Psychologie: Jesus der Liberalen, Jesus der Konservativen

„Mein Glauben ist der Glaube meiner Väter“, sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney. Solche Sätze hört man von vielen, wenn nicht den meisten US-Politikern: In God's Own Country sind christliche Bekenntnisse geradezu Pflicht für Politiker. Bei Romney ist das Besondere nur, dass der „Glaube seiner Väter“ das Mormonentum ist, das viele Christen für eine Sekte halten. Besonders heftig auf christliche Werte pocht der Katholik Rick Santorum: Er gilt als konservativster unter den republikanischen Kandidaten, plädiert etwa für neue Angriffe auf den Iran und weitere Steuersenkungen.

Besteht hier ein Zusammenhang? Je frommer, desto konservativer? Immerhin gibt es auch Liberale (im amerikanischen Sinn des Wortes, also eher mit „Linke“ zu übersetzen), die sich als Christen bekennen. Und immerhin finden sich etliche Stellen in den Evangelien, die sich gut „links“ interpretieren lassen, man denke nur an die Aufforderung an den reichen Mann, all sein Hab und Gut den Armen zu geben (Lukas 18, 22), oder an pazifistische Jesusworte. Auf der anderen Seite haben Liberale einen gewissen Erklärungsbedarf, wenn man sie z.B. mit scharfen Aussagen Jesu über Ehebruch konfrontiert.

Offenbar schaffen es Menschen ganz unterschiedlicher politischer Ausrichtung, ihre politische Überzeugung mit ihrem Glauben zu vereinen. Wie sie das tun, untersuchten Psychologen um Lee D.Ross (Stanford University). Sie ließen ihre Testpersonen – darunter sowohl Katholiken als auch Evangelische – die Ansichten Jesu (bzw. Jesu, wenn er heute lebte) und ihre eigenen Ansichten bewerten, auf einer Skala von „extrem liberal“ bis „extrem konservativ“. Sie fragten vier Themen ab, zwei betrafen Soziales – Umverteilung durch Steuern und Behandlung illegaler Immigranten –, zwei betrafen „moralische“ Fragen – Homosexuellen-Ehe und Abtreibung. Wie erwartet, hängt das Jesusbild der Befragten stark von der eigenen Haltung ab. Überspitzt gesagt: Der Heiland ist für die Rechten ein Rechter, für die Linken ein Linker. „Projection as a means of dissonance reduction“, nennen die Forscher das im Titel ihrer Arbeit (Pnas, online 30.1.).

Interessant ist aber: Konservative schreiben Jesus in den moralischen Fragen eine noch striktere Haltung zu als sich selbst, doch bei den sozialen Themen halten sie Jesus für weniger konservativ als sich selbst. Bei den Liberalen ist es genauso: Ihr Jesus steht in sozialen Fragen weiter links als sie (plädiert noch vehementer für Umverteilung und Aufnahme von Immigranten), ist in Fragen der Sexualmoral aber strenger. Offen sei eine Frage, schreiben die Psychologen: Warum ist die einst – etwa im Kampf gegen Rassendiskriminierung – so starke christliche Linke in den USA heute politisch so schwach?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2012)

Leave a Reply