Psychologie des Heimvorteils: Souverän im eigenen Revier

Stuttgart - „Kommen Sie doch einfach übermorgen zu mir ins Büro, und wir bringen das Projekt unter Dach und Fach“, schlägt der Geschäftspartner gönnerhaft vor. Wer darauf eingeht, hat womöglich schon den Kürzeren gezogen.

Es gibt nur drei Gründe, warum man wichtige Verträge im Büro der Gegenseite aushandeln sollte statt im eigenen. Erstens: man hat keine andere Wahl, weil der Vertragspartner – nicht selten ja eher ein Vertragsgegner – mächtiger ist und den Ort bestimmen kann, etwa ein künftiger Arbeitgeber. Zweitens: der Betreffende ist schon dafür bekannt, ständig irgendwelche „wichtigen Unterlagen“ in seinem Büro vergessen zu haben, weswegen der Vertragsabschluss „leider nicht möglich“ sei und man sich noch einmal vertagen müsste. Oder es geht, drittens, nur um ein Vorgeplänkel, und die eigentliche Unterschrift soll erst später erfolgen.

Grundsätzlich aber sollte man wichtige Verträge nicht in fremden Geschäftsräumen abschließen. „Ihr eigenes Büro bietet Ihnen oft einen enormen Vorteil, weil Sie sich auf vertrautem Terrain befinden“, sagt Michael Donaldson, ein amerikanischer Anwalt und Fachmann für Verhandlungsstrategien. „Es ist Ihre gewohnte Operationsbasis. Hier liegen alle benötigten Informationen beisammen. Kollegen können Sie unterstützen, falls Sie auf deren Erfahrung und Hilfe zurückgreifen müssen. In dieser Umgebung werden Sie sich immer am wohlsten fühlen.“

Über den Heimvorteil im Fußball streiten die Experten

Dieses Behagen verspürt, wer Herr der Lage ist. „Und wer die Kontrolle hat, hat die Macht“, findet Robert Greene, Autor des Buchs über die „48 Gesetze der Macht“. Dass er in seinen Büchern auch Napoleon und andere gewiefte Feldherren ins Feld führt, ist kein Zufall. Denn gute Strategen wissen, dass ein Rückzug in vertraute Gefilde manchmal die beste Verteidigung ist und eine Schlacht entscheiden kann, weil der Gegner auf fremdem Territorium operieren muss und weitab von eigenen Ressourcen. Das schwäche nicht nur seine Kräfte, es mache ihn zu­dem nervös. Die Konsequenzen: übereiltes Handeln und folglich Fehler – so auch im unvertrauten Büro oder Konferenzraum, wo man vom entspannt agierenden Hausherrn „subtil in die Defensive gedrängt“ werden könne.

Umweltpsychologen wissen seit Langem, wie gut es für das Erleben von Kontrolle und Macht ist, im eigenen Herrschaftsbereich zu handeln. Das zeigt sich auch beim Heimvorteil von Fußballteams, auch wenn dessen Ursachen unter Fachleuten bis heute umstritten sind. Denkbar ist hier manches: Feuern die heimischen Zuschauer ihre Mannschaft womöglich effektiver an und schüchtern so gleichzeitig den Gegner ein? Lassen sich die Schiedsrichter davon beeindrucken, so dass sie Regelverstöße des heimischen Teams seltener ahnden? Ist die Gastmannschaft vielleicht geschwächt von einer langen Anreise?

Etliche Tests und Überblicksstudien haben sich damit befasst und mal das eine, mal das andere als Faktor hervorgehoben. Die Quintessenz: die Anreise scheint immerhin keine Rolle zu spielen. Einiges aber spricht dafür, dass in der Tat die größere Vertrautheit mit dem eigenen Sportplatz die Kampfeslust des heimischen Teams steigert und dessen Vertrauen darauf stärkt, überlegen zu sein. Der kanadische Psychologe Albert Bandura prägte für diese Zuversicht den Begriff „Selbstwirksamkeitserwartung“.

Wäre es nicht einfacher, sich schnell geschlagen zu geben?

In diesen Belangen sind Tiere auch nur Menschen. Auch sie kämpfen um angestammte Reviere mit großem Einsatz. Für dieses Bemühen müssen die Revierinhaber viel Zeit und Energie aufwenden, denn entfernt man sie aus ihrem Einflussbereich, wird dieser in aller Regel sehr schnell von Artgenossen eingenommen. Nach Ansicht des Göttinger Verhaltensbiologen Peter Kappeler zeigt diese rasche Revierübernahme, „dass viele Territoriumsinhaber ständig mit der Verteidigung ihres Gebietes beschäftigt sein müssen“.

Bei Revierstreitigkeiten mit seinen Kräften haushalten zu können und diese nicht zu verschwenden ist für das Überleben eines Tieres demnach förderlich – ganz abgesehen davon, dass Kämpfe bei vielen Tierarten Verletzungen nach sich ziehen oder gar den Tod bedeuten können. Hierin liegt der tiefere Grund dafür, warum Tiere darauf aus sind, Reviere deutlich erkennbar zu markieren: Singvögel setzen dazu ihren Gesang ein, viele Säugetiere Duft- und Kotmarken, aber auch Drohgebärden, Gebrüll oder andere markante Laute, wie man sie ganz ähnlich von den Rängen eines Fußballstadions kennt, wo die Heimmannschaft sich keineswegs akustisch unterbuttern lassen will.

Die aus gutem Grund so genannten Brüllaffen Mittel- und Südamerikas zum Beispiel müssen täglich viele mehr schlecht als recht sättigende Blätter futtern, um bei Kräften zu bleiben. Energiereichere Früchte gibt es nicht immer oder nicht genug. Da ist es nur sinnvoll, wenn man Rivalen durch vergleichsweise kraftsparendes Brüllen auf Distanz halten kann, statt sich immer wieder mit ihnen raufen zu müssen. Nichts anderes haben Menschen im Sinn, wenn wir gut sichtbar an der Wand unseres Eigenheims das Blinklicht einer Alarmanlage anbringen oder das Grundstück umzäunen.

Gekämpft wird in der Nähe des Nests

Zu klären ist noch die Frage, warum Tiere ihr Revier nicht einfach aufgeben, wenn ein Artgenosse es haben will, und sich anderswo ein neues suchen. Das wäre nur dann ein Ausweg, wenn es genügend gleich gute Plätze zum Leben gäbe, was aber meist nicht der Fall ist. Doch es gibt noch einen anderen Grund für Beharrlichkeit: Tiere brauchen in der Regel weniger Energie, um einen günstigen Brutplatz oder Futtergrund zu verteidigen, als sie aufbringen müssten, um anderswo ein gleichwertiges Revier zu erobern. Denn die Inhaber eines Territoriums wehren Eindringlinge mit all ihrer Kraft ab, und das meist erfolgreich.

Der 1989 verstorbene Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat den Kampfeswillen von Revierbesitzern beschrieben. Die Dohle etwa kämpfe im eigenen Einflussgebiet „viel intensiver“ als in einem fremden. Ebenso das Männchen des Dreistachligen Stichlings: seine Kampfeslust sei umso geringer, je weiter der Fischmann sich von der Bruthöhle entfernt, die er am Gewässergrund baut. Und in der etwas dröhnenden Sprache seiner Zeit fügte der österreichische Zoologe hinzu: „Am Nest selbst ist er ein Berserker, der sogar die menschliche Hand todesmutig rammt. Je weiter er sich aber während des Schwimmens von seinem Hauptquartier entfernt, desto schwächer wird seine Angriffslust.“

Indem Platzhirsche ihr vertrautes Terrain besetzt halten, können sie „unter dem Strich erstaunlich viel Energie einsparen“, urteilt Peter Kappeler. In einem eroberten und dann lange besetzt gehaltenen Revier stecken viel Kraft und Mühe oder anders gesagt: eine hohe Anfangsinvestition. Und auch Tiere wägen quasi laufend die nötigen Kosten eines bestimmten Verhaltens gegen den erzielbaren Nutzen ab. Warum sollte man sich auch kloppen und balgen, wenn der Preis für Blessuren viel zu hoch und der mögliche Lohn viel zu mickrig ist?

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