Psychologie: Der Wahn der Querulanten

Manche Menschen glauben, in einer feindseligen Umwelt zu leben. Sie wittern überall Böses. Weil sie überzeugt sind, dass ihnen Unrecht geschieht, entwickeln sie sich zu gefürchteten Gegnern von Nachbarn, Ämtern und Gerichten oder auch der eigenen Familie. Ihr Leben wird zum „ganz normalen Wahnsinn“. Doch ist es wirklich pathologischer Wahn, was Querulanten antreibt? Oder sind ihre Ansprüche berechtigt?

Mit dieser Frage plagen sich Psychiater und Gerichte schon lange herum. „In seiner ursprünglichen Bedeutung war der Querulant ein Mensch, der aus geringfügigem oder vermeintlichem Anlass Klage erhebt oder sich bei Behörden und Institutionen beschwert“, beschreibt der Schweizer Psychiater Thomas Knecht die Anfänge der Entwicklung.

Die Bezeichnung „Querulant“ tauchte 1793 in Preußen auf. Man verstand darunter „Prozessierer, Rechthaber und Krakeeler“, die den Gerichten Schwierigkeiten bereiten. Der Begriff habe jedoch mittlerweile eine psychiatrische Bedeutung angenommen.

Knecht steht als Gutachter in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen (Kanton Thurgau) besonders häufig vor dem Problem, die psychische Verfassung vorgeblicher „Querulanten“ beurteilen zu müssen.

„Der ‚Querulatorenwahn' erfüllt nicht alle Wahnkriterien. Vielmehr handelt es sich um eine wahnhaft anmutende Überzeugung, im Recht zu sein, auch wenn alles dagegen spricht.“ Diagnostisch liege dieser Verhaltensstörung häufig eine paranoide Persönlichkeitsstörung, selten eine wahnhafte Störung und noch seltener eine paranoide Schizophrenie zugrunde.

Sind die uneinsichtigen Streithammel also wirklich krank? Die internationale Klassifikation psychischer Störungen scheint gut dazu zu passen. Zu den Kriterien gehören eine übertriebene Empfindlichkeit bei Zurückweisung, ständiger Groll und ein streitsüchtiges, unangemessenes Bestehen auf eigenen Rechten. Hinzu kommen ein stark überhöhten Selbstwertgefühl, die Beschäftigung mit unbegründeten Gedanken an Verschwörungen und ein ständiges Misstrauen. Dabei bestehe eine starke Neigung, Erlebtes zu verdrehen, indem neutrale oder freundliche Handlungen anderer als feindlich missdeutet werden. Besonders häufig kommt es zu ungerechtfertigtem Misstrauen gegenüber der Treue des Sexualpartners.

Zweifel an Treue des Partners

Um die Diagnose „paranoide Persönlichkeitsstörung“ zu stellen, müssen allerdings nicht alle Merkmale erfüllt sein. Es genügt, wenn mindestens drei der Kriterien vorliegen. Nach Angaben von Knecht liegt der Anteil von Menschen mit einer derartigen Persönlichkeitsstörung in der Bevölkerung zwischen 0,5 und 2,5 Prozent. Doch nicht jeder Querulant ist gleich. In seinem Standardwerk „Querulanten“ aus dem Jahre 1973 hatte Professor Heinz Dietrich von der Uniklinik München eine heute noch gebräuchliche Einteilung in charakteristische Typen vorgenommen. Der klassische Prototyp ist der Rechts-Querulant. Er ist aus reiner Rechthaberei widerspenstig. Ein typisches Beispiel ist ein Streit über die exakte Grenzziehung zwischen zwei Grundstücken. Bei den vor Gericht notwendigen psychiatrischen Gutachten geht es vor allem um die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit bei Strafhandlungen wie Beleidigung, Verleumdung, Körperverletzung.

Dagegen werden Karriere-Querulanten an ihrem Arbeitsplatz aktiv. Sie fühlen sich von den Vorgesetzten benachteiligt und glauben, schlecht beurteilt oder in ihrer Karriere beeinträchtigt zu werden. Der Psychiater muss in solchen Fällen – bei Beamten häufig in Form von Disziplinarverfahren – ein Gutachten über die Berufs- oder Dienstunfähigkeit erstellen.

Manche kämpfen für eine Gruppe

Renten-Querulanten sind schon seit über 100 Jahren bekannt. 1910 wurden sie so beschrieben: „Die Kranken mit einer Neurasthenia querulatoria gehen mit aller Energie daran, ihre vermeintlichen Rechtsansprüche zu erzwingen, beruhigen sich bei keinem Bescheid, selbst wenn er zu ihren Gunsten ausfällt und beantragen immer höhere Renten. Wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 Prozent erreicht ist, fordern sie Sonderleistungen, Pflegezulage und anderes.“ Ihre übersteigerte Erregbarkeit münde in maßlosen Beleidigungen gegen die Ärzte, die sie begutachtet haben, und sie besäßen ein gesteigertes Selbstgefühls.

Bei den Querulantentypen gebe es außerdem geschlechtsspezifische Unterschiede. Als Ehe-Querulantinnen beispielsweise kämpfen sie um die Unauflöslichkeit und um die Herrschaft der Ehe. Haft-Querulanten hingegen leben im Bewusstsein, von der Justiz falsch oder zu hart angepackt worden zu sein, und kämpfen deshalb in der Haft um Privilegien.

Anders ergeht es Kollektiv-Querulanten: Statt für sich selbst zu kämpfen, engagieren sie sich für die Bedürfnisse und Rechte einer Minderheit, mit der sie sich identifizieren und auf die sie ihre eigenen Bedürfnisse und Ängste projizieren. Sie sehen sich häufig idealistisch als Träger einer moralischen Mission, ob für Menschen, Tiere oder die bedrohte Natur. Das Unangenehme an Querulanten ist, dass sie meist beratungsresistent und von ihren Vorstellungen kaum abzubringen sind. Inhaltliche Diskussionen können die aufsässige Haltung noch verstärken. Mitunter werden sie sogar aggressiv.

Aber wie kann man ihnen begegnen, ohne selbst die Nerven zu verlieren? Wie wird man solchen Menschen gerecht, sodass sie sich verstanden fühlen? Um diese Fragen ging es kürzlich auf einer Fachtagung Schweizer Experten in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden (Kanton Aargau). Um aufgeheizte Situationen nicht eskalieren zu lassen, empfahl Josef Sachs von der Klinik Königsfelden, harte Konfrontationen mit Querulanten unbedingt zu vermeiden, sie nie in die Enge zu treiben oder zu beschämen. Gesprächspartner eines Querulanten sollten zwar klar und verbindlich auftreten, jedoch nie verbissen wirken. Sie sollten lieber Fragen stellen, statt Anweisungen zu geben, und eine fürsorgliche Haltung einnehmen, um den Stress zu reduzieren.

Zur Zurückhaltung rät auch Thomas Knecht: „Eine Konfrontation ist kaum gewinnbringend. Eher sind dem Patienten die begrenzten Möglichkeiten des Gerichtes angesichts seiner Problematik nahezubringen, weshalb versucht werden sollte, einen möglichst gesichtswahrenden Ausgang aus der Situation zu finden.“ Liegt tatsächlich eine handfeste psychische Störung vor, sollte man versuchen, den Patienten vom Nutzen einer Behandlung mit Medikamenten zu überzeugen.

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