Psychologie: Jugendliche haben bei Problemen viele Anlaufstellen – Remscheider General

Seit fünf bis sechs Jahren beobachten die Berater bzw. Therapeuten der Psychologischen Beratungsstelle (Jahnstraße), dass Jugendliche - mehr als Kinder - zunehmend selber kommen. Der Selbstmord der Realschülerin "hat uns sehr gefordert", erinnert sich Matthias Fink, habe die Bedeutung der Beratung gestärkt.

Viele kämen heute, weil ihre Freundin / ihr Freund sie gedrängt haben, weil sie Angst haben, dass sich so etwas wiederholen könnte. "Viele Jugendliche haben gemerkt", sagt Matthias Fink, "dass sie an manchen Stellen die Erwachsenen ins Boot holen sollten."

Der tragische Fall führte im Nachhinein auch zu einer noch besseren und intensiveren Vernetzung zu bzw. mit den weiterführenden Schulen. Beispielsweise gibt es am Gymnasium heute einen Arbeitskreis Krisenintervention; beispielsweise sind die intensiven Kontakte zur Realschule nie abgebrochen.

"Wir dürfen nicht isoliert arbeiten - wir müssen es im Kontext tun", habe der Suizid noch einmal deutlich vor Augen geführt. Umso enger gibt es die Vernetzungen der Psychologischen Beratungsstelle mit dem Schulpsychologischen Dienst oder auch dem Kinderschutzbund, der in Bergisch Gladbach einen hauptamtlichen Mitarbeiter hat.

Dabei sei freilich zugleich "schwierig, auffälliges Verhalten zu verstehen, ohne das Kind gleich zu psychiatrisieren". Was ist normal? Wie breit ist normal - ab wo ists außerhalb der Norm? "Wir versuchen, die Balance zu halten", beschreibt Fink, "wir überlegen, wie lange wir das Kind dem aussetzen können."

Und greift damit das zurzeit gerade wieder heftig diskutiertes Problem in der Beratung / Therapie auf: das der Pathologisierung, indem ich an einem Kind alle möglichen "Symptome" entdecke, um es einfacher in eine Schublade stecken, "katalogisieren" zu können.

Wichtig, dass Kinder nicht am Smartphone vereinsamen

Das ist vorwiegend ein Problem der professionellen Hilfe. In der Praxis empfindet es Matthias Fink als ganz wichtig, dass Kinder nicht am Smartphone vereinsamen, sondern zwischenmenschliche und körperliche Begegnungen erfahren, dass sie mal Frust im Training aushalten - auf dass sie nicht gleich "delete" drücken und ein neues Spiel anfangen.

Knapp zwei Wochen hat Fink Zeit, seine Nachfolgerin einzuarbeiten, die heutige Leiterin des Amtes für Jugend usw., Birgit Ludwig-Schieffers. Gerne erinnert sich Fink an den Umzug zurück, die neue Atmosphäre am Schwanenplatz.

Der Aufbau des Familienzentrums, das erstmals die "aufsuchende Arbeit" ermöglicht, also dass die Fachmenschen zu den Eltern und Kinder gehen und nicht auf sie warten. "Das Konzept ist ja wirklich richtig", meint Matthias Fink, dass fast alle Kinder einer Stadt eine Kindertagesstätte besuchen - und "da erreichen wir alle Kinder bzw. Eltern".

Als eines der größten Erfolgsmodelle erachtet Fink in Wermelskirchen das Anti-Gewalt-Training in Zusammenarbeit mit Stadtjugendreferent Michael Haaser. Es ist nicht zuletzt dem Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) zu verdanken; das hat mal als einen großen Wunsch formuliert: "Wir wollen ohne Angst von der Schule nach Hause gehen."

"Wenn die Kinder und Jugendlichen das so sagen, dann müssen wir was tun", erinnert sich Fink, der Erfahrungen mit der geschlechtsspezifischen Jungen-Arbeit mitbrachte. Das Training stellte vor allen Dingen den Automatismus in Frage und bot dafür gezielt Übungen an.

Das Thema Gewalt ist seit zwei Jahren kein Thema mehr, weil es kaum noch gewaltbereite Jugendliche gibt. "Gewalt ist in der Schule wie in der Öffentlichkeit nicht mehr das Problem", bilanziert Fink - "dank einer großartigen Zusammenarbeit".

Zusammenarbeit
mit dem Amtsgericht

Man kann nur etwas bewegen, wenn man vernetzt ist, ist eine zentrale Erfahrung der Psychologischen Beratungsstelle. Klassisches Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht. Das erkennt unter bestimmten Voraussetzung an, wenn angeklagte Jugendliche mit der Bescheinigung in die Hauptverhandlung kommen, dass sie am Anti-Gewalt-Training teilgenommen haben. Was für eine Motivation!

Matthias Fink wird nicht abtauchen, wenn er jetzt in Ruhestand geht. Aber er freut sich aufs Wasser. Wohnhaft in Köln-Dellbrück, wird er ab August mehr Zeit haben für sein Hobby Kanufahren - und wird häufiger als bisher im Kajak auf dem Rhein zu finden sein. Und der Kontakt zu den Kollegen wird auch nicht ganz abreißen. Matthias Fink ist im Berufsverband der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten aktiv und für diesen auch Landesdelegierter. Einer, der weiß, wovon er spricht.

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