Psychologie: Die subtile Erotik des Grillens

Sie soll sich da nicht einmischen, sagt er. Lieber zusehen, dass der Salat rechtzeitig auf dem Tisch steht. Er widmet sich wieder dem Studium der Kohle. Inspiziert fachmännisch den Zustand der Glut. Seinen Anzug hat er eingetauscht, gegen Jeans und ein labbriges Shirt. Schürze, das ist was für Frauen. Genauso wie Tisch decken. Und Salat eben. Saucen vielleicht noch. Sein Ding ist das Feuer, sein Zepter die Grillzange.

Solche Grillszenen spielen sich in Millionen Gärten der Republik ab. Bei einer Umfrage unter 887 Deutschen haben rund 92 Prozent angegeben, dass sie gern grillen. Stattliche 1,1 Milliarden Euro wurden 2014 in Grillgeräte investiert. Verantwortlich dafür sind vor allem Männer. Bei zwei Dritteln aller Grillfeste steht Umfragen zufolge ausschließlich der Mann am Grill. Ein Fünftel gab an, dass beide grillen. Nur bei sieben Prozent grillt normalerweise die Frau.

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Es scheint, als fielen Männer und Frauen vor der Feuerstelle im Garten reflexartig zurück in die Steinzeit. Daran ändert auch eine gleichberechtigte Partnerschaft nichts. Überall gibt es eine Frauenquote, nur am Grill darf der Mann Macho sein. Dafür kann keiner was. Es liegt an den Genen.

Das Wurmloch im heimischen Garten

"Grillen ist ein Rollenspiel", erklärt der Soziologe Sacha Szabo, die Simulation einer Situation, die es im Alltag so nicht mehr gibt. Wurmlöcher nennt er solche Fluchten aus der Wirklichkeit, "außeralltägliche Erlebnisse", die die Menschen ihre Sorgen für einen Moment vergessen lassen. Grillen biete sich da in vielerlei Hinsicht an, erklärt der Herausgeber des Forschungsbands "BBQ. Grillen – eine Wissenschaft für sich".

Das Feuer zum Beispiel, ein Mythos aus Urzeiten. Seit rund einer Million Jahren nutzt der Mensch das Feuer für seine Zwecke. "Am Feuer sind die Menschen zusammengekommen", erklärt Peter Walschburger, Professor für Biopsychologie an der Freien Universität Berlin. "Dort wurde auch unsere sprachliche Kommunikation entscheidend gefördert", und natürlich haben die Menschen dort auch ihr Essen zubereitet.

Lange Zeit blieb es so: Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde am offenen Herdfeuer gekocht, um den Tisch versammelte sich die Großfamilie. Erst in den 1920er-Jahren begann in Deutschland der Siegeszug der Gas- und Elektroherde. Sie vertrieben das offene Feuer aus der Küche, technisierten den Kochvorgang, machten aus einem schmutzigen einen sauberen Ort. Und genau darauf, schreibt die Soziologin Sylvia Kochs, antwortet der in den 1960er-Jahren einsetzende Trend: "Der Grill macht diese Entwicklung rückgängig." Und zwar mit voller Absicht.

Ein Reflex auf die Moderne

Die meisten Griller kennen die Küche nur vom Hörensagen. Entsprechend chaotisch gestalten sich viele Grillabende. Sind die ersten Würstchen bereits verbrannt, liegt das Steak noch halb roh auf dem Rost. Angegrillt wird um acht, gegessen irgendwann gegen viertel vor zehn, gern in Etappen. Dass die meisten Grillbeilagen kalt serviert werden, ist kein Zufall. Das Provisorische, auch das Ineffektive ist Teil des Konzepts. Im Auszug aus der Sterilität der Einbauküchen manifestiert sich eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, dem Unmittelbaren. Es ist eine Flucht aus einer Welt, die mehr und mehr auf Effizienz und Perfektion bedacht ist. Der Grill ist ein "Reflex auf die Moderne", sagt der Soziologe Sacha Szabo.

Unter freiem Himmel entzündet der Mann das offene Feuer, um rohes Fleisch zu verbrennen. Niemand erklärt ihm, dass er das Nackensteak besser gegen eine Zucchini eintauschen und die Hände nicht an der Hose abwischen sollte. Es ist eine Welt, in der alles seinen angestammten Platz hat, in der nichts infrage gestellt wird – schon gar nicht, wer über das Feuer herrscht.

Grillen, glaubt Szabo, ist nicht nur ein kulinarischer Regress in eine vorzivilisatorische Zeit, sondern auch ein geschlechtersoziologischer Rückschritt – und zwar ein gewollter. Anders als in der Lebenswirklichkeit steht die Rolle des Mannes am Grill nicht zur Disposition. Wer über das Feuer wacht, verteilt das Essen. Und wer das Essen verteilt, hat die Hosen an. Das macht Grillen Szabo zufolge für Männer so attraktiv.

Es kompensiere das durch die Frauenbewegung brüchig gewordene Männerbild: Für einen Augenblick darf es aufflackern, das alte, überkommene Rollenmodell des 19. Jahrhunderts, in dem das Familienoberhaupt am Sonntag wirkmächtig in die Küche schritt, um vor aller Augen ein stattliches Stück Fleisch in den Ofen zu schieben. Das Grillkotelett sei ein Reflex auf den biedermeierlichen Sonntagsbraten, das Grillen ein Spiel, in dem sich der Mann als potenter Ernährer in Szene setzen darf.

Die Frau schweige am Grill

Aber warum sollten dieselben Frauen, die die Auflösung traditioneller Rollenmodelle hartnäckig erkämpft haben, dieses Theater mitspielen? Warum zupft sie unauffällig Salatblätter und überlässt ihm die Bühne?

"Subtile Erotik", antwortet Szabo. "Der Mann inszeniert sich als Kerl, die Frau findet das gut." Fred-Feuerstein-Sexappeal. "Mich wundert das gar nicht", sagt der Biopsychologe Peter Walschburger. Was sind schon die paar Jahre Emanzipation, verglichen mit Jahrmillionen menschlicher Evolution. Wer Geschlechterrollen wirklich verstehen will, müsse beides im Blick haben: Kultur- und Naturgeschichte.

Seitdem der Mensch Werkzeug benutzt, immerhin seit rund 2,6 Millionen Jahren, kommt er in Gruppen zusammen und spielt eine Rolle innerhalb der Gemeinschaft. Wie genau die Mann-Frau-Konstellation dabei aussah, weiß die Forschung nicht. Doch Frauen haben schon immer Kinder geboren und brauchten in dieser schutzlosen Situation einen Versorger, einen, der ihnen möglicherweise auch das Fleisch garte. An diese Bedingungen haben sich Frauen wie Männer verhaltensgenetisch angepasst.

Gibt es also ein männliches Grill-Gen? Das wohl nicht, sagt Walschburger, "aber wir müssen verstehen, dass gesellschaftlich veranlasste Rollenbilder nur Variationen und Entwicklungsmöglichkeiten unseres naturgeschichtlich geprägten Profils sind." Manche Rollenzuschreibungen haben sich gewissermaßen in die menschliche DNA eingebrannt. Unumkehrbar ist das freilich nicht, aber: "Der Fortschritt ist meist kleiner, als er aussieht." Vielleicht ist das der Grund, warum sogar Feministinnen nichts gegen einen Macho haben. Solange er grillt.

Alles nur Theater

Konsequenzen für den Alltag hat das Theater am Feuer nicht. "Es ist nur ein Spiel", betont Szabo, "auch wenn es mit sehr großem Ernst betrieben wird." Wie Ernst, das lässt sich in vielen Gärten bewundern. Statt primitiver Feuerstellen, zieren heute chromstahlglänzende Outdoorküchen die Terrassen. In Hochglanzmagazinen wie "Beef!" und "Der Griller" lernen die mittlerweile gern als "gastrosexuell" bezeichneten Herren des Feuers, bei welcher Temperatur ihr sündhaft teures Kobe-Steak am besten gelingt und welche Sorte Meersalz dazu passt.

"Unsere Leser haben Lust, etwas Archaisches zu machen", erklärt "Beef!"-Chefredakteur Jan Spielhagen, nur eben mit modernen Mitteln. Gerade deshalb sei Grillen und auch Kochen das ideale Männerhobby. Es erfordert ein gewisses handwerkliches Geschick, man kann ungeheures Expertenwissen anhäufen und allerlei technischen Schnickschnack anschaffen. "Sie grillen ja nicht einfach", stellt Spielhagen klar, "sie smoken, sie räuchern und barbecuen. Das sind Intensivtäter."

Für Sacha Szabo passen diese "neuen" Griller genau ins Bild. "Ja, Männer kochen", sagt er, "aber nur, wenn es jemand sieht." Die Inszenierung, das bestätigt Spielhagen, steht im Mittelpunkt, wenn der Mann die Grillzange schwingt. Das ist für ihn übrigens auch einer der Gründe für die männliche Lust am Fleisch: Schließlich bekommt das Steak immer die größte Aufmerksamkeit. "Wer redet schon über den Nudelsalat?"

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