Psychologie: Am liebsten rede ich doch über mich selbst

Menschen reden gern, und am liebsten über sich selbst. Natürlich tun das nicht alle – es gibt Ausnahmen wie Sie und mich, sensible Zuhörer, die nur ab und zu einen wohlgemeinten Rat in die Konversation einflechten oder ein gewichtiges Wort zur Weltgeschichte –, aber im Durchschnitt ist es so: 30 bis 40 Prozent von dem, was wir sagen, handelt von unserer Meinung und unserer Befindlichkeit, unserem Umfeld („Klatsch“) und unseren Vorlieben. Bei Letzteren differenziert es sich dann nach Geschlechtern: Männer reden unter Männern bevorzugt über Geschäfte, dann über Sport; bei Frauen im Gespräch mit Frauen steht Kleidung im Mittelpunkt, erst die eigene, dann die anderer; abgeschwächt dominieren diese Themen auch gemischtgeschlechtliche Runden, nur dass dort Männer häufiger das Wort ergreifen. So war es in den 1920er-Jahren, als die Wissenschaft erstmals mitlauschte – bei Straßenpassanten und in Bars –, so war es in den 1990ern, als wieder Forscherohren gespitzt wurden.

 

Facebook: „Medium“ ist „Message“

Aus dieser Zeit stammen auch die 30 bis 40 Prozent, und sie stimmen noch heute für das herkömmliche Reden. Aber das wurde überlagert von dem in den neuen technischen Zungen, in denen zunächst einmal wichtig war, wo man sich gerade aufhält – „in der U-Bahn am Stephansplatz!“ – und dann Intimes verbreitet wurde, lang und breit und laut. Das hat sich im nächsten technischen Schritt geändert, in den sozialen Medien – SMS, Twitter, Facebook etc. – ist das „Medium“ wirklich die „Message“ geworden, die Kürze der Mitteilungen limitiert den Gehalt: 80 Prozent aller Messages auf Twitter berichten von eigenen Erlebnissen der letzten Stunden oder Minuten.

Wie geht das zu und was geht da vor sich? Andere soziale Lebewesen reden auch nicht unentwegt aufeinander ein, und schon gar nicht über sich selbst. (Vor Gefahren etwa warnen etwa Schimpansen einander schon.). Nun ja, sie können nicht reden. Aber das können Kleinkinder auch nicht, und doch machen sie ab einem Alter von neun Monaten auf Dinge in ihrer Umgebung aufmerksam, die ihnen wichtig sind. Das macht ihnen sichtlich Spaß, und genau darin sieht eine Hypothese den Hintergrund unserer Selbstdarstellung im Reden. Es geht um Lust: Im Gehirn werden beim Reden über sich selbst die Regionen aktiv, die – bei Mensch und Tier – auch positiv auf Nahrung und Sex reagieren, die Belohnungszentren (Nucleus Accumbens und ventrales Tegmentum). Die leuchteten bei Testpersonen verstärkt auf, die Diana Tamir und Jason Mitchel (Harvard University, Cambridge) in ihr Psychologenlabor geladen und in Magnetresonanztomografen platziert hatten.

Dort sollten bzw. durften sie dann ihre Meinung über sich selbst und andere erzählen. Erzählten sie von sich selbst, zeigten sich die Effekte in den Belohnungszentren deutlich stärker.

Aber die Zuordnung von Regionen und Funktionen ist nicht eindeutig – die Zentren sind nicht nur zum Belohnen da, sie erfüllen auch andere Aufgaben –, deshalb ging es im nächsten Experiment um etwa ganz anderes, um Geld: Diesmal gab es drei Fragetypen – (a) auf das Ich bezogen („Fahren Sie gern Ski?“), (b) auf andere bezogen („Fährt Barak Obama gern Ski?“), (c) neutral („Leonardo malte die Mona Lisa“) –, und für jede Antwort ein paar Cent Belohnung. Am meisten brachten die neutralen Fragen, am wenigsten die ichbezogenen. Dann durften die Testpersonen jeweils im einer Dyade von zwei Fragetypen wählen: (a) vs. (b), (a) vs. (c), (b) vs (c). Sie bevorzugten, wann immer das möglich war, den Fragetyp (a), obwohl diese Wahl pekuniäre Verluste brachte, zwar nur Centbeträge, aber immerhin summierten die sich auf 17 bis 25 Prozent von dem, was es überhaupt zu erreden gab (Pnas, 7.5.).

 

Doppelte Freude: Beim Denken und Reden

„Die Introspektion bringt dem Gehirn mehr Belohnung als das Sichversenken in andere“, schließen die Forscher. Und zwar gleich doppelt. Das zeigte das erste Experiment, es lief in zwei Varianten. In der einen wurde den Testpersonen absolute Vertraulichkeit zugesichert, niemand würde hören, was sie über sich oder andere erzählen, auch die Forscher nicht; in der zweiten war als Zuhörer ein Freund der Testperson mit dabei. Die Belohnungzentren reagierten auch in der ersten Anordnung – schon die Beschäftigung mit sich selbst ist eine Lust, es muss gar niemand zuhören –, aber in der zweiten setzte sich auf diese Aktivität noch die der Freude am Zuhörer.

Warum das alles so ist, darüber haben die Forscher allerdings wenig zu erzählen. Sie vermuten nur schmallippig und generell, die Evolution habe damit die Bildung „sozialer Bindungen und Allianzen“ befördert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2012)

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