Psychologie: Im Gehirn des Börsenhändlers

Stuttgart - „Ein durchaus diffuses Bild“ – so war vor einigen Tagen in dieser Zeitung der Bericht mit den Aussichten auf die Börsenwoche überschrieben. Eigentlich passt diese Überschrift in den Zeiten der Eurokrise jede Woche. Mal gehen die Kurse kräftig rauf, mal rauschen sie abwärts. Die sogenannten Börsenexperten stochern auf der Suche nach einer Erklärung oft genug im Nebel. Nicht selten dient der gleiche Umstand, mit dem ein Kursrückgang erklärt wird, drei Tage später dazu, einen Kursanstieg nachvollziehbar zu machen. Vermutlich spielen die Irrungen und Wirrungen, die Täuschungen und Selbsttäuschungen des menschlichen Gehirns auf dem Börsenparkett eine größere Rolle als die volkswirtschaftlichen Fakten. Was also geht im Kopf eines Börsenhändlers vor?

Peter Kenning, Marketingprofessor an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, untersucht den sogenannten Home Bias (englisch für: Verzerrung). Damit bezeichnet man die Vorliebe von Aktienanlegern, ihr Geld in ihrem Heimatland anzulegen. Deutsche Anleger zum Beispiel halten zu mehr als 80 Prozent deutsche Aktien und Anleihen, in den USA sind neun von zehn Wertpapieren in privaten Portfolios US-amerikanisch. Selbst griechische Banken und andere Anleger des Mittelmeerlandes hielten lange überwiegend griechische Papiere – sehr zu ihrem Schaden, wie sich inzwischen herausgestellt hat.

Rational ist der Home Bias nicht, selbst wenn man Wechselkursrisiken berücksichtigt. Die klassische ökonomische Theorie würde stattdessen die Werte weltweit streuen, um Verlustrisiken und Gewinnchancen zu optimieren. Wie begründet sich also die Heimatliebe der Anleger? Kenning und seine Kollegen vermuten, sie handeln aus Angst vor dem Fremden und Unbekannten. Um diese Hypothese in einem Experiment zu überprüfen, legten sie vor einiger Zeit 28 Probanden in den Magnet­resonanztomografen und ließen sie über Investitionen entscheiden. Zur Auswahl standen mehrere deutsche und mehrere ausländische Investmentfonds. Dabei zeigte sich, dass die ausländischen Fonds stärker als die einheimischen die Amygdala aktivierten. Die Amygdala gilt als Zentrum der Angstverarbeitung. Je risikoscheuer die Probanden waren, desto mehr schreckten sie offenkundig vor den ausländischen Fonds zurück, unabhängig von deren tatsächlichen Gefahren und Renditechancen.

Wenn sich auf dem Parkett Panik breit macht

Nun könnte man vermuten, dass sich nur Laien von ihren Ängsten und Emotionen leiten lassen, während erfahrene Börsenprofis kühl nach der größtmöglichen Rendite Ausschau halten. Dem ist aber wohl nicht so. Andrew Lo vom MIT in Boston und Dimitry Repin von der Bostoner Universität zeigten in einer Studie, dass selbst erfahrene Händler in emotionale Erregung geraten, wenn es an der Börse hoch hergeht. Die Forscher maßen dazu Haut­widerstand und Herzschlag bei zehn Profianlegern während eines turbulenten Börsengeschehens und während ruhiger Phasen. Einige Profis waren ziemlich schnell aus der Ruhe zu bringen.

Diese Eigenschaft erweist sich als besonders ungünstig, wenn auf dem Parkett schlechte Nachrichten eintreffen. Wenn sich die Kurse rasant nach unten bewegen, stecken sich die Händler mit ihrer Verzweiflung gegenseitig an. Dabei spielten zwei Phänomene eine Rolle: der Herdentrieb und die überdimensionierte, unserem Gehirn eingebrannte Angst vor Verlusten.

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