Pensionsplan oder eine betriebliche Altersvorsorge. Noch besser ist es, wenn man automatisch an solchen Programmen teilnimmt und sich explizit abmelden muss, wenn man es nicht will.

Anleger können ihre Aufschieberitis außerdem mit einer Portion Pragmatismus austricksen: Statt jahrelang Informationen zu wälzen, welches die besten Fonds oder Berufsunfähigkeitspolicen sind, sollten sie lieber mal eine halbe Stunde lang nach einer Statistik der zehn besten Produkte der vergangenen zehn Jahre suchen – und sich dann eines davon herauspicken, von einem Anbieter, dessen Namen sie schon einmal gehört haben. Es wird schon kein ganz schlechter sein. So, und jetzt ab ins Arbeitszimmer!

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