Psychologie: "Das mütterliche Selbstwertgefühl muss wieder aufgebaut werden"

Psychologie "Das mütterliche Selbstwertgefühl muss wieder aufgebaut werden"

Corinna Reck ist Professorin für „Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters“ an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität

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18.04.15, 15:53

Psychologie

Von
Daniela Noack

Foto: Corinna Reck

Corinna Reck ist Professorin für „Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters“ an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität

Corinna Reck ist Professorin für "Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters" an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität

Wie erkennt man eine postpartale Depression? Wie kann man sie behandeln? Darüber sprachen wir mit Corinna Reck. Sie ist Professorin für Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Postpartale Depression (PPD) und Angststörungen.

Berliner Morgenpost: Babyblues oder schon Depression: Wie erkennt man den Unterschied?

Corinna Reck: Der Babyblues betrifft mehr als die Hälfte aller Mütter in den ersten zehn Tagen nach der Geburt. Doch anders als bei den sogenannten Heultagen halten die depressiven Verstimmungen bei der Postpartalen Depression (PPD) länger an. Die Betroffenen haben häufig das Gefühl, für ihr Baby nichts empfinden zu können und als Mutter zu versagen. Andere wecken ihr Kind zehnmal in der Nacht, aus Angst, es könnte plötzlich sterben. Die Frauen leiden unter Schlaf- und Appetitstörungen und haben Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen. Unsere Forschungen haben ergeben, dass in Deutschland 15 Prozent der jungen Mütter entweder an PPD oder einer Angsterkrankung leiden.

Welche Mütter sind besonders gefährdet?

Gefährdet sind Frauen, die in ihrer Vorgeschichte bereits an einer Depression oder Angststörung litten. Auslöser kann auch eine traumatisch erlebte Geburt sein oder ein unerwarteter Kaiserschnitt. Zur Hochrisikogruppe gehören junge Akademikerinnen. Vermutet dafür werden die hohen Ansprüche, die sie an ihre Mutterrolle stellen, oder eine unklare berufliche oder finanzielle Situation. Psychisch am stabilsten dagegen sind ältere Akademikerinnen. Generell gefährdet sind sehr perfektionistische Mütter oder solche, die selbst in der Kindheit eine Traumatisierung oder Vernachlässigung erlebt haben. Aktuell untersuchen wir die transgenerationale Weitergabe von Traumata oder psychischen Störungen.

Was bedeutet es für das Kind, wenn die Mutter an PPD erkrankt ist?

Die Verfassung der Mutter wirkt sich bereits während der Schwangerschaft auf das Kind aus. Kinder von Müttern, die im dritten Schwangerschaftsmonat viel Stress hatten oder sogar unter präpartaler Depression litten, sind oft im Alter von drei Monaten sehr unruhig. Die psychische Erkrankung der Mutter wirkt sich aber vor allem auf die Interaktion mit dem Kind aus. Wenn eine Mutter unter Ängsten leidet, ist sie emotional nicht immer so verfügbar, wie sie es eigentlich gerne möchte. Manche gehen wegen der Ängste selten aus dem Haus oder meiden soziale Kontakte. Das kann dazu führen, dass auch das Kind die Umwelt oder fremde Menschen als bedrohlich empfindet. Depressive Mütter wiederum leiden häufig darunter, zu wenig positive Gefühle für ihr Kind zu empfinden.

Was bedeutet das für die kindliche Entwicklung? Für die Bindungsfähigkeit?


Neurobiologisch entsteht die Bindungsfähigkeit in den ersten drei Monaten. Das Kind blickt zur Mutter, die lächelt zurück. Eine Mutter, die verängstigt ist, spürt weniger Bindung. Und Kinder, deren Mütter weniger Bindung zeigen, werden schlechter mit Stress fertig und können sich nicht mehr selbst beruhigen. Wir nennen die Fähigkeit mit Stress umzugehen Selbstregulation. Die funktioniert bei Kindern dann besonders gut, wenn auch die Mutter dazu in der Lage ist. Wenn diese einen unsicheren Bindungsstil gegenüber Freunden, der Familie oder dem Partner hat, wirkt sich das auch auf das Kind aus. Die Störung manifestiert sich nicht unbedingt durch Vernachlässigung. Sie kann auch darin bestehen, dass die Mutter das Kind aufgrund einer Überbesorgtheit nicht zur Ruhe kommen lässt.

Welche Folgen hat es für die Kinder, wenn die Mütter keine Hilfe bekommen?

Wir untersuchen derzeit die Langzeitfolgen. Alle Ergebnisse liegen uns noch nicht vor. Inzwischen können wir aber schon sagen, dass Kinder betroffener Mütter im Alter von drei bis fünf Jahren zwar nicht notwendigerweise sozial oder klinisch auffälliger, aber doch schon verletzlicher sind als ihre Altersgenossen. Eltern und Erzieher berichten, dass sie ängstlicher und depressiv verstimmter sind sowie häufiger über Bauch- und Kopfschmerzen klagen. Andere Studienergebnisse weisen darauf hin, dass Jungen um das 16. Lebensjahr mit schlechteren Schulleistungen und Rückzug reagieren, während Mädchen sich emotional hypersensibel verhalten. Generell kann man sagen, dass Kinder von Müttern mit einer psychischen Störung ein deutlich erhöhtes Risiko haben, später selbst zu erkranken.

Was brauchen die betroffenen Mütter?

Die Frauen brauchen Hilfe in Form von psychologischer Betreuung, bei schwereren Verläufen auch Antidepressiva. Das Ziel ist es, das mütterliche Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. Dadurch allein wird die Interaktion zwischen Mutter und Kind aber nicht automatisch besser. Im Gegenteil. Die Kinder sind weiter bindungsunsicher und die Mütter enttäuscht. Ein Teufelskreis.

Müssen die Mütter jetzt Schuldgefühle haben? Nach dem Motto: Was habe ich meinem Kind angetan?

Nein. Denn sie können durch verändertes Verhalten vieles positiv beeinflussen. Wir haben herausgefunden, dass nicht die Erkrankung der Mutter für das Kind bedeutsam ist, sondern ihre Interaktion mit dem Kind. Wie sie es anlächelt, anspricht, berührt. Das kann sie in einer speziellen Therapie lernen. Videoaufnahmen können ihr helfen, ihr Verhalten gegenüber ihrem Kind besser zu verstehen und zu ändern. All das hilft dem Kind enorm – selbst wenn die Mutter noch nicht wieder gesund ist.

Es gibt also Hoffnung?

Auf jeden Fall. Nicht die Diagnose der Mutter ist entscheidend, sondern die Mutter-Kind-Beziehung. Auch Tierstudien weisen darauf hin, dass durch ein verändertes Verhalten der Bezugsperson und eine gute Bemutterung negative neurobiologische Prozesse im Gehirn wieder rückgängig gemacht werden können.

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