Psychologie: Gestresste Städter haben`s schwer

Stuttgart - Der Stress ist freiwillig, aber heftig. In einem Labor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim lösen Versuchspersonen Rechenaufgaben, knobeln mit Buchstaben und Zahlen und versuchen, dreidimensionale Figuren passend übereinanderzuschieben. Eigentlich kein Problem, hätten die Probanden Zeit und Ruhe. Doch sie werden unter Druck gesetzt. Wissenschaftler in weißen Kitteln erklären ihnen, dass andere Teilnehmer die Aufgaben sehr viel schneller und besser lösen und dass sie sich doch wirklich ein klein bisschen mehr anstrengen könnten. Die Versuchspersonen sind ihren Aufgaben scheinbar nicht gewachsen und reagieren mit Stress: Puls und Blutdruck schnellen in die Höhe, der Körper schüttet Stresshormone aus. Gleichzeitig wird die Hirnaktivität in einem Hirnscanner aufgezeichnet.

Darum geht es eigentlich in dieser Versuchsreihe am ZI: Welche Hirnareale reagieren auf diese Art von sozialem Stress? Gibt es Hirnregionen, die etwas mit der regionalen Herkunft der Personen zu tun haben? Derartige Fragen möchte Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des ZI, mit den Experimenten beantworten. Der Mathematiker und Psychiater untersucht, ob und warum das Leben in einer Großstadt einen Menschen mehr stresst als das Leben auf dem Land. Dies wird auch das Thema seines Vortrags „Stress in der modernen Welt“ bei der Leser-Uni sein.

„Großstadt-Leben belastet die Psyche“

„Wir wissen aus Beobachtungen schon seit Langem, dass das Leben in einer ­Großstadt die Psyche belastet. Psychische Erkrankungen findet man in der Stadt sehr viel häufiger, verglichen mit der Land­bevölkerung“, sagt Meyer-Lindenberg. ­Depressionen treten bei Städtern zu 40 Prozent häu­figer auf, und Angststörungen sind bei Stadtmenschen um 20 Prozent häufiger. Das ­Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, hängt stark davon ab, wo man zur Welt kommt. „Menschen, die in einer Stadt geboren wurden und dort auch ihre Kindheit verbrachten, haben ein dreifach ­höheres Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, ver­glichen mit Landkindern“, erklärt der Mannheimer Psychiater. Die Daten zu psychischen Erkrankungen je nach Wohnort seien gesichert, doch man habe keine wirkliche Ahnung, warum dies so sei.

Schließlich können dies mehrere Faktoren sein: Der Lärm, die Umweltverschmutzung und fehlende Grünflächen in der Stadt können ebenso krank machen wie die soziale Verarmung, wenn Familie und Freunde zu weit weg sind und Bezugspersonen fehlen. „Kennt man diese krank machenden Faktoren besser, könnte man darauf reagieren und sich überlegen, wie eine gesunde Stadt aussehen könnte“, meint Meyer-Lindenberg. Schließlich lebe bereits heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Die Urbanisierung werde rasch voranschreiten, in China etwa streben mehr als zehn Millionen Menschen jedes Jahr in die Megastädte. Bis zum Jahr 2050 rechne man damit, dass sich mehr als zwei Drittel der Menschheit in den Riesenstädten tummeln.

Forscher untersuchen Hirnstrukturen

Am ZI sucht man nach Hirnstrukturen, die auf diese Art von Stress reagieren und gleichzeitig mit der geografischen Herkunft in Bezug gesetzt werden können. Meyer-Lindenberg wurde fündig: Eine ­bestimmte Hirnregion, die sogenannte Amygdala, ist bei den städtischen, gestressten Versuchspersonen sehr aktiv. Bei Landbewohnern ist die Amygdala auch bei Stress nicht weiter auffällig. Von dieser mandelgroßen Struktur wissen Psychologen, dass sie auch bei Depressionen und Angsterkrankungen aktiv ist. „Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Amygdala für das erhöhte Risiko für Angst und Depressionen verantwortlich ist“, sagt der Forscher. Zudem konnten Verbindungen zwischen der Aktivität bestimmter Hirnareale und Schizophrenie oder auch der städtischen Herkunft einer Person gefunden werden. Diese Ergebnisse veröffentlichte Meyer-Lindenberg im Wissenschaftsjournal „Nature“.

Der Psychiater plant bereits die nächsten Experimente: Geografen der Uni Heidelberg haben für die Versuche am ZI Karten entworfen, auf denen Grünflächen, das Verkehrsaufkommen – und damit der entsprechende Lärm – sowie die Häuserstrukturen festgehalten werden. Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben ein Mobiltelefon-ähnliches Gerät konstruiert, über das man die Versuchspersonen geografisch orten und dies wiederum mit den Karten in Verbindung bringen kann. Zudem kann man mit den Freiwilligen in Kontakt treten und sie befragen, wie sie sich gerade fühlen, ob sie sich konzentrieren können, gut gelaunt oder genervt sind. Nach einer Woche sollen die Probanden am ZI schließlich das Stressexperiment machen. Die stressbedingte Aktivität in ihrem Gehirn soll helfen, den Stress in der modernen Welt besser zu verstehen.

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