Psychologie der Entscheidung




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Was beeinflusst unsere Entscheidungen?
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Es wirkt wie die große Freiheit: Wir können - und müssen - in unserem Leben so viel entscheiden wie nie zuvor. Studium oder Berufsausbildung, die Wahl des richtigen Jobs, des richtigen Partners. Ehe, Kinder oder lieber Single, Kaufentscheidungen, Hobbys, Investitionen von Zeit und Geld. Psychologen sprechen bei all den Handlungsoptionen gar von einer "Tyrannei der Wahl". Denn der Zwang zu entscheiden, setzt uns auch unter Druck. Doch woher wissen wir, wie wir die richtige Entscheidung treffen? Sind wir dabei wirklich so frei wie nie zuvor? Ist unser freier Wille - wie wir selbst vermuten - Herr darüber, welchen Weg wir einschlagen? Wer (oder was) bestimmt und steuert unser Schicksal tatsächlich?

Die Forschung zeigt: Auch wenn wir glauben, souverän zu entscheiden, lassen wir uns von vielen Faktoren beeinflussen, die wir nicht einmal bemerken. Zum Beispiel entscheiden die Hormone heimlich mit - und andere körperliche und psychische Faktoren, die mit der Sache wenig zu tun haben.

Stresshormone beeinflussen unsere Entscheidungsfähigkeit




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Die richtige Entscheidung treffen - Training für den Ernstfall
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Stefan Oppermann, Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und leitender Notarzt, probt mit Rettungskräften den Ernstfall. Rund um den Simulationsrettungswagen inszeniert er in speziellen Seminaren und Kursen Situationen, die er selbst oft bei Unfällen erlebt hat. Denn Oppermann koordiniert Großeinsätze mit vielen Verletzten. Seine Anweisungen entscheiden dann über Leben und Tod. Er weiß, dass ausgerechnet in solchen Momenten rationales Entscheiden schwierig ist. "Das Grundgefühl ist eine angespannte Nervosität, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt," beschreibt Oppermann die Gemütslage, in der selbst die erfahrenen Retter zum Einsatzort kommen. "An diesen Einsatzstellen prasseln eine Unmenge an Eindrücken und Informationen auf sie ein. Es kann sein, dass sie in dieser Situation komplett überfordert sind, dass sie handlungsunfähig werden, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie tun können, dass sie vielleicht ganz viele Dinge tun, die aber gar nicht sinnvoll oder nützlich in dieser Situation sind, oder sie fangen sogar an, an der Einsatzstelle rumzuschreien."




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Stress macht vernünftiges Entscheiden schwer.
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Das Problem: Gerade in Extremsituationen blockiert unsere Fähigkeit, vernünftig zu entscheiden. Stressforscher Markus Ising vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München weiß warum: Eine Vielzahl von Stresshormonen übernimmt das Regiment in Gehirn und Körper. Zusammen mit seinen Kollegen kam Ising ihrer Wirkung auf die Spur: "Das wichtigste Stresshormon ist das Cortisol. Das ist wichtig, damit wir unsere Energieressourcen mobilisieren in der Stressreaktion. Gleichzeitig hat es aber auch negative Auswirkungen, beispielsweise auf unser Gedächtnis - Lösungsstrategien werden weniger gut abrufbar für uns. Hinzu kommt, dass der Botenstoff CRH, der im Hypothalamus ausgeschüttet wird, unser Emotionsgedächtnis stimuliert. Und dies in Kombination kann dann zu einer Handlungsblockade führen. Wir wissen dann nicht mehr wie's weitergehen soll."

Routinen wappnen uns gegen Stresshormone




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Unser Gehirn entscheidet sich gern für Bekanntes.
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Um sich davor zu schützen, trainieren deshalb selbst erfahrene Notfallmediziner immer wieder die gleichen Routinen. Sie müssen dann nicht mehr jeden Schritt einzeln entscheiden - ihr Gehirn ruft die Routinen automatisch ab. Eine der typischen und besonders wichtigen Routinen ist in Opperanns Augen die sogenannte Sichtung der Opfer nach klar definierten Regeln: "Um möglichst schnell einen Überblick zu gewinnen, setzen wir ein Instrument ein, das heißt 'Sichtung'. Dort wird Patienten eine gewisse Farbe zugeordnet: Der Patient der sofort behandelt werden muss, hat die Farbe rot, der Patient der blutüberströmt ist, aber noch geht - das ist sicherlich etwas, was sie sehr beeindruckt - aber dieser Patient braucht nicht sofort ihre medizinische Hilfe, der hat die Farbe grün." Selbst im größten Stress können wir solche Routinen abrufen.

Überhaupt greift unser Gehirn, gern auf Gewohnheiten zurück - auch wenn es nicht in Not ist. Das haben Forscher der Universität des Saarlandes herausgefunden. Sie zeichneten die Hirnströme von Versuchspersonen auf, während diese Entscheidungen trafen. Zum Beispiel, welche von zwei Städten die größere ist. Die Hirnströme zeigen: In den ersten Sekundenbruchteilen prüft das Gehirn, welche Antwort ihm vertrauter ist und entscheidet dem entsprechend - auch wenn das nicht immer richtig ist, weiß Dr. Timm Rosburg, Neuropsychologe an der Universität des Saarlands. "Probanden haben in der Regel die bekannte Stadt als die größere angesehen, und mit dieser Entscheidung lagen sie auch zu 90 Prozent richtig", beschreibt Rosburg das Experiment. "Das zeigt, dass die Bevorzugung des Bekannten eine durchaus sinnvolle Strategie darstellen kann, man kann damit aber auch völlig danebenliegen. Wenn Sie am Aktienmarkt blind auf die Bekanntheit einer Aktie vertrauen, können Sie durchaus massive Verluste erleiden."

In schwierigeren und komplexen Entscheidungssituationen kann uns unser unbewusster Hang zum Vertrauten also auch aufs Glatteis führen. Und es gibt noch mehr unbewusste Faktoren, die unsere Entscheidungen ohne dass wir es ahnen in die falsche Richtung steuern.

Unbewusstes steuert uns - selbst bei Entscheidungen vor Gericht




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Selbst Gerichtsentscheidungen sind nicht immer objektiv.
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Marc Baumann ist Schöffe am Amtsgericht. Zusammen mit dem Richter entscheidet er über Einbrüche, Wirtschaftsdelikte, Sexualstraftaten. Alle Beteiligten geben sich größte Mühe objektiv zu sein - und können sich dabei dem Einfluss unbewusster Einflüsse doch nicht ganz entziehen: "Ich glaube, dass da viel Zwischenmenschliches, Unterbewusstes mit reinspielt in so ein Urteil", vermutet Baumann. "Sobald jemand in den Gerichtssaal reinkommt und sich vor mir hinsetzt, schau ich mir den natürlich an. Und ich hab sehr schnell eine Meinung dazu, wie der sich verhält, ob ich das in irgendeiner Form seltsam finde. Es ist ja klar, dass wir uns nicht von Äußerlichkeiten leiten lassen dürfen, aber das ist gar nicht so leicht. Ich glaube, dass man einen Menschen einschätzt, das macht jeder und das wird auch der Richter machen.“

Studien aus den USA belegen, dass er mit dieser Ahnung Recht hat. Auch Richter lassen sich teils von Einflüssen lenken, die ihnen nicht bewusst sind: So haben attraktive Angeklagte bessere Chancen auf ein mildes Urteil, weil man ihnen unbewusst weitere positive Eigenschaften zuschreibt. Nur wer sich diese Faktoren ganz klar vor Augen hält, kann solchen Effekten entgegensteuern, weiß auch der Saarbrücker Sozialpsychologe Malte Friese. Er kennt noch einige weitere Faktoren, die unsere Urteilsfähigkeit sogar vor Gericht trüben können: "Verschiedene Studien legen den Schluss nahe, dass Richter sich nicht nur an objektiven Fakten orientieren, wenn sie ein Strafmaß festlegen, sondern auch durch eher zufällige äußere Effekte beeinflusst sind. In einigen Studien wurden die Richter beispielsweise gebeten, während der Strafmaßfestsetzung zu würfeln. Und dann zeigte sich, dass die Urteile höher oder niedriger ausfielen, in Abhängigkeit davon welche Zahl sie gewürfelt hatten."

Denn unbewusst setzten die Richter die gewürfelte Zahl in Bezug zur Abwägung der Strafe. Ähnlich können Zwischenrufe im Gerichtssaal, die ein hohes oder niedriges Urteil fordern, die Richter beeinflussen. "Anker-Effekte" nennt man dieses Phänomen, das Birte Englich, Kölner Professorin für Sozialpsychologie, mit ihren Kollegen erforscht hat. Die Forscher fanden dabei heraus, dass wir solchen Effekten nur durch gedankliche Anstrengungen entkommen können. Im Falle von Zwischenrufen im Gerichtssaal hilft es Richtern zum Beispiel, wenn sie bewusst auch das Gegenteil des vom Zwischenrufer geforderten Strafmaßes in Erwägung ziehen, bevor sie zu ihrem eigenen Urteil kommen, also zum Beispiel bei der Forderung nach einem besonders hohen Strafmaß auch ein Niedriges im Vergleich "mitdenken". Das neutralisiert die Wirkung des Zwischenrufs.

Emotionale Reaktionen trainieren

Doch damit sind noch nicht alle Störfaktoren für das unabhängige Entscheiden ausgeschaltet. Denn selbst zu welcher Tageszeit Richter eine Entscheidung fällen, hat einen Einfluss: Kurz vor der Mittagspause oder spätnachmittags, so zeigte eine Studie, wurden die Urteile härter. Denn die Fähigkeit zur Selbstkontrolle lässt nach. Mit dieser Fähigkeit eigene Impulse zu kontrollieren, haben sich Malte Friese und seine Kollegen beschäftigt: "Das kann man vergleichen mit einem Muskel, den man über längere Zeit beansprucht, der dann ermüdet. Wenn man viele Dinge genau abwägen muss, bevor man eine Entscheidung treffen kann, so wie Richter das tun, dann kann es sein, dass man zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr ganz so gewillt ist, so sorgfältig abzuwägen, und zu einer gedanklich einfacheren Lösung tendiert. In dieser Studie war diese gedanklich einfachere Lösung das härtere Urteil."

Urteile werden also mit zunehmender Arbeitszeit wohl nicht zwangsläufig härter, sondern unser Gehirn neigt vor allem dazu, mit wachsender Erschöpfung einfachere und weniger fordernde Entscheidungen zu treffen. Richtern oder Schöffen raten die Forscher deshalb derartigen urteilsverzerrenden Einflüssen bewusst entgegenzusteuern. Denn beherrschen lassen sie sich all die unbewussten Entscheidungsfaktoren nur, wenn wir besonders wachsam bleiben.

Scarlet Löhrke (SWR)

Info-Box: Cortisol: Cortisol, auch Hydrocortison genannt, ist ein körpereigenes Hormon, das in der Nebennierenrinde gebildet wird. Cortisol hat unter anderem Einfluss auf den Blutzucker, den Fettstoffwechsel, verzögert die Wasserausscheidung und wirkt entzündungshemmend. Die Cortisolkonzentration lässt sich im Blut, im Urin oder auch im Speichel messen, wobei die Werte im Laufe eines Tages schwanken. Der Cortisolspiegel steigt zwischen sechs und acht Uhr morgens auf sein Maximum an und fällt gegen Mitternacht auf seinen Tiefpunkt ab. In Zeiten starken Stresses schüttet der Körper verstärkt Cortisol aus. Offenbar schützt das Hormon die Seele vor Schäden durch Schock und Traumata, vermindert aber auch unsere Fähigkeit Lösungsstrategien im Gehirn abzurufen und effizient und schnell Entscheidungen zu treffen. Das Stresshormon Cortisol steuert in Belastungssituationen verschiedene Stoffwechselvorgänge und stärkt die Wundheilung. Langfristig schwächen große Mengen Cortisol im Blut jedoch das Immunsystem und erhöhen das Risiko, an einer Depression zu erkranken.

CRH (= Corticotropin-releasing Hormone): Forscher haben den Botenstoff CRH als einen der Hauptakteure in der hormonellen und zellulären Stressreaktion identifiziert. Das Stresshormon könnte Ursache für einige Gedächtnisveränderungen sein, die unter psychischen Belastungen typisch sind, wie nachlassende Merkfähigkeit und Flashback nach einem Trauma. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München haben die Folgen erhöhter CRH-Mengen für die neuronale Kommunikation im Gehirn erforscht. Dabei entdeckten sie, dass dieses Stresshormon die Reizweiterleitung verstärkt und immer mehr Nervenzellen in das Reaktionsnetzwerk einbezieht. So provoziert es Gedächtnisleistungen, die zum Beispiel zu Flashbacks, posttraumatischen Belastungsstörungen oder verringerter Merk- und Konzentrationsfähigkeit führen können.

Dieser Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 21.04.2013. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.


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