Psychologen sind besorgt über Selfie-Trend – WESER

Lippka hat sich vor einigen Wochen selbst auferlegt, jeden Tag ein Selfie online zu stellen. Hinzu kommen alle paar Stunden andere Eindrücke aus dem Leben des 35-Jährigen. Ob er süchtig nach den Bildern sei? „Meine Frau würde diese Frage wahrscheinlich mit Ja beantworten“, sagt Lippka. Der Mechatroniker aus Hude sieht es selbst eher als intensives Hobby. „Sucht klingt so negativ“, sagt er. „Ich zeige mit meinen Bildern gerne die schönen Seiten des Lebens.“

In der Psychologie gibt es das Krankheitsbild Selfie-Sucht zwar noch nicht, trotzdem beobachten Experten die Form dieser Selbstdarstellung seit ein bis zwei Jahren kritisch, sagt Sven Barnow, Leiter des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg. Von Selfies könne man zwar nicht körperlich abhängig werden, aber psychisch. Dafür gebe es einige Anzeichen. „Zum Beispiel wenn man dadurch andere Dinge vernachlässigt oder oft daran denkt, was man am nächsten Tag fotografieren könnte“, sagt Barnow.

Es kommt auf das Maß an

Nach Meinung des Psychologen sei es auch kritisch, wenn das Umfeld einen auf das übermäßige Fotografieren aufmerksam mache oder der Entzug einem ernsthafte Probleme bereiten würde. Social-Media-Kanäle könnten bei Leuten mit einem geringen Selbstwertgefühl dazu beitragen, dass sie sich darüber Anerkennung verschaffen, erklärt der Psychologe. „Durch möglichst viele Likes.“ Nicht jeder, der gerne Selfies postet, ist automatisch psychisch instabil. „Wie bei allen Dingen kommt es auf das Maß an“, sagt Barnow. Meist sei der Zwang, sich selbst im Netz zu zeigen nur ein Folgeproblem eines fragilen Selbstwertgefühls und dem Hang zum Narzissmus.

Manuel Lippka stellt die Fotos von sich online, um Gleichgesinnte zu finden. „Meine Familie versuche ich da nicht mit reinzuziehen“, sagt er. Durch das regelmäßige Posten der Bilder und der passenden Verschlagwortung mit sogenannten Hashtags, hat er in den vergangenen Wochen 100 Follower bekommen. „Das ist ein schönes Gefühl.“ Um im Gespräch zu bleiben, ist der 35-Jährige immer auf der Suche nach einem außergewöhnlichem Platz oder einer prominenten Person, mit der er sich ablichten lassen kann. „Sonst werden die Bilder schnell langweilig“, sagt er.

Ein Hilfsmittel, das Lippka selbst zwar doof findet, viele andere Selfie-Junkies aber sehr gern verwenden, ist eine Teleskopstange. Daran kann man sein Smartphone oder seine Kamera befestigen und sich aus einem weiter entfernten Winkel fotografieren. Besonders vor touristischen Attraktionen und bei besonderen Veranstaltungen sind die Stangen beliebt. Das wird für Veranstalter mehr und mehr zum Problem, weshalb einige von ihnen jetzt reagieren.

Zum Start der diesjährigen Sommersaison hat Deutschlands größter Freizeitpark, der Europa-Park in Rust, die Selfie-Sticks auf allen Fahrattraktionen verboten. Bereits im Winter sei das Phänomen erstmals größer aufgetreten, sagt Unternehmenssprecher Jakob Wahl. Deshalb habe man handeln müssen. Die langen Kameraarme seien ein großes Sicherheitsrisiko, weil sie weit über die Sitzplätze der Gäste hinausreichten.

Nach einem Zwischenfall in einem Disney-Vergnügungspark in Kalifornien, bei dem ein Besucher während der Fahrt in einer Achterbahn einen Stick ausfuhr, sind die langen Stangen in allen Parks generell untersagt. Auch in Berlin sind die Sticks in zahlreichen staatlichen Museen tabu. Sie zählten zu den „sperrigen und scharfkantigen Gegenständen“, heißt es auf dem offiziellen Hauptstadt-Portal.

Selfie-Sticks in Bremen teilweise verboten

Das Problem hat zum Teil auch Bremen erreicht. Zwar gibt es nach Angaben des Senators für Kultur noch keine einheitliche Regelung für alle Bremer Museen, trotzdem haben einige von ihnen die Teleskopstangen bereits verboten, wie etwa die Kunsthalle oder das Gerhard-Marcks-Haus. In einer Erklärung des Kunsthalle heißt es dazu: „Selfie-Sticks sind aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt, da bei der Verwendung einer solchen Stange die Aufmerksamkeit auf den Handy-Bildschirm gerichtet ist und das Risiko besteht, dass der Besucher nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand zu den Werken wahrt.“ Die Kunsthalle versucht, den Dauertrend anders aufzugreifen. Anlässlich der Ausstellung von Emile Bernard zu Beginn des Jahres, hat das Museum eine Selfie-Aktion gestartet, bei der Besucher mit den Bildern in die Kunstwerke von Bernard eintauchen konnten. „Das war für die Werke ungefährlich“, sagt Jasmin Mickein, Sprecherin der Kunsthalle.

Auf dem Bremer Freimarkt sind die Selfie-Stangen bisher noch kein Problem. Nach Angaben des Schaustellerverbandes Bremen sind die Sticks auf allen Fahrgeschäften verboten, auf dem Gelände aber weiterhin erlaubt. In der Ordnung des Weserstadions sind Selfie-Sticks zwar nicht explizit aufgeführt, sie gehören in der Sportstätte aber trotzdem zu den verbotenen Gegenständen. Nach Auskunft einer Werder-Sprecherin gehören sie im weitesten Sinne zu Stangen und seien deshalb im Stadion grundsätzlich untersagt.

Leser-Umfrage zu Selfies

Soziale Netzwerke sind voll von Selfies. Doch was halten die meisten Menschen eigentlich davon? Stellen sie selbst gerne Porträts online oder sind sie es leid, dass ihnen ständig grinsende Schnappschüsse entgegen blicken? Wir haben WESER-KURIER-Leser auf unserer Internetseite dazu befragt. Dabei kam heraus, dass die meisten Nutzer die Schnappschüsse nicht mehr sehen können. 84 Prozent der Befragten (284 Stimmen) finden Selfies nur noch nervig. Nur 16 Prozent (53 Stimmen) finden die Bilder witzig, machen selbst welche und schauen sie sich bei anderen an.

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