Psychologie bizarr Lieber nichts kaufen, als zu wenig bezahlen

Washington - "Zahle, was du willst" - für Schnäppchenjäger sollte diese Ansage doch eigentlich himmlisch klingen. Sie könnten für die lang ersehnte Lieblingshose nur einen Cent oder sogar gar nichts zahlen. Doch das tun nur die wenigsten, wie die Studie eines internationalen Forscherteams gezeigt hat. Selbst Schnäppchenjäger haben Hemmungen, von sich aus für ein Produkt wenig oder nichts zu bezahlen, berichten Ayelet Gneezy der University of California in San Diego und ihre Kollegen im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Die Wissenschaftler untersuchten in mehreren Experimenten, warum Menschen überhaupt für ein Produkt bezahlen, wenn sie es auch umsonst bekommen könnten. Der erste Versuch fand in einem Freizeitpark statt. Bei einer Achterbahnfahrt wurden alle Besucher fotografiert. Für die Bilder konnten sie im Anschluss so viel bezahlen wie sie wollten. Die Forscher erzählten einer Teilnehmergruppe, dass die Hälfte des Erlöses einer bekannten Stiftung zugute kommen würde. Der Rest bekam diesen Hinweis nicht.

Das Ergebnis: Die Menschen zahlten im Schnitt 5,33 Dollar für das Foto, wenn sie wussten, dass sie damit etwas Gutes bewirken konnten. Wer nicht auf die Stiftung hingewiesen wurde, gab weniger als ein Fünftel davon - durchschnittlich 92 Cent -für ein Foto aus. Viel überraschender aber war, dass in diesem Fall deutlich weniger Menschen überhaupt ein Bild kauften. "Diese Menschen, wollten nicht riskieren, für ein gutes Produkt - also ein Bild plus eine Spende für kranke Kinder - zu wenig zu zahlen. So bewahren sie sich ihre Selbstachtung", schreiben die Autoren.

"Wer zahlt, zeigt anderen: Ich bin ein moralischer Mensch"

Auch im zweiten Experiment konnten die Versuchsteilnehmer Fotos erwerben. Dieses Mal testeten die Wissenschaftler das Kaufverhalten bei verschiedenen Preisen. Die Forscher boten Ausflüglern ein bei einer Bootstour aufgenommenes Foto an, mit der Auskunft, es koste normalerweise 15 Dollar. Die Ausflügler wurden in drei Gruppen mit je 20 Teilnehmern aufgeteilt. Die erste Gruppe konnte das Bild zum Sonderangebot von fünf Dollar erwerben, die zweite konnte den Preis selbst bestimmen. Die Kontrollgruppe bezahlte den Regelpreis von 15 Dollar.

Wieder verzichteten viele Menschen auf ein Bild, obwohl sie teilweise auch kostenlos bekommen hätten. Beim Sonderangebot schlugen die Teilnehmer hingegen ohne schlechtes Gewissen zu. 64 Prozent kauften das Foto für fünf Dollar. Zum Vergleich: Beim freiwilligen Bezahlsystem waren es 55 Prozent. Grund für dieses Verhalten seien gesellschaftliche Normen, schreiben die Forscher. Wenn das Unternehmen von sich aus den Preis senkt, fänden die Leute es in Ordnung, weniger zu zahlen.

Müssen sie diese Entscheidung hingegen selbst treffen, kommen sie in Bedrängnis, weil sie nicht schlecht dastehen wollen. Die Forscher erklären: "Menschen bewerten sich selbst und andere positiver, wenn sie sich sozial verhalten. Wer beim flexiblem Preissystem bezahlt, signalisiert anderen: Ich bin ein Mensch mit Moral." Dies sei die Erklärung dafür, warum Käufer sich marktwirtschaftlich gesehen nicht vollkommen egoistisch verhalten.

"Käufer wollen einen angemessenen Preis zahlen"

Dass das freiwillige Bezahlsystem auch in der Praxis funktioniert, haben die Wissenschaftler bei ihrem letzten Experiment in Wien beobachtet. Dort besuchten sie das pakistanische Restaurant "Der Wiener Deewan", in dem das Konzept "Zahl, was du willst" bereits erfolgreich umgesetzt wird. Demnach zahlen Kunden zwar nach mehreren Besuchen im Schnitt weniger für ihr Essen. Dafür nahm laut Studie aber die Zahl der Kunden zu, was den Verlust wieder ausglich. Beim Experiment zahlten manche Menschen an der Kasse. In einem Spiegel konnten sie sehen, wie viel andere für ihr Essen ausgaben. Die andere Gruppe zahlte anonym.

Der Versuch zeigte, dass Menschen sich selbst am strengsten beurteilen. Das Restaurant nahm am meisten ein, wenn die Kunden anonym bezahlten. In diesem Fall gaben die Kunden im Schnitt 5,37 Euro für das Essen aus. Das waren 71 Cent mehr als an der Kasse gezahlt wurden. Dort war den Versuchsteilnehmern das Essen durchschnittlich 4,66 Euro wert. Der Grund: "Menschen möchten einen angemessenen Preis zahlen. So können sie sich selbst beweisen, dass sie ein moralischer Mensch sind", erklären Gneezy und seine Kollegen. An der Kasse spiele vor allem das gesellschaftliche Ansehen eine Rolle.

Ihr Fazit: Wenn Menschen ein Unternehmen mögen, geben sie selbst beim freiwilligen Bezahlsystem eher eine angemessene Menge Geld aus als einfach so wenig wie möglich. Unternehmen, die dieses Verhalten bei der Preisgestaltung berücksichtigen, könnten ihren Profit der Studie zufolge womöglich sogar vergrößern. Die Wissenschaftler weisen aber auch darauf hin, dass der angemessene Preis ähnlich wie Trinkgeld von den gesellschaftlichen Normen des entsprechenden Landes abhänge. "In Amerika zahlen Kunden zum Beispiel mehr Trinkgeld als in Deutschland."

Die US-Rockband Radiohead hatte mit dem Geschäftsmodell im Jahr 2007 jedenfalls großen Erfolg. Fans konnten ihr Album im Internet herunterladen und entscheiden, wie viel Geld sie dafür bezahlen wollten. Für Greenday lohnte sich das Experiment. Die Musiker galten als sozial und verdienten sich mit den Albumverkäufen eine goldene Nase. Die Forscher nennen dies den "Robin-Hood-Effekt". Der Studie zufolge wird er aber wohl verschwinden, wenn sich das freiwillige Bezahlsystem in der freien Wirtschaft verbreitet.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Band Green Day habe 2007 ein neues Album zum freien Download angeboten. Bei der Band handelte es sich allerdings um Radiohead. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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