Psychologie: Die Droge der Macht

Stuttgart - Ob bei Bewerbungsgesprächen, Vorträgen oder mündlichen Prüfungen – manchmal muss man andere Menschen von sich überzeugen. Viele verhalten sich in diesen Situationen sehr zurückhaltend, was ihre Chancen nicht gerade verbessert. Dieses Jahr erschien eine internationale Studie, die für ängstliche Schüler und Bewerber Rat weiß: Sie müssen sich an eine Situation erinnern, in der sie Macht ausüben konnten.

„Macht hat, wer mehr Kontrolle über eine andere Person hat als sie über einen selbst“, sagt Kai Sassenberg, Psychologe am Tübinger Leibniz Institut für Wissensmedien. Letztes Jahr veröffentlichte der Forscher eine Studie: Fast 300 Probanden sollten sich vorstellen, über die olympischen Spiele entscheiden zu dürfen. Die eine Hälfte sollte größtmöglichen Erfolg und Gewinn anstreben, die andere größtmögliche Verantwortung. Beide Gruppen mussten heikle Fragen beantworten, zum Beispiel, ob es Prämien für sportliche Höchstleistungen geben solle; im schlimmsten Fall könnten sich Sportler deshalb verausgaben und ihre Gesundheit gefährden. Am Ende wurden alle Probanden gefragt, wie sie zu Machtpositionen stehen – das Ergebnis: „Sobald Macht mit Verantwortung in Verbindung gebracht wird, erscheint sie nicht mehr attraktiv“, sagt Sassenberg.

Macht kann beides sein: Last oder Gelegenheit – je nachdem, wie sie wahrgenommen wird: „Meistens sind es Erfolgsmenschen, die an die Macht wollen“, so Sassenberg. Einer psychologischen Theorie zufolge streben manche Menschen eher nach Erfolg als nach Sicherheit: Sie denken weniger über mögliche Niederlagen und Verluste nach; sie sehen die Welt als Chance an, die eigenen Ziele zu erreichen – auch wenn sie es damit anderen manchmal schwer machen können.

Fast jeder kennt einen dreisten Kollegen, der dazu neigt, die Faust zu ballen und Befehle zu erteilen, als wäre er schon immer Oberhaupt im Büro gewesen. Das hartnäckige Klischeebild vom Machtmenschen ist wohl kein Zufall: „Wer sich wie ein Chef benimmt, hat nicht schlechte Chancen, einer zu werden“, sagt Sassenberg. Doch es bleibt nicht nur bei der Darstellung – Macht verändert Menschen tatsächlich: „Sie funktioniert ein bisschen wie Alkohol“, sagt Joris Lammers, Sozialpsychologe an der Universität Köln. „Man hat keine Hemmungen mehr und ist eher mit eigenen Zielen beschäftigt als mit denen anderer Leute.“ Diese Enthemmung hat Vor- und Nachteile: Machtmenschen können leichter mit Stress umgehen. Lammers vermutet, dass sie vielleicht deshalb so gut für Arbeitsbereiche wie die Politik geeignet sind: „Wenn Politiker nicht enthemmt wären, kämen sie vielleicht gar nicht mehr aus dem Bett. Sie haben ständig mit Problemen und ökonomischen Krisen zu tun, die sich nicht ohne weiteres in den Griff bekommen lassen.“ Der Psychologe Georg Förster von der Universität Würzburg sieht noch einen weiteren Vorteil im Verhalten von Machtmenschen: „Sie machen sich nicht davon abhängig, was Autoritäten von ihnen verlangen.“ Deshalb könnten sie kreativer als andere Menschen sein.

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