Psychologe hält Glücksratgeber für den größten Mist

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25. Januar 2016

BZ-Interview

"Ich bin glücklich." Wer würde das von sich selbst mit ganzer Überzeugung sagen? Wir leben in einer Überflussgesellschaft – doch richtig gut geht es den Wenigsten von uns. Der Psychiater und Psychologe Manfred Lütz hat sich dieses Problems in einem Buch über das Glück angenommen. Katharina Meyer befragte ihn zu seinem "Antiratgeber".


  1. Foto: Colourbox


  2. Muße ist Lütz zufolge ein guter Schritt in Richtung Glück. Foto: dpa


  3. Manfred Lütz Foto: Privat

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BZ: Ihr Buch trägt den bescheidenen Titel "Wie Sie unvermeidlich glücklich werden". Und das, obwohl Sie Glücksratgeber für großen Mist halten. Wie passt das zusammen?
Lütz: Der Titel ist natürlich ein bisschen ironisch gemeint. Denn diese Ratgeber sind meist eher eine Anleitung zum Unglücklichsein. Der Titel meines Buches hat aber auch einen ernsten Kern. Der Philosoph Karl Jaspers hat gesagt: Die Grenzsituationen menschlicher Existenz sind unvermeidlich – damit meint er Leiden, Schuld, Kampf und Tod. Wenn man zeigen könnte, wie man in diesen Situationen glücklich sein kann, dann kann man unvermeidlich glücklich sein.

BZ: Warum sollen Glücksratgeber unglücklich machen?

Lütz: Die Ratgeberliteratur schlägt eine Schneise der Verwüstung durch Deutschland, hat der Soziologe Ulrich Becker einmal gesagt. Weil man sich für sich selber nicht mehr kompetent fühlt. In den Ratgebern beschreibt irgendein Autor, wie er selber glücklich wurde und lässt den Leser traurig zurück, weil der nun mal nicht der Autor ist. Dabei gibt es in Wirklichkeit sieben Milliarden Wege, glücklich zu sein. Jeder assoziiert Glück schließlich mit anderen Situationen, Gerüchen, Menschen, Landschaften.

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BZ: Sie meinen also, jeder spürt das Glück auf ganz individuell Weise. Aber ist es auch ganz individuell zu erreichen?

Lütz: Ich glaube, das Glück etwas sehr Individuelles und Subjektives ist. Und ich glaube, dass dieses Glück als Egotrip, wie es in den Ratgebern verkauft wird, eine Sackgasse ist. Ein Beispiel: Unser Dorf hier im Rheinland ist glücklicher, seit wir Flüchtlinge haben. Weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Viele Menschen, die vorher nur alleine ihre Rente verzehrt haben, bieten jetzt Deutschkurse an, helfen Familien mit Kindern, kümmern sich um Behördengänge und so weiter. Im Dorf gibt es jetzt auch viel mehr Kommunikation – das ist einfach schön. Wenn man für Menschen in Not etwas Sinnvolles tut, dann erlebt man das als in sich sinnvoll – und dann kann man glücklich sein.

BZ: Jetzt sind Sie aber doch bei überindividuellen Faktoren für das Glück gelandet. Sie liefern in ihrem Buch ja verschiedenste Glücksdefinitionen.

Lütz: Das ist auch gut so. Wenn ich eine bestimmte Definition von Glück verbreite, dann manipuliere ich die Leser. Wenn ich aber – wie in meiner kurzen Geschichte des Glücks – beschreibe, was in 2500 Jahren Philosophiegeschichte ganz unterschiedliche, sehr gescheite Menschen über das Glück gedacht haben, dann hat der Leser die Möglichkeit, selber auszusuchen, was für ihn passt.

BZ: Der Glücksbegriff von Jaspers scheint Ihnen nahezuliegen. Mir muss also bewusst sein, dass ich leiden kann, um glücklich zu werden?

Lütz: Ich muss gar nichts! Mein Buch ist kein Ratgeber, es soll einfach unterhaltsam Anregungen geben, die man auf Augenhöhe zur Kenntnis nimmt. Sokrates hat überhaupt keine Glücksratgeber geschrieben. Er hat nicht mal Bücher geschrieben. Er ist auf den Marktplatz gegangen und hat mit den Leuten gesprochen. Nach dem Motto: Erkenne dich selbst. Finde deinen Weg zum Glück. Es kann anregend sein, in einem Gespräch mit einem gescheiten Menschen seinen eigenen Weg zu finden. Anregungen sind okay, aber nicht Rezepte.

BZ: Trotzdem nochmal inhaltlich: Muße, Erkenntnis, Selbsterkenntnis – das ist Ihr Weg zum Glück, so wie Sie ihn in Ihrem Buch beschreiben.

Lütz: Richtig. Wobei das kein inhaltlicher, sondern ein formaler Weg ist. Selbsterkenntnis führt ja bei jedem zu unterschiedlichen Erkenntnissen, deswegen heißt sie ja so. Ich schreibe zum Beispiel, dass Aristoteles sagt: Der Mensch lebt, um Muße zu haben. Muße heißt dabei nicht Erholungszeit. Ich weigere mich, mich zu erholen. Denn erholen bedeutet ja: Erholen für die Arbeit. Auf diese Weise wird selbst die freie Zeit über die Arbeit definiert. Muße dagegen ist völlig zweckfrei, aber höchst sinnvoll verbrachte Zeit, in der man sich ergreifen lässt von Melodien, von Landschaften, von Begegnungen mit Menschen. Sie bedeutet, dass man sich nicht einquetschen lässt in Zeitpläne, die einem letztlich das Leben stehlen.

BZ: Doch wo fängt Muße an? Die Suche nach einer schönen Melodie, nach schönen Landschaften führt doch oft genau in den Freizeitstress. Bergtour, Konzert...

Lütz: Das ist ja auch keine Muße. Das sind Freizeitaktivitäten. Die Deutschen haben es ja geschafft, außerhalb der Arbeit auch noch zu arbeiten. Man macht einen Erlebnisurlaub in der Toskana, in dem man von morgens bis abends töpfert.

BZ: Aber das kann doch auch eine Form von Muße sein!

Lütz: Natürlich könnte man das auch müßig machen, mit der Haltung: Ob es was wird, ist mir wurscht. Es ist einfach schön, das Material zu spüren, den Moment zu erleben. Ich wette, dass viele Deutsche aber den perfekten Pott machen wollen. Dann ist es schon wieder keine Muße gewesen.

BZ: Ihr Buch trägt den Untertitel "Psychologie des Gelingens". Sie kritisieren den Zwang zur Selbstoptimierung, den viele Ratgeber verbreiten. Inwieweit unterscheidet sich da eine Psychologie des Gelingens?

Lütz: Der Ausdruck "Erfolg" bedeutet im Deutschen inzwischen fast dasselbe wie "Glück". Ich habe bei einem Fest zum Geburtstag meiner Töchter – sie sind 16 und 18 geworden – bei einer kleinen Rede gesagt: Ich wünsche Euch viel Glück, aber keinen Erfolg im Leben. Den braucht man nicht zu haben. Ihr sollt die Fähigkeiten, die Ihr mitbekommen habt, fleißig einsetzen. Ob man damit dann Erfolg hat, hängt von so vielen Zufällen ab. Das ist nicht wirklich wichtig.

BZ: Was also ist wichtig?

Lütz: Wichtig ist, dass das Leben gelingt. Van Gogh war der erfolgloseste Maler aller Zeiten. Die Bilder waren unverkäuflich. Aber sein Leben ist doch ohne Zweifel ein gelungenes Künstlerleben gewesen. Wer immer bloß Erfolg haben will, wer sich in der weit verbreiteten Castingmentalität immer mit anderen vergleicht, wird unglücklich, denn die anderen haben andere Fähigkeiten als man selbst. Deswegen ist eine Psychologie des Gelingens so wichtig.

BZ: Und das Bewusstsein für Leiden, Krankheit und Tod kann dabei helfen? Ich sehe wenig davon um mich herum.

Lütz: An der Oberfläche des Lebens ist das nicht dauernd sichtbar. Aber Leiden, Schuld, Kampf und Tod sind nach Jaspers unvermeidliche Grenzsituationen menschlicher Existenz. Irgendwann erwischt es jeden. Jede Aldiverkäuferin und jeder Philosoph kommt in diese Situation. Um Schuld geht es schließlich auch schon, wenn ich für wenig Geld eine Banane kaufe. Denn streng genommen unterstütze ich damit die Ausbeutung von Arbeitern, die für Hungerlöhne Bananen pflücken.

BZ: Aber inwiefern soll das mein Bewusstsein fürs Glück schärfen? Erst einmal macht es mich doch eher un- glücklich, wenn ich mir all das bewusst mache.

Lütz: Stimmt. Das schafft erst einmal eine Unruhe in mir. Aber auch ein tiefes Gefühl, als Mensch zu existieren. Ich erlebe, dass ich leide, schuldig werde, dem Tod begegne. Diesem existenziellen Ernst des Lebens kann niemand auf Dauer ausweichen.

BZ: Vielleicht trifft es jeden irgendwann. Doch in einer Zeit, in der ich keine Leiden verspüre, mich keine finanziellen Sorgen plagen – in dieser Zeit stehe ich ja besonders unter Druck, alles perfekt hinzukriegen. Vielleicht geht es uns einfach zu gut?

Lütz: Es stimmt schon, dass wir seit 70 Jahren hier wie unter einer Käseglocke leben, in einer künstlichen heilen Welt. Dennoch: Dass ich sterbe, ist sicher. Dass ich leide, irgendwann, ist sicher, dass ich Schuld auf mich lade, auch. Wenn ich genau hinschaue in meinem Leben, dann gehen die Dinge viel tiefer. Man kann natürlich darüber hinwegplätschern.

BZ: Dank Youtube, Facebook, Fernsehen.

Lütz: Aber man entgeht sich damit selbst. Man verpasst sein Leben. Erst wenn man existenziell lebt, lebt man unersetzbar seine eigene Existenz.

BZ: Das wird wohl nicht jedem gelingen – es wächst ja nicht jeder an seinem Leid.

Lütz: Er kann aber daran wachsen. Ich glaube, die Chance, wirklich stabiles, tief verwurzeltes Glück zu empfinden, habe ich nur dann, wenn ich nicht den Eindruck habe, ins Nichts zu fallen, sobald Leid in mein Leben tritt.

BZ: Sie schreiben in Ihrem Buch, jemand der ständig über das Glück redet, wird vermutlich selbst nicht glücklich sein. Was sagt uns das über jemanden, der ein ganzes Buch zum Thema schreibt?
Lütz: Gute Frage. Das sagt Ihnen, dass ich mich total darüber geärgert habe, wie oft irgendwelche selbsternannten Glücksexperten Menschen dazu verführen, ihr Selbstbewusstsein bei ihnen abzugeben. Deswegen mein Antiratgeber. Es ist das letzte Glücksbuch, das man überhaupt kaufen muss. Man spart dadurch viel Geld. Ein Buch für Schwaben, wenn man das in Baden sagen darf.

BZ: Unsere Leser könnten aber auch ihre Zeit zur Muße nutzen, statt Ihr Buch zu lesen. Schließlich wissen sie nun, dass ihr Glück nur in ihnen selbst liegt.
Lütz: Da haben Sie recht. Das ist der große Vorteil der Badischen Zeitung. Sie erübrigt sogar den Kauf des Buches.

Manfred Lütz, 61, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Rheinländer studierte Medizin, Philosophie und katholische Theologie. Lütz ist Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln-Porz.

Manfred Lütz: Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Eine Psychologie des Gelingens. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2015. 192 Seiten, 17,99 Euro.

Autor: kam

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