Psychologie: Einfach durchatmen – und bis zehn zählen

Psychologie Einfach durchatmen – und bis zehn zählen

Mit Wutausbrüchen richtig umgehen – Psychologie-Professor Herbert Scheithauer gibt wichtige Tipps

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08.06.15, 06:40

Psychologie

Mit Wutausbrüchen richtig umgehen – Psychologie-Professor Herbert Scheithauer gibt wichtige Tipps

Von
Harriet Schulz, 17

S-Bahn-Streik, Hausaufgaben, nervige jüngere Geschwister, Unfreundlichkeit und noch mehr. Es gibt viele Dinge, worüber sich Jugendliche – und auch Erwachsene – aufregen. Das ist auch ihr gutes Recht, schließlich ist Wut etwas ganz Natürliches. Zum Problem wird sie erst, wenn man die Wut an anderen Menschen auslässt, die meistens gar nichts dafür können.

Ich kann mich glücklich schätzen, noch nie eine echte Prügelei miterlebt zu haben, doch ich weiß noch, dass es einmal beinahe dazu kam. Es war im Geschichtsunterricht in der zehnten Klasse: Die Schüler wurden gebeten, nach vorne zu kommen und Antworten an die Tafel zu schreiben. Einer, der Chef der Jungs-Bande, ging zur Tafel und schrieb etwas an, das ich nicht sehen konnte. Es muss aber etwas Fieses gewesen sein, denn sofort sprang ein anderer Junge auf und wischte weg, was der "Boss" soeben an die Tafel geschrieben hatte. Und dann drehte er sich um, wütend und tollkühn, und ging auf den anderen Jungen zu, der größer und stärker war. Auch der machte sich zum Kampf bereit. Eine Sekunde standen sie da, musterten sich wie zwei Kampfhähne oder wie zwei Steinböcke, die gleich mit ihren Hörnern aufeinander losgehen würden. Erst als ein Mädchen rief: "Hey Jungs, hört auf!", ließen die beiden voneinander ab. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was dort beinahe geschehen wäre. Die beiden hätten sich wegen einer lächerlichen kleinen Zankerei fast geprügelt!

Oft sind kleine Vorfälle die Auslöser

Es muss nicht immer zu körperlichen Übergriffen kommen, und es sind auch nicht immer verbale Angriffe, die das Blut zum Kochen bringen. Oft sind es vermeintlich kleine Dinge, wie die 19-jährige Saskia erzählt: "Rücksichtslosigkeit und Respektlosigkeit. Wenn Menschen vor der S-Bahn nicht warten, bis man aussteigt oder wenn jemand ganz dicht neben mir auf den Boden spuckt." Auch einige Verhaltensweisen nerven Saskia, etwa "falsche Freundlichkeit, eigentlich die ganze Falschheit und Feigheit". Luzie, 17 Jahre alt, kann das verstehen: "Viele Dinge machen mich eher traurig als wütend, wie Kriege oder der Egoismus mächtiger Konzerne". Doch manchmal sind es auch die kleinen Dinge, die Luzie nerven: "Wenn mein jüngerer Bruder wieder einmal sehr lange im Bad braucht oder seine Mir-ist-alles-egal-Einstellung." Vinzent, 22, nennt "eigenes Versagen und irrationales Verhalten" als Auslöser für seine Wut.

"Wut ist eine Emotion", erklärt Psychologie-Professor Herbert Scheithauer von der Freien Universität Berlin im Gespräch. "Jeder kann sie empfinden, egal welches Alter oder Geschlecht er hat. Sie wird aber auf unterschiedliche Weise ausgedrückt", sagt der Experte. Während einige Menschen ihre Wut ganz gut unter Kontrolle haben, tun sich einige andere schwer damit. Das liegt an zwei verschiedenen Faktoren. "Jeder Mensch hat ein anderes Temperament, einige sind laut und ärgern sich schnell, andere hingegen sind eher schüchtern und zurückgezogen", so Scheithauer weiter. Jeder geht also anders mit seinen Gefühlen um. Dazu kommt dann immer noch: Erziehung. "Einige Menschen haben gelernt, ihre Emotionen zu regulieren, andere nicht", sagt der Wissenschaftler. Denn wer von seinen Eltern und seinem Umfeld gelernt hat, ruhig mit seiner Wut umzugehen, wird dieses Verhalten kopieren. Wenn aber gerade reizbare Menschen nie gelernt haben, sich unter Kontrolle zu bekommen, ist es nicht verwunderlich, dass diese besonders schlecht mit ihrer Wut umgehen können.

Wer schon einmal mitbekommen hat, wie jemand einen Wutausbruch hatte, weiß, wie beängstigend dies wirken kann. Und wer selbst mal einen hatte, dem ist die Situation ebenfalls unangenehm. Man schämt sich dafür, dass man keine Selbstbeherrschung gezeigt hat.

Was aber kann man tun, wenn es brenzlig wird? Zuallererst hilft es natürlich, frühe Anzeichen der Wut zu erkennen, bevor sie so groß wird, dass sie nicht mehr kontrollierbar ist. Anzeichen wie beschleunigtes Atmen, schneller Herzschlag, Zittern gehören auf alle Fälle dazu. Der Hals schnürt sich zu, und die Muskeln spannen sich an. Im Grunde lädt sich der Körper mit Energie auf, und um diese wieder abzubauen, spricht man immer lauter und schneller, man ballt die Fäuste oder knirscht mit den Zähnen. Der Körper ist "hyperaktiv" und man verliert bei all dieser Energie die Kontrolle.

Es ist wichtig, sich mit seinem Körper und seinem Geist vertraut zu machen, um unangenehme Situationen besser vermeiden zu können. Sonst ist es oft schwer, die Wut zu erkennen, bevor es zu spät ist. Dieses Problem haben Saskia und Luzie, während Vinzent sagt: "Ich merke, dass ich wütend werde, wenn mein Gehirn von rationalem Denken auf Konfrontationskurs beziehungsweise emotionales Denken umschaltet". Ja, so kann man es wohl auch nennen . . .

Erste Anzeichen erkennen

Das schnelle Erkennen der Wut ist schon einmal ganz wichtig. Und was sonst? Was kann man tun, um die angestaute Energie wieder abzubauen, ohne jemandem weh zu tun? FU-Professor Herbert Scheithauer hat dazu Tipps:

Die sogenannte "Count-Til-Ten"-Methode, also "Zähle bis zehn". Es ist einfach: "Von der Situation weggehen, den Kopf einschalten und bis zehn zählen, um sich zu beruhigen", sagt der Experte. Zwar ist es die bekannteste Methode, um sich abzuregen, aber sie ist nicht ohne Grund so berühmt – sie hilft nämlich wirklich.

Sich überlegen, in welchen Situationen man besonders schnell wütend wird. Diese Situationen sind zu vermeiden. "Meist habe ich nur zu wenig gegessen", erzählt Luzie zum Beispiel. Wie heißt es so schön in einer Schokoriegel-Werbung: "Du bist nicht du, wenn du hungrig bist."

Einen Plan erstellen für den Notfall, wenn man sich schnell abregen muss. Dabei kann jeder selber bestimmen, wie er aussieht. Wenn man merkt, dass man wütend wird, wendet man dann einfach den Plan an. Saskias Plan sieht etwa so aus: "Ich habe mir ein paar Sätze aufgeschrieben, die ich in Gedanken durchgehe: "Wer liebt dich? Worauf bist du stolz? Was macht dich glücklich? Was würdest du tun, wenn du nicht wütend wärst? Was ist der Auslöser für deine Wut? Solche Fragen eben."

Neben diesen allgemeinen Tipps muss jeder selbst für sich herausfinden, was gegen die Wut hilft, schließlich kennt sich jeder selbst am besten. Beruhigende Aktivitäten wie Malen, Stricken oder Häkeln helfen Luzie, während Saskia sich beim Musikhören oder beim Singen abregt. Vinzent hilft es, wenn er probiert, objektiv auf die Situation zu blicken, sein Verhalten zu beurteilen. Sollte dies alles nichts nützen, sind die wiederholten Wutausbrüche nicht unter Kontrolle zu bringen, sollte man sich professionelle Hilfe holen.

Denn: Wut ist auf Dauer ungesund, macht unglücklich und der Anlass ist in den meisten Fällen die Aufregung nicht wert. Das findet auch Saskia: "Es lohnt sich einfach nicht, sich über Dinge aufzuregen. Das Leben ist viel schöner ohne Gewalt und Wut."

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