Psycho-Experiment

Über kaum eine andere Web-Geschichte wird derzeit so heiss diskutiert: Facebook, das grösste Online-Netzwerk der Welt, hat fast 700'000 Nutzer zu Versuchskaninchen für eine psychologische Studie gemacht – ohne dass die betroffenen Nutzer etwas davon wussten. Per Manipulation ihrer Newsfeeds sahen manche User mehr positive Botschaften ihrer Freunde, andere fast nur noch negative Äusserungen. So liess der US-Konzern zu, dass die Stimmungslage der Probanden für die Wissenschaft gezielt beeinflusst wurde.

Wissenschafts-Ethiker Hans-Peter Schreiber kritisiert das Vorgehen des US-Dienstes Facebook mit deutlichen Worten.(Bild: Keystone/Alessandro Della Valle)



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«Das Vorgehen von Facebook ist erschreckend und aus ethischer Sicht überhaupt nicht vertretbar», sagt Hans-Peter Schreiber, emeritierter Professor für Bioethik der ETH Zürich, zu 20 Minuten. «Es wäre nur möglich, dieses Experiment durchzuführen, wenn ein sogenannter informed consent der Beteiligten vorläge. Wenn man das aber einfach hinter dem Rücken der Leute macht, dann geht das nicht.»

Womöglich legal, aber moralisch verwerflich

Gemäss Medienberichten berufen sich die Verfasser der Studie und Facebook darauf, dass alle Facebook-User schon mit der Zustimmung zu Facebooks Datenschutzbestimmungen einer möglichen «Forschung» mit ihren Daten zugestimmt hätten.

Schreiber widerspricht. «Genau hier liegt der Knackpunkt: in der Ausserkraftsetzung der informationellen Selbstbestimmung. Auch wenn Facebook sich irgendwo im Kleingedruckten irgendwelche Forschung vorbehält: Als Ethiker muss ich sagen, da gibt sicher niemand einen Generalkonsens, an so einer Experimentierreihe teilzunehmen. Das ist ein fundamentaler Verstoss gegen die Selbstbestimmung.»

Konsumentenschutz: Ausstieg überlegen

Empört über das Vorgehen des amerikanischen Datenriesen ist auch Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz: «Mit diesem Experiment überschreitet Facebook sämtliche Grenzen. Eine derartige Manipulation ohne vorherige Bekanntgabe oder Frage um Einwilligung, das geht überhaupt nicht.» Es sei an der Zeit, sich ernsthaft Gedanken zu machen, ob man das Netzwerk überhaupt noch nutzen soll, sagt Stalder: «Die Leute müssen sich langsam überlegen, ob Facebook das richtige soziale Medium ist. Man muss sich bewusst sein, dass im Hintergrund unsere Daten hemmungslos manipuliert werden.»

Datenschützer klärt auf und mahnt zur Vorsicht

Der Sprecher des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragen sagt, dass sich auf den ersten Blick nicht beurteilen liesse, ob hier eine Datenschutzverletzung vorliege. «Generell ist aber klar, dass sich Facebook sehr grosse Freiheiten im Umgang mit den Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer nimmt, sei es in spezifischen Bestimmungen zu Copyright oder Weitergabe an Dritte, in Sachen Transparenz gegenüber den Usern beispielsweise bei Änderungen der Geschäftsbedingungen oder auch nur schon in der Kompliziertheit der Privacy-Einstellungen», so Sprecher Francis Meier.

Dessen müssten sich User bewusst sein, so Meier, sowie «der Tatsache, dass bei Gratisdiensten statt mit Geld mit Personendaten ‹bezahlt› wird. Hinzu kommt, dass Facebook eine amerikanische Firma ohne Niederlassung in der Schweiz ist, was ein rechtliches Vorgehen bei Verletzung der Persönlichkeitsrechte für Schweizer Bürger oder Behörden äusserst schwerfällig macht»

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