Psychologie des Weinens – Zum Heulen

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Warum weinen Frauen so viel mehr als Männer, und warum weinen Menschen überhaupt? Forscher grübeln intensiv über dieser Frage, Erklärungen suchen sie in Kindheit und Kultur. Auch sexuelle Botschaften könnten Tränen in sich tragen.

Charles Darwin hielt es für einen Zufall der Natur: Wozu weinen? Mit Tränen? Der Naturforscher hatte zwar die Grundlagen der Evolutionstheorie gelegt, aber diese simple Körperfunktion war ihm schleierhaft. Tränen wüschen Staub aus und hielten die Augen feucht, vielleicht auch die Nasenlöcher, schrieb Darwin in seinem Werk "Der Ausdruck von Emotionen bei Menschen und Tieren". Aber das hemmungslose Schluchzen, das der Forscher häufig bei seinen eigenen Kindern beobachtete, verwirrte ihn. Er verglich das Weinen mit einem heftigen Schütteln, das den Körper bei Schmerz oder Kälte erfasst, eine zufällige Reaktion ohne viel Sinn.

Darwin notierte diese Gedanken vor bald 150 Jahren, und immer noch treibt die Frage, warum nur der Mensch emotionale Tränen vergießt, Wissenschaftler um - ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Sigmund Freud glaubte, das Weinen reinige die Psyche, so wie Niere und Leber das Blut sauber halten. Andere hielten Tränen für ein Zeichen der Kapitulation vor siegreichen Gegnern. Doch warum sollten dann nur Menschen schluchzen, wo doch Tiere ebenfalls Kämpfe austragen?

Der Psychologe Ad Vingerhoets von der niederländischen Tilburg Universität glaubt, dass Tränen der langen Kindheit des Menschen geschuldet sind. "Der Nachwuchs von jedem Säugetier macht Geräusche, um Unbehagen zu zeigen, oder wenn Gefahr im Anmarsch ist", sagt Vingerhoets. Eine sinnvolle Erfindung, wenn Kreaturen klein und hilflos sind - doch ebenso potenziell gefährlich. Denn Schreie könnten auch Jäger anlocken und somit den Tod bedeuten. Menschenkinder brauchen den Schutz ihrer Eltern besonders lange. "Da war es evolutionär wohl wichtig, die Gefahren von akustischen Signalen loszuwerden, und sie durch ein sichereres Mittel zu ersetzen", sagt Vingerhoets. Dieses sichere Mittel könnten Tränen gewesen sein, schreibt Vingerhoets in seinem Buch "Why Only Humans Weep". Das Weinen wäre also eine Light-Version des Brüllens, die zwar die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich lenkt, Räuber aber fern hält.

Freudentränen

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Der Ansatz klingt logisch, doch er erklärt nicht unbedingt, warum auch Erwachsene mitunter hemmungslos schluchzen. Klar scheint, dass sich die Funktion der Tränen im Lauf des Lebens wandelt. Kinder weinen häufig aus Furcht oder Schmerz, Erwachsene eher aus Empathie. Die soziale Komponente wird wichtiger. "Ältere weinen mehr aus Liebe, aus Mitgefühl", sagt Vingerhoets. Der Psychologe ist den Tränen seit 1988 auf der Spur. Da fragte ihn jemand auf einer Party, ob Weinen wichtig für die Gesundheit sei - Vingerhoets hatte keine Antwort parat, seitdem fesselt die Frage ihn und seine Doktoranden. Nur eine Handvoll Forscher beschäftigen sich weltweit mit den Ursachen des Weinens.

Doch je mehr Studien sie anfertigen, je mehr Tränen Probanden in ihren Labors vergießen, umso rätselhafter scheint es nur zu werden. Über 5500 Personen in 37 Ländern befragten Forscher um Dianne van Hemert vom niederländischen Forschungszentrum TNO nach ihren Weingewohnheiten, etwa wie oft sie in den letzten vier Wochen geweint hatten - mit anonymisierten Fragebögen, um ehrliche Antworten zu erhalten. Natürlich bilden 37 Staaten nicht die gesamte Erde ab, dennoch war ein klarer Trend erkennbar: Es waren nicht die Länder, in denen die größte Ungleichheit und Unterdrückung herrscht, in denen am meisten geschluchzt wird. Sondern eher die Staaten, deren Einwohner als besonders glücklich gelten, oder die vergleichsweise weit entwickelt sind.

So weinen die Schwedinnen und die Brasilianerinnen weltweit am meisten, und unter den Männern sind die Italiener die größten Heulsusen. Deutsche Frauen und Männer liegen jeweils auf Platz 3. "In glücklichen und wohlhabenden Ländern wird mehr geweint", schreiben die Autoren im Fachmagazin Cross-Cultural Research. Weinen sei also nicht Ausdruck des Unglücks, sondern eher ein Zeichen für Meinungsfreiheit und Toleranz. Die Menschen müssen sich trauen können, ihre Gefühle zu zeigen. In autokratischen Staaten geht das nicht immer, es besteht eine Art kultureller Tränenblocker.

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