Psychologie: Kein Mensch will ein Gorilla sein. Ich schon.

Was wären Sie lieber: Werwolf, Gorilla – oder etwas ganz anderes? Ein Tier zu sein hat manchen Vorteil. Man dürfte im Freien leben, barfuß und in wärmendes Fell gehüllt. Ein Gastbeitrag von Bettina Suleiman

Warum das Leben als Tier manchmal besser wäre? Als Gorilla, stelle ich mir vor, dürfte ich im Freien leben, barfuß und in wärmendes Fell gehüllt, schreibt die Buchautorin Bettina Suleiman.

Warum das Leben als Tier manchmal besser wäre? "Als Gorilla, stelle ich mir vor, dürfte ich im Freien leben, barfuß und in wärmendes Fell gehüllt", schreibt die Buchautorin Bettina Suleiman.   |  © Omar Torres/AFP/Getty Images

Wie viele Werwölfe gab es seit 1850? Jan Dirk Blom, Dozent für Psychiatrie in Groningen, hat in einer Studie 13 Fälle von "Lykanthropie" gezählt, einer Unterform von "Zooanthropismus", also der Wahnvorstellung, sich in ein Tier zu verwandeln. Eingebildete Werwölfe halluzinieren Klauen, Fell und Reißzähne. Ihre Sprache verkümmert. Sie heulen den Mond an, leben im Freien und ernähren sich von rohem Fleisch. Ursache ist eine Fehlfunktion der für die körperliche Selbstwahrnehmung zuständigen Gehirnareale.

Den Inhalt von Auswilderung, meinem ersten Roman, fasse ich gern so zusammen: Es geht um eine Frau, die ein Gorilla sein will. Kein Mensch wolle ein Gorilla sein, entgegnet man mir dann. Ich schon, sage ich, aber das glaubt mir kaum einer. Ein Gorilla könne schließlich keine Bücher schreiben. Eine Minderheit allerdings gibt zu, die Affen im Wald wie ich um ihren Lifestyle zu beneiden. Oder die Kühe auf der Weide.

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Als Gorilla, stelle ich mir vor, dürfte ich im Freien leben, barfuß und in wärmendes Fell gehüllt. Nahrung wäre im Überfluss vorhanden und müsste nicht zubereitet werden. Keine Moral und keine gesellschaftlichen Normen hielten mich davon ab, meine Zuneigung oder meine Feindschaft zu zeigen. Die Befriedigung meiner aktuellen Bedürfnisse wäre mein Hauptinteresse. Bedrohungen wären nur konkret und nie abstrakt: Wilderer statt Finanzamt. Auch müsste ich nicht daran denken, irgendwas anzusammeln, mir etwas "aufzubauen".

Ein Werwolf sein – ich stelle es mir schön vor. Nicht zuletzt, weil ich als Wolf nicht zu jener Herrenspezies gehörte, die den Planeten "in einen menschlichen Themenpark verwandelt", wie Jonathan Franzen sagt: Seine Romanfigur Walter Berglund sorge, dass nichts anderes mehr übrig sei, es nur noch uns gebe. Kann ich Menschen nicht einmal im Wald oder in der Wüste entrinnen ob all der Jogger und Touristen, dann möchte ich wenigstens nicht Teil des Problems sein.

Bettina Suleiman

ist Schriftstellerin und wurde 1978 in Dessau geboren. Am 15. September erscheint ihr erster Roman "Auswilderung".

Ted Kaczynski brach im Sommer 1983 zu einer Wanderung auf. "Es waren zu viele Leute in der Nähe meiner Hütte, und ich brauchte meinen Frieden", erklärt er. Seinen Lieblingsplatz fand er von einer Straße verschandelt vor. Dann fing er mit dem Bombenbauen an. Sind Ökos also Misanthropen? Charles Manson, Anführer von ATWA – Air, Trees, Water, Animals – Pentti Linkola mit seinem Plädoyer für eine Zwei-Kind-Politik und Zwangssterilisationen? Keineswegs, so Linkola: Sei ein Rettungsboot überfüllt, hasse der das Leben, der nicht verhindere, dass alle zusammen untergehen.

Am 15. September ist der erste Roman der Autorin Bettina Suleiman im Suhrkamp Verlag erschienen. In "Auswilderung"
experimentiert die Forscherin Marina für ein Millionenprojekt der UN
mit Gorillas auf einer Insel im Roten Meer. Die Tiere wachsen wie
Menschen auf, doch sollten sie dieselben Rechte haben? Was wären die
Konsequenzen? In Anlehnung an den Roman hat die Autorin fünf Essays
verfasst, die ZEIT ONLINE exklusiv veröffentlicht. Die Themen:
Tierkunst
, Konditionierung, Ein Tier sein wollen, Arbeit und
Wissenschaft.

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